Süddeutsche Zeitung

Einwanderer in den USA:Wie es sich anfühlt, ein Problem zu sein

Seit dem 11. September 2001 kämpfen junge Araber in den USA um ihre Stellung. Für sie ist es nicht mehr normal, nach dem Studium zu bleiben.

I. Donner

Es war nachts, als sie kamen. Rasha schlief, riss die Augen auf. Da stand ein Polizist vor ihr, rüttelte sie wach. Sie solle sich anziehen, sagte er im offiziellen Beamtenton, die anderen wären schon unten. "Hände zusammenhalten, als würdest du beten", befahl er. Rasha und ihre Familie wurden in Handschellen weggebracht.

Die Fenster im Polizeibus waren verdunkelt, Rasha konnte nicht sehen, wohin sie fuhren. Im Frauengefängnis in New Jersey zeigte ihr der Polizist Fotos von Terroristen. "Wer ist das?", fragte er sie. Doch Rasha sah die Männergesichter zum ersten Mal. Ein Beamter der Einwanderungsbehörde sagte ihr, dass sie das Land säuberten, und sie und ihre Landsleute seien der letzte Dreck.

Peiniger aus dem Frauengefängnis

Rasha ist einen Meter sechzig groß, ihre Lippen glänzen hellrosa und ihre glatten dunklen Haare sind streng zusammengebunden. Drei Monate saß sie und ihre Familie ohne Grund im Gefängnis. Sie sagt: "Das war nicht Justiz. Das war Rache." Drei Monate nach ihrer Freilassung fuhr Rasha mit ihren Freunden in das Lokal Chili's am Times Square. Da sah sie ihn, ihren Peiniger aus dem Frauengefängnis. Sie erstarrte. Selbst wenn man sein halbes Leben in New York wohnt, kann man jeden Tag in einem anderen Restaurant essen, ohne einem Bekannten zu begegnen. Und ausgerechnet hier saß er.

Rasha zitterten die Knie. "Hi", sagte sie. Er drehte sich um, "hi", entgegnete er, ohne sich an sie erinnern zu können. "Weißt du, erstens hätte ich gar nicht dort sein sollen, wo ich drei Monate meines Lebens verschwendet habe", begann sie, "und zweitens, solltest du lernen, dass man Menschen nicht wie Kakerlaken behandelt." Während sie ihre Ansprache hielt, spürte sie, wie sie ihre Würde zurückgewann.

Religion, Freunde, Werte, Wünsche

Rasha und ihre Familie sind syrische Muslime. Sie war fünf Jahre alt, als ihre Familie von Damaskus nach Brooklyn zog. Eine Woche nach ihrem neunzehnten Geburtstag wurde sie verhaftet. Es ist das Alter, indem man sich mental an einem Scheideweg befindet. Religion, Freunde, Werte, Wünsche verbinden sich plötzlich mit Erfahrungen, und die Ahnung einer Identität stellt sich ein.

Das gilt wohl für jeden in diesem Alter, aber für arabische Muslime ist es weitaus komplizierter. Wie gehen die heute Zwanzigjährigen mit dem Spagat zwischen gelebter Tradition ihrer Eltern und ihrer eigenen amerikanischen Sozialisation um? Wie reagieren sie auf öffentliche Diffamierungen aufgrund ihrer Religion? Rasha hat im Rahmen eines Graduiertenprogramms der Vereinten Nationen ihre Diplomarbeit über Internationale Beziehungen geschrieben, für die sie sich nach ihrem Studium für ihr Heimatland einsetzen möchte.

Die neuen Schwarzen der Gesellschaft

Moustafa Bayoumi, Professor am Brooklyn College, hat ein Buch mit dem Titel "How does it feel to be a Problem?" veröffentlicht, in dem er die Geschichten von jungen arabischen Muslimen in Amerika erzählt. Bayoumi greift die Frage, wie es sich anfühlt, ein Problem zu sein, aus W.E.B. Du Bois' Buch "The Souls of Black Folk" auf, der diese Frage den Afroamerikanern im Jahre 1903 gestellt hatte. Bayoumi fragt schließlich, ob die Araber die neuen Schwarzen der amerikanischen Gesellschaft seien.

