Süddeutsche Zeitung

Elite-Unis in München:Das Elend der Massen

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Überfüllte Hörsäle, unmotivierte Studenten, Personalmangel: Wie es an der Elite-Universität LMU zugeht.

Die erste Elite-Entscheidung ist gefallen, und vor allem in München ist der Jubel groß. Denn sowohl die Universität (LMU) als auch die Technische Universität (TU) gehören zu den insgesamt nur drei jetzt ausgezeichneten Hochschulen. Doch in die allgemeine Elite-Euphorie mischen sich kritische Stimmen: Wo bleiben die Geisteswissenschaften, die bei den ebenfalls prämiierten Forschungsverbünden kaum auftauchen? Und auch wenn die Exzellenz-Initiative in der Tat nur auf die Forschung abzielt: Wie ist es um die Lehre an den ansonsten notorisch kurzgehaltenen Hochschulen bestellt? Wie sieht es an der Elite-Universität LMU in den Hörsälen und Seminarräumen aus? Unter welchen Bedingungen arbeiten Dozenten und Studenten dort etwa in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die eine ganze Reihe der klassischen Massenfächer stellen?

Die SZ bat drei Experten - und Betroffene - zur kritischen Bestandsaufnahme: Maren Täger ist Bildungssoziologin an der LMU, Martin Zimmermann ist Professor für Alte Geschichte an der LMU und Studiendekan seiner Fakultät, Thomas Honesz schließlich studiert Germanistik und ist Asta-Referent für Hochschulpolitik.

SZ: "Die Elite in der Sardinendose" - so hat der Asta seine Erklärung zum Elite-Titel für die LMU überschrieben. Darin sind Sie zitiert: Es sei "verlogen", von einem attraktiven Umfeld zu sprechen. Welche Probleme haben Sie als Student, Herr Honesz?

Honesz: Die LMU platzt aus allen Nähten, sie ist nur für die Hälfte der heutigen Studentenzahl ausgelegt. Deswegen fehlen schlicht und ergreifend Räume. Und es fehlen die Dozenten, um die vielen Studenten durch das Studium zu bringen. Seminare mit 100 Teilnehmern - da kann keine wirkliche Mitarbeit zustandekommen. Nur ein Beispiel aus der Germanistik: Der Mediävistik-Einführungskurs ist wichtig, um das Fach überhaupt weiterstudieren zu können. Die Hälfte der Leute hat keinen Platz mehr bekommen in diesem Semester. Bei denen wird sich das Studium nun wohl verzögern - das ist ein unhaltbarer Zustand, nicht zuletzt angesichts der Studiengebühren, die wir vom kommenden Semester an zahlen müssen.

Täger: Die personelle Ausstattung der Hochschulen hat sich angesichts der steigenden Studentenzahlen in den letzten zehn Jahren bundesweit nicht verbessert. Das geht aus den Daten des Statistischen Bundesamtes hervor.

Zimmermann: Die Lage ist in den einzelnen Fächern durchaus unterschiedlich. Einige kleine Disziplinen in den Kulturwissenschaften haben keine Probleme mit hohen Studierendenzahlen, in der Geschichtswissenschaft, meinem Fach, ist die Situation angespannt, aber nicht katastrophal. Überall jedoch hat vor allem der Mittelbau durch die Sparmaßnahmen seit 2001 stark gelitten. Das stellt einige Fächer insbesondere beim Grundstudium vor große Probleme. Einen Teil der Lehre deckt die Universität zudem mit Lehraufträgen ab. Diese erhalten oft Nachwuchswissenschaftler, die unentgeltlich oder für sehr wenig Geld den Lehrbetrieb aufrecht erhalten. Hier kann man durchaus von Ausbeutung sprechen.

Honesz: Die Lehrbeauftragten in der Ethnologie haben im vergangenen Semester gestreikt. Ihre Lage muss schon reichlich hoffnungslos sein, dass sie ihre Verantwortung gegenüber den Studenten nicht mehr wahrnehmen.

SZ: Wird sich all das mit dem prognostizierten Anstieg der Studentenzahlen noch verschärfen?

