Emmely-Anwalt im Interview:"Das ist eine schwere Demütigung"

Benedikt Hopmann verteidigt Kassiererin Emmely, der wegen 1,30 Euro gekündigt wurde. Ein Gespräch über Gerechtigkeit, Erniedrigung und Karl Marx.

J. Bönisch

Der Anwalt Benedikt Hopmann vertritt die Kassiererin Barbara E. alias Emmely, die von der Supermarktkette Kaiser's entlassen worden war, weil sie zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Das Landesarbeitsgericht Berlin erklärte die Kündigung für rechtens. Dagegen haben Emmely und Hopmann Verfassungsbeschwerde eingereicht. Im Interview erklärt der Jurist, worauf er seine Verteidigung stützt, wie es seiner Mandantin geht und was der Prozess mit der Finanzkrise zu tun hat.

Emmely-Anwalt im Interview: Anwalt Benedikt Hopmann mit seiner Mandantin: Der 60-Jährige hat eine Kanzlei in Berlin.

Anwalt Benedikt Hopmann mit seiner Mandantin: Der 60-Jährige hat eine Kanzlei in Berlin.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Hopmann, Sie haben gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Verfassungsbeschwerde eingereicht. Wie lautet Ihre Argumentation?

Benedikt Hopmann: Wir bauen unsere Beschwerde auf zwei Säulen auf. Dafür verwende ich gern das Bild der Waage. Auf der einen Seite die Interessen der Supermarktkette Kaiser's, die ihr Vermögen schützen will. Auf der anderen Seite stehen die Interessen meiner Mandantin Emmely: In ihre Waagschale werfen wir ihre lange Betriebszugehörigkeit und den Kündigungsschutz, besonders für ältere Arbeitnehmer. Im Urteil neigt sich die Waage deswegen auf die Seite des Arbeitsgebers, weil das Landesarbeitsgericht kein Wort über das Gewicht der Interessen meiner Mandantin Emmely verliert. Die Beeinträchtigung der Interessen von Kaiser's werden dagegen stark überzeichnet. Für Kaiser's geht es nicht einmal um einen Schaden von 1,30 Euro, sondern nur um die Aussicht, 1,30 Euro zu erwerben - wenn sich der Kunde, der die Bons verlor, nicht wieder meldet. Emmely dagegen möchte nicht, dass ihr 31-jähriges Erwerbsleben zerstört wird. Für sie ist der Verlust ihres Arbeitsplatzes der Verlust ihrer Existenzgrundlage.

sueddeutsche.de: Was ist die zweite Säule ihrer Beschwerde?

Hopmann: Die Frage der Verhältnismäßigkeit. Sie wurde in diesem Fall überhaupt nicht gewahrt. Obwohl Emmely 31 Jahre untadelig gearbeitet hat, wurde sie ohne vorherige Abmahnung vor die Tür gesetzt - und das wegen eines so lächerlichen Betrages.

sueddeutsche.de: Das heißt, um die Frage, ob Emmely wirklich die beiden Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen hat oder nicht, geht es gar nicht mehr?

Hopmann: Richtig, diese Frage wollen wir nicht noch einmal aufwerfen. Sie kann das Bundesverfassungsgericht ohnehin nicht bewerten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die anderen beiden Punkte.

sueddeutsche.de: Die Gegenseite argumentiert, sie hätte ein Recht darauf, sich vor Unterschlagungen zu schützen. Zudem sei das Vertrauen in Emmely unwiederbringlich zerstört. Die Höhe des unterschlagenen Betrags spiele bei der Kündigung überhaupt keine Rolle.

Hopmann: Ja, nach dieser Argumentation ist es egal, ob es um 1,30 Euro oder 1300 Euro geht. Das ist schon eine juristische Meisterleistung der Abstraktion: Wenn Emmely nach 31 Beschäftigungsjahren wegen 1,30 Euro gekündigt wird, dann kann erst gar kein Vertrauen aufgebaut worden sein, wenn Sie mich fragen. Und wie gesagt: Es hätte zunächst eine Abmahnung geben müssen.

sueddeutsche.de: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Hopmann: Dazu kann ich keine Prognose abgeben. Ich bin selbst sehr gespannt, wie sich das Verfahren weiterentwickelt. Bis zu einer endgültigen Entscheidung kann es allerdings noch drei Jahre dauern - und ich hoffe sehr, dass das Interesse der Öffentlichkeit so lange wach bleibt.

sueddeutsche.de: Hat Sie das große Medienecho auf den Fall überrascht?

