Emmely und die Folgen (2):Diebstahl bleibt Diebstahl

Arbeitgeber können sich über das Emmely-Urteil nur wundern. Es gibt keine Bagatellfälle - und kein Arbeitnehmer sollte glauben, dass er nun ein wenig klauen darf.

Jobst-Hubertus Bauer

Selten haben Richter so vielen Menschen aus der Seele gesprochen wie das Bundesarbeitsgericht Mitte Juni: Es erklärte die Kündigung der Kassiererin "Emmely" für unwirksam. Sie hatte Pfandbons über 1,30 Euro eingelöst, die ein Kunde liegen ließ. Früher entschied das Gericht in solchen Fällen gegen die Arbeitnehmer - dieses Urteil wird die Rechtsprechung verändern. Zwei prominente Rechtsanwälte diskutieren die Folgen: Am Montag äußerte sich der Arbeitnehmer-Anwalt Ulrich Fischer; nun folgt sein Kollege Jobst-Hubertus Bauer.Er vertritt Arbeitgeber vor Gericht.SZ

Emmely und die Folgen (2): Arbeitgeber können sich über das Urteil im Fall Emmely nur wundern.

Arbeitgeber können sich über das Urteil im Fall Emmely nur wundern.

(Foto: dpa)

Das Emmely-Urteil hinterlässt auf Arbeitgeberseite eine gewisse Ratlosigkeit. Einerseits will das Gericht offenbar an dem richtigen Grundsatz festhalten, dass Vermögensdelikte gegen den Arbeitgeber auch ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können; unabhängig vom wirtschaftlichen Schaden. Andererseits lässt die konkrete Entscheidung eine Aufweichung der Maßstäbe befürchten.

Zu Recht stellt das Gericht klar, dass ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen kann, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist. Das Gericht rückt damit nicht von seiner berühmten Bienenstich-Entscheidung aus dem Jahr 1984 ab, die im Zuge der Emmely-Diskussion von verschiedener Seite stark kritisiert worden war. Damals hatte es die Kündigung einer Bäckereiverkäuferin für rechtens erklärt, die einen Bienenstich an sich genommen und gegessen hatte.

Alles andere wäre auch ein fatales Signal gewesen: Der Schutz von Eigentum und Vermögen gegen vorsätzliche Angriffe darf nicht unter einen "Geringfügigkeitsvorbehalt" gestellt werden. Diebstahl, Betrug und Unterschlagung sind eben in keinem Fall "Bagatellen", sondern strafbare Verletzungen der Rechtsgüter anderer Personen. Dies gilt unter Fremden und muss erst recht im Arbeitsverhältnis gelten.

Überraschend ist angesichts dieser klaren Maßstäbe die Entscheidung im konkreten Fall. Arbeits- und Landesarbeitsgericht hatten die fristlose Kündigung von Emmely für rechtmäßig gehalten. Das höchste Arbeitsgericht hat dies nun anders gesehen und die Sache nicht einmal an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, sondern die Kündigung für rechtswidrig erklärt.

Zur Begründung verweist es insbesondere auf die ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene 30-jährige Betriebszugehörigkeit, während der die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erworben habe. Dieses Vertrauen konnte nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts durch den "in vieler Hinsicht atypischen und einmaligen" Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört werden. Wenn man schließlich noch den relativ geringen Schaden berücksichtige, sei eine Abmahnung ausreichend gewesen. Man fragt sich, was an dem Sachverhalt außer der öffentlichen Aufregung eigentlich so atypisch gewesen sein soll. War es die Tatsache, dass es sich um einen Pfandbon handelte, den offenbar ein Kunde verloren hatte, und nicht um einen Griff in die Kasse?

Verwunderung über "Vertrauenskapital"

Verwundern muss auch die Betonung des "Vertrauenskapitals". Sicherlich mag im Einzelfall auch bei einer vorsätzlichen Schädigung ein Rest an Vertrauen erhalten bleiben, der die Basis für eine weitere Zusammenarbeit bilden kann. Die Vorinstanzen waren jedoch zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin ihr Vertrauenskapital restlos verbraucht habe. Angesichts der konkreten Umstände war dies eine nachvollziehbare Wertung: Hätte die Klägerin ihren Fehltritt eingestanden und versichert, dass Derartiges nicht mehr vorkommen werde, wäre es sicherlich nicht zur fristlosen Kündigung gekommen.

Statt dessen hatte sie schon im Zuge der Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers - und nicht erst im Prozess - versucht, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben und eine Kollegin sowie ihre Tochter verdächtigt, ihr die Pfandbons ins Portemonnaie gesteckt zu haben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Kassiererin direkten Zugriff auf das Vermögen des Arbeitgebers hat und an ihre Zuverlässigkeit deshalb besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. Dass das Bundesarbeitsgericht diesen Umständen offenbar so wenig Beachtung geschenkt hat, lässt befürchten, dass letztlich doch der geringe Schaden eine entscheidende Rolle bei der Abwägung gespielt hat.

Können Arbeitgeber mit der Entscheidung leben? Sicherlich. Arbeitgeber sind Kummer von der arbeitsrechtlichen Front zu Genüge gewohnt. Und dass eine Kündigung auch bei scheinbar klaren Sachverhalten ein Vabanquespiel ist: nichts Neues. Das Erfordernis einer Interessenabwägung, das auch im Fall Emmely den Ausschlag gegeben hat, soll der größtmöglichen Gerechtigkeit im Einzelfall dienen. Das ist ein legitimes Anliegen, das die Arbeitgeberseite selbstverständlich akzeptiert, auch wenn es zu schwer erträglicher Rechtsunsicherheit führt.

Wichtig ist, dass das Bundesarbeitsgericht im Grundsatz auch weiterhin uneingeschränkt den Respekt vor dem Eigentum und Vermögen anderer einfordert. Die Klägerin ist gerade noch einmal davongekommen. Wäre sie erst drei Jahre in dem Supermarkt beschäftigt gewesen und hätte sie nicht Pfandbons an sich genommen, sondern sich 1,30 Euro aus der Kasse geholt, wäre die Entscheidung sicher anders ausgefallen.

Letztlich hat die Entscheidung einen nicht zu unterschätzenden positiven Effekt: Die Diskussion um eine gesetzliche Regelung vermeintlicher Bagatellsachverhalte dürfte sich erledigt haben. SPD und Linkspartei hatten hierzu Gesetzentwürfe vorgelegt. Danach soll vor einer Kündigung wegen Vermögensdelikten, die sich auf geringwertige Gegenstände beziehen, in der Regel (so der SPD-Entwurf) oder sogar immer (so der Entwurf der Linkspartei) eine Abmahnung erforderlich sein. Ein solches Erfordernis würde die Motivation zu rechtstreuem Verhalten erheblich verringern, weil ja beim ersten Mal keine Kündigung zu befürchten ist.

Selbstbedienungsmentalität in den Betrieben würde geradezu gefördert. Das Bundesarbeitsgericht hat nun bewiesen, dass der Gesetzgeber nicht tätig werden muss - und zwar selbst aus Sicht derjenigen, die die Urteile der Vorinstanzen für einen Skandal hielten. Auch wenn es wahrscheinlich kein Richter des Senats zugeben wird: Die Vermutung liegt nahe, dass mit der Entscheidung auch ein politisches Ziel verfolgt wurde. Die öffentliche Stimmung sollte beruhigt und ein zweifellos schädliches Eingreifen des Gesetzgebers verhindert werden.

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