Einstellungstest:Bewerbungsgespräch bei einem Computer

Ein Personalvermittler nutzt eine Sprachsoftware, um die Persönlichkeit seiner Bewerber zu analysieren. Was kann die über sie herausfinden? Ein Selbstversuch.

Von Miriam Hoffmeyer

Woman working at home

Aus Stimmhöhe, Sprechtempo und Wortkombinationen schließt das Programm, wie stark beispielsweise Neugier, Leistungsbereitschaft und Verträglichkeit ausgeprägt sind.

(Foto: Getty Images)

Die männliche Ansagestimme klingt nett, aber ich traue ihr nicht über den Weg. "Beschreiben Sie ein besonders schönes Erlebnis, das Sie in den letzten Wochen hatten", fordert mich die Stimme vom Band auf. Zwanzig Minuten lang soll ich ins Telefon sprechen, dann wird die Aufzeichnung durch ein Sprachanalyseprogramm geschickt. Woraufhin das Programm meine Persönlichkeit errechnen soll. Neugier, Kontaktfreude, Leistungsbereitschaft, emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Selbstorganisation, Statusorientiertheit, Risikobereitschaft - alle diese Eigenschaften werden automatisch gemessen, eingeordnet und grafisch dargestellt. Komische Vorstellung.

Widerstrebend beginne ich, dem Computer von meinem Urlaub zu erzählen. Sobald mir nichts mehr einfällt, werden weitere Fragen abgespielt: Wie ein schöner Sonntag für mich aussehe? Welche berufliche Situation mir unangenehm sei? Endlich habe ich genug geredet, nun muss ich ein paar Tage auf die Auswertung warten.

Was Sprache über den Menschen aussagt, der sie verwendet, wird schon seit den Siebzigerjahren psychologisch erforscht. Weltweit arbeiten Computerlinguisten daran, die Automatisierung auch dieser Prozesse zu verbessern. Dirk Gratzel, Mitgründer des Aachener Start-ups Precire ist überzeugt, dass seine Software bereits brauchbare Ergebnisse liefert: "Wir sind heute auf einem Niveau, wo man sagen kann: Das funktioniert zuverlässig. Die Technik wird aber immer noch genauer und schneller werden."

Die Precire-Software misst zum einen Merkmale wie Stimmhöhe, Lautstärke, Modulationsfähigkeit, Sprechtempo und Rhythmus. In einem zweiten Verfahren erfasst sie, welche Worte verwendet und wie sie mit anderen kombiniert werden. Der Inhalt des Gesprochenen ist dabei völlig egal. Aus Tausenden von Messergebnissen konstruiert Precire ein sprachliches Muster und gleicht es automatisch mit den gespeicherten Mustern ab.

Den Auswertungen liegen psychologische Tests zugrunde

Dafür ist eine sogenannte Referenzgruppe notwendig: Menschen, deren persönliche Eigenschaften mithilfe herkömmlicher psychologischer Tests untersucht wurden und die dann Sprechproben abgeliefert haben. Aus diesen Proben wurden die Muster gewonnen, auf die das Programm beim Abgleich zurückgreift. Die Precire-Auswertungen basieren auf den Sprechproben von rund 5000 Personen, eine respektable Größe. Aus neuen Sprechproben kann die Software allerdings nicht automatisch dazulernen.

Und was ist, wenn jemand nuschelt oder stark Dialekt spricht? Und wieso dauert die Auswertung überhaupt so lange? Dirk Gratzel erklärt, dass die Analyse der verwendeten Wörter und Wortkombinationen bisher nur anhand von schriftlichen Texten möglich sei. Was ich der Ansagestimme erzählt habe, wurde also automatisch verschriftlicht. Weil Computer das noch nicht perfekt können, werden die Texte danach von Menschen kontrolliert und korrigiert - es gebe da spezialisierte Dienstleister, sagt Gratzel. Vor meinem inneren Auge steigt das Bild einer Hilfskraft auf, die sich in einer muffigen Gewerbehalle durch anonymisierte Bruchstücke meiner Urlaubserinnerungen quält.

