Süddeutsche Zeitung

Einzel-Assessments:Ein Tag unter Dauerfeuer

Auf der Suche nach dem idealen Kandidaten verschärfen Firmen ihre Auswahlverfahren. Immer mehr Bewerber müssen sich in Einzel-Assessments beweisen - bis zu zwölf Stunden.

Julia Bönisch

So viel Auswahl war nie: Nach Master- und Diplomstress erwarten Akademiker auf ihrem Weg zum guten Job gleich die nächsten Prüfungen. Mittlerweile setzen 60 Prozent aller Firmen Assessment-Center (AC) zur Personalauswahl ein, Tendenz steigend. Wollen Absolventen bei einem großen Unternehmen anheuern, begegnet ihnen diese Prüfung so gut wie sicher.

Für die Kandidaten bedeutet ein Assessment Center Stress pur. Sie stehen unter dauernder Beobachtung: Vor Psychologen, Mitgliedern der Personalabteilung und ihren zukünftigen Vorgesetzten müssen sie eine Vielzahl von Übungen absolvieren. Selbst ihr Verhalten in der Mittagspause und ihre Tischmanieren werden notiert, analysiert und fließen in ihre Beurteilung ein.

Anstrengende Einmannshows

Kein Wunder, dass in Bewerberforen einige Horrorgeschichten zum Thema kursieren. "Schreckliche Erfahrung" ist dort zu lesen, von "Psychospielchen" ist die Rede, mit denen Kandidaten gehörig unter Druck gesetzt werden. "Ein Psychologe glaubt wirklich, einen nach einem halben Tag Kennenlernen als Person umfassend beurteilen zu können. Im Feedbackgespräch verlässt er die rein sachliche Ebene und wird persönlich. So etwas habe ich noch nie erlebt!"

Noch belastender sind sogenannte Einzel-Assessments, in denen sich Anwärter nicht mehr in einer Gruppe beweisen, sondern das komplette Programm allein durchstehen müssen. Noch führen Unternehmen die Einzel-ACs hauptsächlich für Führungspositionen durch, denn mit mindestens 3500 Euro für ein standardisiertes Verfahren ist die Veranstaltung relativ teuer. Doch nach und nach setzen sich die Einmannshows auch für andere Positionen durch.

"Der Grund ist simpel", sagt der Psychologe Andreas Klug, der Einzel-Assessments konzipiert und durchführt. "In einer Gruppe sind die Kandidaten immer von der Leistung der anderen abhängig, die Ergebnisse können leicht verfälscht werden." Diskutieren bei einer Aufgabe acht enttäuschende Kandidaten miteinander, wirke der Mittelmäßige wie ein Experte. Findet er sich aber in einer Gruppe mit lauter extrovertierten Diskutanten wieder, wirke der gleiche Bewerber plötzlich zurückhaltend und meinungsschwach.

Auf der nächsten Seite: Welche Aufgaben Bewerber in Einzel-ACs erwarten und wie sie sich darauf vorbereiten können.

Entscheidung unter Stress

Solche Abhängigkeiten können Einzel-ACs reduzieren. Gruppensituationen werden simuliert, in denen die Rollen der Beteiligten im Vorhinein genau definiert sind. So kann ein Unternehmen Bewerber genauer einschätzen. Daneben müssen sich Kandidaten in Konflikt- und Kundengesprächen beweisen, Management-Fallstudien durchführen und in Interviews ihre Motivation und Führungsstärke unter Beweis stellen.

"Im Einzel-Assessment geht es nicht so sehr um Fachwissen", erklärt Klug. "Wir testen, ob ein Kandidat die nötigen analytisch-strategischen Kompetenzen mitbringt." Die Übungen seien nicht nur für das Unternehmen sinnvoll, sondern auch für den Bewerber. "Die Tests orientieren sich an den späteren Aufgaben. Wer sich davon überfordert fühlt oder keinen Spaß daran hat, weiß mit ziemlicher Sicherheit, dass der Job nichts für ihn ist."