Zimmermann: Natürlich. Aber bislang hat niemand eine Vorstellung davon, wie man damit tatsächlich umgehen soll. Stattdessen gibt uns die Politik ständig eine ganz andere Forderung mit auf den Weg. Die Hochschulen insgesamt sollen ihre Absolventenquoten erhöhen, bis auf 40 Prozent eines Jahrgangs. Das ist aus meiner Sicht ein völlig verfehltes Ziel.

Honesz: Gleichzeitig mit diesem Ansturm müssen die Hochschulen auch noch alle Studiengänge auf die Abschlüsse Bachelor und Master umstellen. Bei uns wissen die Dozenten nicht, wie sie dieses lehrintensive Programm bewältigen sollen.

Täger: Man muss versuchen, die verschiedenen Stränge der unterschiedlichen Reformen einmal im Zusammenhang zu sehen. Die Einführung der Studiengebühren sowie der Bachelor- und Master-Studiengänge gehört dazu, aber beispielsweise ebenso auch die neue Besoldung der Professoren, weil auf allen Seiten damit die Erwartungen an die Lehre immens wachsen. Und es kommen außerdem die Maßnahmen zur Qualitätssicherung, aufwändige Evaluierungen und Akkreditierungen, auch in der Lehre dazu.

SZ: Wie steht München im Vergleich zum In- und Ausland insgesamt da?

Zimmermann: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Wenn ich mit Kollegen in Dresden oder Münster spreche, höre ich für das Fach Geschichte von viel schwierigeren Situationen, von Hauptseminaren mit 100 Teilnehmern zum Beispiel. So etwas haben wir glücklicherweise an der LMU nicht.

Täger: Überfüllt sind die Seminare in der Soziologie auf jeden Fall.

Zimmermann: Auch im internationalen Vergleich muss man differenzieren. Irreführend ist der Versuch von Politikern, unsere Universitäten pauschal mit denen in den USA zu vergleichen - damit entsteht ein völlig verzerrtes Bild. Die 400 schlechten Universitäten dort, Provinz-Hochschulen, die mitunter nicht einmal das Niveau einer gymnasialen Oberstufe bei uns halten, kommen in dieser Diskussion nie zu Sprache. Andernfalls wären deutsche Universitäten schon jetzt Spitze.

Täger: Betrachtet man die Ausgaben je Studierenden im OECD-Vergleich, so liegt Deutschland bei den Ausgaben für die Lehre auf Höhe des OECD-Ländermittels. Bei Investitionen für Forschung und Entwicklung liegt Deutschland dagegen in der Spitzengruppe. Das zeigt deutlich die Prioritäten: Das deutsche Hochschulsystem ist nach wie vor ein Forschungsmodell. In Großbritannien ist das anders, dort wird sehr großen Wert auf die Persönlichkeitsbildung gelegt, das französische ist ein reines Ausbildungsmodell.

Zimmermann: Der politische Wille in Deutschland ist offenbar, sich dem britischen Modell weitgehend anzunähern: Das achtjährige Gymnasium und das zweistufige Studienmodell mit Bachelor und Master sorgen dafür, dass auch wir rund 80 Prozent der Absolventen künftig mit 20 oder 21 mit einem Bachelor ins Berufsleben entlassen sollen. Wir bekommen also einer Art zusätzlicher Sekundarstufe. In England aber werden die jungen Leute betreuungsintensiv an den Universitäten unterrichtet und machen erst danach in den Unternehmen eine eigentliche Berufsausbildung. Nach diesem Modell hätte ich übrigens nicht Universitätsprofessor in München werden können. Denn ich habe mir den Luxus erlaubt, mich erst mit 25 zu entscheiden, meinen Schwerpunkt in der Wissenschaft und in der Alten Geschichte zu setzen. Solche Karrieren wird es zukünftig nicht mehr geben. Das ist gerade für Geisteswissenschaften fatal; der Nachwuchs dort braucht eben einen Reifungsprozess, um die Dinge sozusagen tief und weit denken zu können, und nicht schon mit 21 Jahren für immer auf eine Sache festgelegt zu sein.