Eingesetzt wird die Software auch in der Personalentwicklung

Zum Glück lenkt mich meine Auswertung ab, 13 Seiten mit vielen übersichtlichen Grafiken. Precire hat bei mir ein hohes Sprechtempo, einen großen Wortschatz und eine Neigung zu relativierenden Füllwörtern festgestellt. Tja, das trifft wohl tatsächlich zu. Die Stressbelastungswerte sind in Ordnung.

Dann geht es ans Eingemachte, meine Charaktereigenschaften. "Sie sind ausgesprochen neugierig und wissbegierig", so Gratzel. Auch Leistungsbereitschaft, Anerkennungsbedürfnis, Ausdauer seien stark ausgeprägt, die Risikobereitschaft eher gering. Ansonsten: Durchschnitt. Weil in meiner Sprechprobe so viele positive Worte vorkommen, ordnet mich Precire abschließend dem Typ "Optimist" zu. Das ewig gut gelaunte, neugierige Fleißbienchen also. Da ist ja schon wieder etwas dran.

Trotz Datenschutz erscheinen die Risiken derartiger Programme groß. Im Personalbereich, für den Precire ursprünglich gedacht war, kommt es wohl auch deshalb bisher kaum zum Einsatz. Ein viel größeres Geschäftsfeld für Gratzels Firma, die etwa 30 Beschäftigte hat, ist die Analyse geschriebener Texte wie Kundenbewertungen oder Werbebroschüren. Derzeit nutzt nur der Personalvermittler Randstad die Software für die Personalauswahl, nämlich in Bewerbungsverfahren für neue Disponenten. Seit 2015 haben etwa tausend Bewerber die automatische Sprachanalyse durchlaufen. Randstad bildete hierfür eine eigene Referenzgruppe aus seinen erfolgreichsten Mitarbeitern.

"Uns ist wichtig, dass die Bewerber mit einem gewissen Elan an Aufgaben herangehen, emotional stabil und belastbar sind", sagt Andreas Bolder, Personalleiter Randstad Deutschland. Precire habe sich gut bewährt. "Herkömmliche Persönlichkeitsfragebögen kann man manipulieren, aber seine Sprache kann man nicht verstellen." Es gebe aber immer auch ein persönliches Bewerbungsgespräch, betont Bolder: "Es ist nicht so, dass der Algorithmus entscheidet, wer eingestellt wird."

Erst Sprachtest, dann passendes Kommunikationsseminar

Die Frankfurter Fraport AG verwendet die Software seit anderthalb Jahren in ihrer Personalentwicklung. Ziel ist es, die kommunikativen Fertigkeiten von Führungskräften zu verbessern. "Wir haben nach Verfahren gesucht, um eine größere Anzahl von Menschen mit geringerem Aufwand diagnostizieren zu können", sagt Volker Casper, Leiter der Fraport Personalentwicklung. "So etwas ist normalerweise sehr aufwendig und kostet viel Geld, weil die Leute einen ganzen Tag lang Aufgaben unter Beobachtung lösen. Precire liefert dasselbe einfacher und schneller."

Entsprechend den Ergebnissen werden den Teilnehmern bestimmte Kommunikationsübungen auf einer internen Weiterbildungsplattform empfohlen, etwa den bewussten Einsatz von Pausen beim Sprechen. Das Programm ist mitbestimmungspflichtig, 90 von 145 Fraport-Führungskräften der dritten Ebene nehmen teil.

Zurück zum Selbstversuch: Trotz allem bleiben Zweifel an der Unfehlbarkeit der Software. Deshalb mache ich zum Vergleich noch einen Persönlichkeitstest im Internet ("16 Personalities"), der auf dem vor über fünf Jahrzehnten eingeführten Myers-Briggs-Typenindikator beruht und in ähnlicher Form von Personalern vieler internationaler Unternehmen angewendet wird. Fünf Eigenschaften werden getestet. Drei der Ergebnisse vertragen sich gut mit meiner Precire-Auswertung, die anderen beiden weniger: Mit meiner Neugier ist es demnach gar nicht so weit her, dafür stimmt die Selbstorganisation. Tja, da ist schon wieder was dran, auch wenn mir das Precire-Ergebnis eigentlich besser gefiel. Fest steht jedenfalls: Precire ist nicht unpräzise. Relativ gesehen.

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