Ein Nachruf:Unsere Universität ist tot

Der Elite-Wettbewerb, ein Verrat an der Wissenschaft: Die deutschen Hochschulen drohen Geist und Orientierung zu verlieren.

Dieter Borchmeyer

"München hat die besten Universitäten" verkündete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 14./15. Oktober. Die beiden Münchener Universitäten sollen zusammen mit der Technischen Universität Karlsruhe die deutschen "Elite-Universitäten" sein. Niemand würde ihnen diesen Titel missgönnen, wenn er tatsächlich in einem breiten Spektrum gründete. Doch das wurde durch den Exzellenzwettbewerb mitnichten festgestellt, sind es doch allein Natur- und Ingenieurswissenschaften, die ihnen den Titel eingebracht haben. Was aus der halboffiziellen Titelverleihung spricht, ist nichts anderes als die gängige Verabsolutierung naturwissenschaftlich-technischen Denkens, die Ansicht, dass dieses allein "Forschung" und "Bildung", Wesen und Aufgabe der modernen Universität repräsentiert.

Ein Nachruf: Unsere Universität ist tot

Ist der Elite-Wettbewerb ein Konzept ohne Zukunft? Medizinstudenten an der Uni Halle.

(Foto: Foto: ddp)

Geistes- und Sozialwissenschaften zählen nicht mehr zum Kanon der elitebestimmenden Fächer. Sie sind beim Exzellenzwettbewerb hoffnungslos gescheitert. Zwei der drei Elitehochschulen sind bezeichnenderweise Technische Universitäten. Ihre Anträge mögen die besten der eingereichten sein. Doch dass deren Qualität zum Maßstab des Rangs der Gesamtuniversität gemacht wird, ist absurd. Aus dieser absurden Logik müsste eigentlich die Konsequenz gezogen werden, dass die Millionen anteilig auch den anderen Fächern zugutekommen. Doch wenn diese noch über einen Funken von Stolz verfügen, müssen sie dieses Gnadenbrot ablehnen.

Niemand zumindest außerhalb Deutschlands wird allen Ernstes glauben, dass die Technische Hochschule Karlsruhe die beste Universität Baden-Württembergs ist - und nicht eine der Traditionsuniversitäten Heidelberg, Tübingen oder Freiburg, nicht die Reformuniversität Konstanz, deren international renommierte Literatur- und Kulturwissenschaftler das intellektuelle Klima in unserem Land mitgeprägt haben. Zu diesem Klima aber gehört das Element der Kritik sozialer und kultureller Missstände, die natürlich als nicht wettbewerbsfähig von den Auguren der Exzellenzinitiative ausgeschlossen wird.

Kritik in Clustern - das geht nicht. Und Tradition? Sie bildet in Deutschland keinen Maßstab mehr für Elite - im Unterschied zu den USA, wo Harvard, Princeton oder Yale ihren Rang sehr wohl aufgrund ihrer Tradition behaupten, die sich in ihren Museen, Sammlungen, Archiven und Bibliotheken ausdrückt. Die Torheit der deutschen Exzellenzinitiative ist es, zu hoffen, durch eine bloße Titulatur und durch üppige Geldströme lasse sich Elite, lasse sich "Weltniveau" aus dem Boden stampfen.

Endgültig ist jetzt bewiesen, was man bisher für eine defätistische Behauptung halten mochte: "Die Geisteswissenschaftler sind die Clochards in der Metropole des Wissens" (so der Soziologe Gerhard Schulze). Das wird sich rächen. In spätestens zwanzig Jahren wird die Universität ihre Geist- und Orientierungslosigkeit vollends offenbaren. Der alte Name der Geisteswissenschaften lautete: "humaniora". Wer sie austreibt oder geringschätzt, verachtet das, was in ihrem Namen enthalten ist: den Menschen und seine Kultur.

Es verdient hohe Anerkennung, dass die beiden Münchener Rektoren ein gewisses Unbehagen darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften leer ausgegangen sind. Der Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität, Bernd Huber, konzediert, "dass es für geisteswissenschaftlich geprägte Fächer nicht so ganz einfach ist, Forschung in riesengroßen Clustern zu organisieren, wie es dieser Wettbewerb vorsieht", und TU-Präsident Wolfgang Herrmann bemerkt, dass "das Format der Exzellenz-Initiative nicht so gut geeignet" für sie sei "wie für die Natur- und Ingenieurswissenschaften, wo die Vernetzung essentiell ist". Hätten Wissenschaftsrat und DFG das nicht auch einmal erwägen können? Muss man ihnen nicht Verrat an der Wissenschaft vorwerfen, zumindest, soweit sie Geistes- und Sozialwissenschaft ist?

Freilich kann man den Geisteswissenschaftlern den Vorwurf nicht ersparen, dass sie sich überhaupt an einem Wettbewerb beteiligt haben, in dem sie von vornherein keine Chancen hatten, dass sie nicht auf einer Änderung der Wettbewerbsbedingungen bestanden haben. Leider Gottes wähnen viele Geisteswissenschaftler, sie könnten sich so wie Naturwissenschaftler "vernetzen". Das zeigt eine Fülle von mehr oder weniger abwegigen Drittmittelanträgen bei der DFG. Nahezu alle großen Leistungen der Geisteswissenschaft sind aber nun einmal aus der Individualforschung und nicht aus "cluster meetings" hervorgegangen.

Trotz des öffentlichen Jubels über das Ergebnis der Exzellenzinitiative ist nicht zu leugnen, dass die deutsche Universität, in der geistigen Prägung, die sie seit Kants "Streit der Fakultäten", durch die Humboldtsche Bildungsreform und die philosophischen Universitätstraktate von Fichte, Schelling und Schleiermacher bis Karl Jaspers erhalten hat, an diesem schwarzen Freitag, dem 13. Oktober 2006 nach längerem Siechtum verstorben ist.

Der Ansporn zu dieser Universität ging einst von der philosophischen Fakultät aus, zu der bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts auch die Naturwissenschaften gehörten. In der alten Vier-Fakultäten-Universität war die philosophische Fakultät den "oberen" Fakultäten der Theologie, Jurisprudenz und Medizin untergeordnet, die den praktischen Interessen von Staat und Gesellschaft dienten. Kant hat sie in Umkehrung der Hierarchie an die oberste Stelle gerückt, da allein von ihr die rein erkenntnisbestimmte, zweckfreie Forschung ausgehe, die auch den in den anderen Fakultäten versammelten Fächern ihr Methodenbewusstsein, die Fähigkeit, sich als Wissenschaft selbst zu thematisieren, vermitteln solle.

Was in der Universität heute den Ton angeben soll, ist vor allem das anwendungsbezogene Wissen, der Technologietransfer, an dem Politik und Wirtschaft so lebhaftes Interesse haben. Der neue Hausherr der Universität ist nicht mehr der Homo sapiens, sondern der Homo faber. Diejenigen Wissenschaften, welche das Bild und die Struktur der deutschen Universität mit ihrer weltweiten Auswirkung geschaffen haben, sind nunmehr zu Fremdlingen im eigenen Hause geworden. Die deutsche Universität ist tot. Friede ihrer Asche!

Dieter Borchmeyer ist Ordinarius für Neuere deutsche Literatur an der Universität Heidelberg und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

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