SZ: Kann es unter solchen Bedingungen überhaupt eine Ausbildung geben, die die Nachwuchswissenschaftler zur viel beschworenen Spitzenforschung befähigt?

Täger: Eine geordnete Doktorandenausbildung in Graduiertenkollegs etwa, wie sie die Exzellenz-Initiative fördert, kann ich nur begrüßen. So wie ein Großteil des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Geistes- und Sozialwissenschaften derzeit promoviert - mit der Belastung in der Lehre, der Betreuungssituation - ist das nicht zielführend.

Honesz: Die schärfere Auswahl beim Übergang etwa von Bachelor- zum Master-Studium oder bei der Auswahl für die zusätzlichen Eliteprogramme benachteiligt diejenigen, die weniger Zeit haben fürs Studium, weil sie arbeiten müssen - tendenziell also die Kinder aus weniger wohlhabenden Familien.

Zimmermann: Wir leben heute noch mit der Illusion, dass wir das wissenschaftliche Niveau in der Lehre halten können. Das wird nicht gehen. Die Zahl der Lehrveranstaltungen ist beim Bachelor deutlich höher als beim herkömmlichen Magister, gleichzeitig aber sollen die Studienzeiten vier Semester kürzer sein. Wie sollen die Studenten diesen dichten Stundenplan bewältigen, ganz abgesehen davon, dass viele von ihnen nebenher arbeiten müssen?

SZ: Forciert die Exzellenz-Initiative, die nur auf die Forschung ausgerichtet ist, die Trennung von Forschung und Lehre?

Täger: Nach wie vor besteht eine Hierarchie in der Bewertung zwischen Forschung und Lehre. Vorzeigbare Erfolge hat man in der Forschung, sichtbar durch das Publikationssystem. Nur so wiederum bekommt man neue Ressourcen, Forschungsgelder, Stellen. Von einer guten Lehre hat man eigentlich nicht viel - außer ein noch höheres Arbeitspensum, weil der Zulauf größer wird.

Zimmermann: In den neuen Studiengängen müssen wir den Erfolg in den Lehrveranstaltungen viel stärker abprüfen, auch in den Vorlesungen. In diesem Semester habe ich ungefähr 280 Hörer in der Vorlesung. Wenn ich mir vorstelle, dass ich die alle prüfen müsste. . . Aber zurück zu Ihrer Frage: An der LMU denkt man bereits darüber nach, die Professoren nach Lehrern und Forschern aufzuteilen. Das wäre für die Ausbildung fatal, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Wenn man nicht ständig eigene Forschungsarbeiten verfolgt, verpasst man den Anschluss an den aktuellen Forschungsstand und nimmt diesen kaum mehr wahr. Wie soll man ihn dann aber an den Nachwuchs weitergeben?

Täger: Trotzdem, wenn Bund und Länder mit dem Hochschulpakt, um den sie sich derzeit noch streiten, tatsächlich zusätzliches Geld für so genannte Lecturer, für zusätzliche Lehrkräfte also, in die Universitäten geben, sollten die sich dem nicht verschließen. Die strikte Trennung jedoch zwischen Lehr- und Forschungsprofessuren wird sich in Deutschland sobald nicht durchsetzen.

Zimmermann: Da bin ich pessimistischer, der Umbau wird kommen.

Täger: Interessant wird sein, was mit den Einnahmen aus den Studiengebühren passiert. Sie sind zwar zur Verbesserung der Lehre da, aber nicht als Alternative zur Personalfinanzierung. Darauf müssen die Studentenvertreter pochen, Herr Honesz.

Honesz: Das versuchen wir natürlich. Aber in einigen Fakultäten sind wir tatsächlich vor die Wahl gestellt, das zu akzeptieren oder aber auf zusätzliche Lehrkräfte zu verzichten. Ebenso stehen wir mitunter vor dem Dilemma, dem Ausbau von Räumen aus den Einnahmen zuzustimmen, damit die Lehre überhaupt stattfinden kann.