23 U-Bahn-Haltestellen vom Times Square entfernt liegt Bay Ridge, eines der Araberviertel in Brooklyn. Es ist drei Uhr nachmittags. Überall in den Straßen stehen junge Leute, in den Hauseingängen, am Kiosk, sie treffen sich im Videospieleladen. Jeder kennt jeden. Wer in Bay Ridge wohnt, dessen Welt umfasst genau fünf Blocks die 5th Avenue Brooklyns hinunter, drei in Richtung East River und ein paar ins Innere Brooklyns hinein.

Auf der nächsten Seite: Wie es sich anfühlt, wenn plötzlich Freunde verschwinden.

Gewalttätige Übergriffe

Kein Araber verlässt dieses überschaubare Raster gern und nur, wenn er muss. Khalid steht vor einem Kiosk und sagt, dass die gewalttätigen Übergriffe wie sie in den Wochen nach den Anschlägen des 11. September statfanden, seltener geworden seien, aber "geht wieder nach Hause, wo ihr hingehört" höre der 17-Jährige in Manhattan, wo er arbeitet, ständig.

In einem kleinen Anwaltsbüro an der Hauptstraße arbeitet Sarah Mensy, 21 Jahre alt und muslimische Ägypterin. Sie eilt ins Hinterzimmer, dämpft die Stimme und sagt, dass hier niemand ehrlich mit uns sprechen werde. "Ich persönlich habe stets im Hinterkopf, was meinem Freund passiert ist", sagt sie. Es war vor genau drei Jahren, im Sommer 2005, als ihr Freund sie anrief. "Er hat nur einen Treffpunkt durchgesagt. An seinem Tonfall habe ich sofort gemerkt, dass es ernst ist. Ich habe gar nicht erst nachgefragt, worum es geht, ich wusste, dass er nicht am Telefon darüber sprechen würde", erzählt Sarah.

Nicht mehr verstecken

Sie trafen sich unter der Verrazano Bridge in Brooklyn, die Wasserpfeife kreiste. Einer seiner Freunde war verschwunden. "Vier Jahre war er einer seiner engsten Freunde gewesen", erzählt Sarah. "Doch alles, sogar sein Name, war nur eine Lüge gewesen." Sarahs Freund hatte herausgefunden, dass sein Kumpel ein verdeckter FBI-Ermittler war. Er hatte sich die Freundschaft des 23-jährigen Palästinensers erschlichen, um ihn, seine Familie und seine Freunde, auch Sarah, und die kleine Gemeinde hier in Bay Ridge auszuspionieren. Nachdem er als Zeuge in einem Terror-Prozess in Brooklyn aussagen musste, verschwand er. "Mein Freund war tief getroffen", sagt Sarah, "Er wusste nicht mehr, was echt und was am Ende nur Job war."

Und dann sagt Sarah etwas, wofür sie sich gleich wieder entschuldigt. Sie sagt, dass die Folgen des 11. September auch etwas Gutes gehabt hätten, weil die Muslime aus ihrer passiven Rolle herausgezwungen worden seien. Ihr Vater habe damals, nach den Anschlägen auf das World Trade Center, immer wieder gedrängt, dass sie ihr Kopftuch abnehme. "Aber ich will mich nicht verstecken. Ich stehe zu meinem Glauben, stärker als je zuvor." Sie sitzt aufrecht in ihrem Stuhl. Ihre anfängliche Nervosität ist verschwunden. "Stärker, weil ich mir schnell klarmachen musste, wer ich bin, wo ich herkomme.

So wenig Angriffsfläche wie möglich

Sie trägt ein weißes Kopftuch, das mit einer Nadel zusammengehalten wird, von der Strasssteine herabbaumeln. Sie ist geschminkt und trägt ein bodenlanges Blumenkleid mit Spaghettiträgern. Ihre Arme sind bis zum Handrücken von einem hautengen, langärmligen Hemd bedeckt. "Ich achte sehr darauf, dass mein Äußeres perfekt ist und gleichzeitig meinem Glauben entspricht", sagt sie und lacht. "Ich biete so wenig Angriffsfläche wie möglich. Mein Kopftuch reicht."