"Einen Fall Emmely gibt es einmal im Monat"

Hopmann: Emmely ist leider kein Einzelfall. Ich schätze, dass es bundesweit etwa einmal im Monat zu Kündigungen in ähnlich krasser Form kommt. Jeden dieser Vorgänge halte ich für einen Skandal. Deshalb überrascht mich nur, dass der Aufschrei erst jetzt zu hören ist. Nun haben wir die einmalige Chance, die bisherige Rechtsprechung zu korrigieren. Deshalb dringen wir auch auf eine Gesetzesänderung.

Kündigungsurteile Bienenstich, iStock

Entlassen wegen eines Stückchen Bienenstichs: eine Sammlung absurder Kündigungsurteile.

(Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Wie sollte das Arbeitsrecht Ihrer Meinung nach verändert werden?

Hopmann: Im Arbeitsrecht sollte festgehalten werden, dass der Arbeitgeber weder außerordentlich noch ordentlich kündigen darf, wenn der geltend gemachte Schaden gering ist - und eine Abmahnung wegen eines vergleichbaren Fehlverhaltens nicht vorliegt. Im Falle eines Vermögensdelikts ist der Schaden gering, wenn er geringwertig ist. Zudem sollte der Arbeitgeber das Fehlverhalten, auf das er seine Kündigung stützt, nachweisen müssen. Nachdem sich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch viele Politiker quer durch alle Parteien so empört gezeigt haben, hoffe ich, dass der Druck für eine solche Abwandlung jetzt groß genug ist.

sueddeutsche.de: Hängt das große Interesse am Fall Emmely auch mit der Finanzkrise zusammen?

Hopmann: Das halte ich für plausibel. Jeder normale Mensch stellt sich doch nun zu Recht die Frage: Wie kann es sein, dass Manager Millionenboni erhalten, für Banken Rettungsschirme gespannt werden - und eine Kassiererin wegen 1,30 Euro gekündigt wird?

Zudem haben wir seit Jahren eine stetig wachsende Sockelarbeitslosigkeit, die Frage nach dem Kündigungsschutz wird also für jeden Arbeitnehmer in Deutschland immer wichtiger. Hinzu kommt die Verschärfung der Sozialgesetzgebung und die Einführung von Hartz IV. Die Menschen wissen, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit abstürzen können. Also fürchtet sich jeder enorm vor dem, was Emmely geschehen ist. Die Leute sehen ihr eigenes Schicksal in ihr.

sueddeutsche.de: Wird das Klima zwischen Unternehmen und Angestellten in der Rezession rauer?

"Über meinem Schreibtisch hängt Karl Marx"

Hopmann: Auf den ersten Blick könnte man annehmen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden enger zusammenrücken. Aber dem ist überhaupt nicht so. Stattdessen offenbart die Krise einen elementaren Interessengegensatz zwischen Firmen und ihren Mitarbeitern: Der Gewinnmaximierung steht der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz entgegen. Beides geht nicht zusammen. Das ist ein abgrundtiefer Gegensatz.

sueddeutsche.de: Sie vertreten nur Arbeitnehmer, nie Arbeitgeber. Ist der Prozess für Sie auch eine ideologische Frage?

Hopmann: Solch ein Etikett sagt nicht viel aus, finde ich. Sagen wir lieber: Alles, was ich tue, tue ich deshalb, weil ich mich ganz bestimmten Interessen verpflichtet fühle. Aber wenn Sie es genau wissen wollen: In meinem Büro hängt ein großes Konterfei von Karl Marx, und gerade jetzt finde ich es sehr interessant, wieder in seinen Schriften zu lesen.

sueddeutsche.de: Sie selbst haben einen sehr interessanten Werdegang: Sie waren erst Straßenmusiker, dann Schlosser, Schreiner und aktiver Betriebsrat, bevor Sie sich mit 45 Jahren zum Jura-Studium entschlossen haben.

Hopmann: Richtig. Als ehemaliger Betriebsrat weiß ich, wie hart sich Arbeitnehmer bestimmte Rechte erkämpfen müssen und wie wichtig dabei eine gute Beratung ist. Ich habe diese Zeit als täglichen Kampf in Erinnerung. Als Anwalt möchte ich Menschen wie Emmely bei diesem Kampf unterstützen.

sueddeutsche.de: Sie und die Kassiererin Emmely auf der einen Seite - die Unternehmensgruppe Tengelmann mit einem Milliarden-Umsatz auf der anderen: Fühlen Sie sich da nicht manchmal wie David gegen Goliath?

Hopmann: Nein, denn ich stehe nicht alleine da, sondern bekomme große Unterstützung seitens der Gewerkschaften. Wenn schon, dann ist Emmely der David.

sueddeutsche.de: Wie geht es Ihrer Mandantin?

Hopmann: Emmely ist ein sehr kämpferischer Mensch. Aber solch eine Kündigung ist eine schwere Demütigung. Das steckt niemand einfach so weg.

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