Der psychische Stress, der mit dem Durchlauf einer solchen Testbatterie verbunden ist, ist vergleichbar mit einem Tag unter Dauerfeuer. Eine klassische Übung etwa ist die sogenannte Postkorb-Aufgabe: Dabei bekommt der Kandidat eine mit Aufgaben gefüllte Ablage. Er soll nun selbständig entscheiden, was wichtig ist und sofort erledigt werden muss, und was noch warten oder delegiert werden kann. Dazu bekommt er ein strenges Zeitlimit, Rückfragen sind nicht gestattet. Bei diesem Test kommt es darauf an, einen klaren Kopf zu bewahren und zu zeigen, auch unter Stress sinnvolle Entscheidungen treffen zu können.

Neben dieser Postkorb-Übung gibt es weitere Klassiker wie konfliktgeladene Rollenspiele, die in vielen ACs angewandt werden. Da solche Übungen mittlerweile bekannt sind, kann sich auch jeder Kandidat darauf vorbereiten, glaubt Silke Hell. Die Psychologin arbeitet an der Universität Hohenheim im Career Center und unterstützt Studenten beim Übergang in den Beruf. Sie können in der Beratungsstelle auch einen Assessment-Center durchlaufen - zu Übungszwecken.

Auf der nächsten Seite: Können Bewerber sich verstellen und schummeln? Wie aussagekräftig sind Einzel-ACs?

"Bestleistungen kann man nicht vortäuschen"

"Wenn sich der Bewerber im Vorhinein intensiv mit der ausgeschriebenen Stelle und seinen eigenen Stärken und Schwächen auseinandersetzt, kann er sich sehr gut auf ein AC vorbereiten", sagt Hell. Präsentations- und Moderationstechniken etwa seien gut einzustudieren, genauso wie das Verhalten in klassischen Management-Situationen.

Doch wenn die Aufgaben im Vorhinein bereits bekannt sind, können sich Bewerber nicht bewusst verstellen? "Nur bis zu einem gewissen Grad", glaubt Hell. "Doch Bestleistungen kann man nicht vortäuschen."

Auch der Psychologe Andreas Klug hält Einzel-Assessments für die beste Methode, einen Bewerber kennenzulernen. Den miserablen Ruf, den ACs genießen, hält er für völlig unbegründet. Nur bei schlechten Assessments würden Kandidaten in die Enge getrieben. "Gut konzipierte Tests dagegen minimieren das Risiko einer Fehleinstellung deutlich. Die kann eine Firma schnell ein Jahresgehalt kosten", sagt Klug. "Dagegen verursacht ein AC nur ein Bruchteil der Kosten."

Freundliches Desinteresse

Silke Hell ist da nicht ganz so optimistisch: "Ein Assessment-Center sagt nur sehr bedingt etwas aus über die Eignung eines Bewerbers." Im Vergleich zu anderen Instrumenten bei der Personalauswahl seien ACs dennoch am erfolgversprechendsten. "Am besten funktionieren sie in Kombination mit Leistungstests und strukturierten Interviews", so Hell.

Verschiedene Studien belegen, dass es für Beobachter nahezu unmöglich ist, sich in der Testsituation ein differenziertes Urteil über einen Teilnehmer zu bilden: Was zählt, ist der Gesamteindruck, doch ob ein Bewerber zielstrebig, fokussiert oder entscheidungsfreudig ist, können Personaler nicht im Einzelnen beurteilen. Persönliche Stärken und Schwächen fallen nicht auf.

Fehlurteile sind also nicht auszuschließen. Zumal ein Assessment-Center nicht nur für den Kandidaten anstrengend ist. So berichtete ein von der Personalabteilung gequälter Teilnehmer im Anschluss an die Veranstaltung von "freundlichen, aber desinteressierten Beobachtern, denen zum Ende die Erschöpfung deutlich anzumerken war".

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