Neulich sagte eine Afroamerikanerin zu ihr: "Du stinkst!" Sarah konnte nicht verstehen, warum ausgerechnet eine Schwarze sie so beleidigen konnte, die solche Diskriminierungen selbst zu hören bekommt. Langfristig will Sarah nach Ägypten zurück. Im Herbst beginnt sie ihr Jurastudium und als Anwältin will sie in ihrer Heimat erfolgreich werden.

Auf der Rückfahrt heißt die vierte Station nach der Brooklyn Bridge World Trade Center. Vor sechs Jahren saß Yasmin hier, fuhr die gleiche Strecke von Bay Ridge zum Hunter College. Hier las eine weiße Amerikanerin zum Jahrestag der Anschläge die New York Times, als sie die damals Sechzehnjährige laut beschimpfte, sie seien nicht erwünscht, sie sollten zurückgehen in ihre Heimatländer. Yasmin sagt, dass das wehtut.

Kampf um den Platz in der Gesellschaft

Die Luft ist lau an der Upper East Side, dem Ghetto der Gutverdiener. An der Ecke Lexington und 68. Strasse liegt das Hunter College. Seit einem Jahr führt die heute 22-Jährige hier die Erstsemester in Internationales Menschenrecht mit dem Schwerpunkt auf Frauenrecht ein. Eigentlich wollte Yasmins Vater, dass sie Ärztin wird, weil sich niemand traut, eine Ärztin zu diskriminieren. "Doch meine Generation ist fortschrittlicher und liberaler als die unserer Väter", sagt sie.

Sie konnte den Islam in seiner reinen Form lernen und gleichzeitig in der westlichen Kultur Amerikas leben. "Mein Vater ist noch mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Frauen die zweite Klasse der Gesellschaft sind - was kulturell, nicht religiös bedingt ist. Sie haben nie gelernt, frei heraus zu sagen, was sie denken", erklärt sie weiter. Und trotzdem hat sie es gerade hier schwer. "Auch wenn ich in Amerika geboren und aufgewachsen bin, hätte ich es in der Heimat meiner Eltern leichter, denn da sind wir alle gleich", sagt Yasmin, die ebenfalls seit ihrer Kindheit ein Kopftuch trägt. Hier aber kämpft sie täglich um ihren Platz in der Gesellschaft und um die Akzeptanz der Menschen, sie ihren Weg gehen zu lassen.

Auf der nächsten Seite: Wwie gut freie Meinungsäußerung begründet sein muss.

Entscheidung zwischen Religion und Pflicht

Alles hatte mit der Frage begonnen, ob jemals ein Amerikaner eine Frau mit Kopftuch ins Schulsprecherkommitee wählen würde. Als Muslimin darf Yasmin keinen Alkohol trinken, nicht tanzen. Sie darf auch nicht in einem Raum sein, von dem sie weiß, dass genau das dort stattfinden wird. Und nun rückte der Abschlussball näher, ein Muss für das Schulsprechergremium.

Yasmin sollte ihr Amt niederlegen. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich zwischen ihrer Religion und ihren Aufgaben entscheiden sollte, für die sie demokratisch gewählt worden war. "Amerika steht als System für: Kämpfe für das, woran du glaubst. Und genau das wurde mir nun verboten", sagt sie. Ein Jahr lang durchforstete Yasmin das Internet und Rechtsliteratur auf der Suche nach Argumenten für ihren Fall. Seitdem weiß sie, wie gut freie Meinungsäußerung begründet sein muss.

Yasmin brachte ihren Fall vor Gericht und gewann. Als neu gewählte Schulsprecherin wollte sie einen Informationskurs über den Islam einführen. Der wurde abgelehnt. "Ein Fehler!", findet sie. "Gerade in Brooklyn, wo so viele Nationen aufeinanderprallen, ist es doch die Aufgabe der Schule, auf die unterschiedlichen Belange ihrer Schüler einzugehen und Toleranz auszubilden. Das würde diesen Ort so wesentlich angenehmer für alle machen."

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Quelle:
SZ vom 11.9.2008/bön
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