Zimmermann: Das geht eigentlich nicht. In unserer Kommission, die über die Verwendung der Gebühren nachdenkt, schlagen die Studierenden gemeinsam mit den Lehrenden vor, dass die Exkursionsmittel erhöht, die Bibliotheksöffnungszeiten verlängert oder Tutorenstellen eingerichtet werden. Ohnehin gehen etwas mehr als 50 Prozent der 500 Euro in die Lehre, der Rest wird für Verwaltung oder etwa Rücklagen verbraucht. Trotzdem lässt sich mit dem Restbetrag eine Verbesserung der Lehre erreichen, wenn auch keine großen Sprünge möglich sind.

SZ: Was könnten die Fächer denn tun, um die Situation in der Lehre zu verbessern?

Zimmermann: Sie sollten die Auswahl ihrer Studenten konsequent vorantreiben und nicht geeignete Kandidaten notfalls in den ersten Semestern auch verantwortungsvoll rausprüfen. Allein mit der Einführung eines Eignungsfeststellungsverfahrens ist die Zahl der potentiellen Studienanfänger, derer also, die sich zu dem Test anmelden, um 50 Prozent gesunken. Wir haben seit längerem Abbrecherquoten von rund 60 Prozent, was gesellschaftspolitisch nicht vermittelbar ist. Viele Studierende sind ganz offensichtlich nur deshalb an der Universität, weil sie nicht wissen, was sie sonst machen sollen. Sie interessieren sich überhaupt nicht für das Fach, das sie studieren. Und es fehlen ihnen oft die nötigen Schlüsselqualifikationen wie Textverständnis. Mit einer Auswahl ließe sich in vielen der Massenfächer die Zahl der Studierenden deutlich senken. Das hätte allerdings auch erhebliche gesellschaftliche Folgen.

Überspitzt gesagt, übernehmen die Universitäten ja in Deutschland noch die wichtige Funktion, einen Teil der jungen Leute von der Meldung der Arbeitslosigkeit fernzuhalten und ihnen sozusagen für ein bis zwei Jahre ein Refugium zu gewähren, in dem sie sich umorientieren und sich einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeit suchen können.

Täger: In der Soziologie machen wir die gleiche Erfahrung. Wir hoffen und gehen davon aus, dass das Eignungsfeststellungsverfahren unsere Abbrecherquote deutlich reduziert. Die Dozenten stellen eine steigende Motivation bei den Studenten fest. Und auch die Studenten selbst, so habe ich einer Befragung feststellen können, sehen das so. Sie akzeptieren die Verfahren.

Honesz: Das ist von Fach zu Fach sehr unterschiedlich. Die Politikwissenschaft beispielsweise hat nach Meinung der Studenten eine Eingangsprüfung, die das Wissen des Einführungskurses schon voraussetzt. Insgesamt stellt sich bei solchen Prüfungen die Frage, wozu dann noch das Abitur gut ist.

Täger: Die Abiturnoten sind nach wie vor der beste Prädiktor für den Studienerfolg.

SZ: Haben die Geistes- und Sozialwissenschaften angesichts der auf Naturwissenschaft und Technik ausgerichteten Elite-Euphorie denn überhaupt noch eine Lobby?

Zimmermann: Schwer zu sagen. Sie haben jedenfalls gute Chancen, sich in dem Elite-Programm der Exzellenz-Initiative zu positionieren, wenn man, wie jetzt wohl beabsichtigt ist, taugliche Förder-Formate schafft. Ein Forschungsverbund mit mehr als sechs Millionen Euro pro Jahr ist einfach zu groß und dürfte eher schlecht funktionieren. Ich koordiniere einen Schwerpunkt der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 900.000 Euro pro Jahr, zu dem insgesamt zwölf Forschungsprojekte gehören, daher weiß ich, wie schwierig es ist, schon eine solche Summe in einem Forschungsverbund zielführend einzusetzen. Bei überschaubaren Clustern steckt jedoch ein beachtliches Potential in den Geisteswissenschaften.

Täger: Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen aufpassen, dass sie am Ball bleiben angesichts des Zeitgeistes, der auf Ökonomisierung und Verwertbarkeit von Bildung setzt.

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Quelle:
Moderation: Martin Thurau<p>SZ vom 2.11.2006</p>
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