Eid für Finanzbranche:Ich widersage dem Ehrgeiz - oder doch nicht?

Gegen das schlechte Image: An amerikanischen Unis leisten Absolventen für Finanzjobs einen moralischen Eid. Aber viele weigern sich, auf das Gemeinwohl zu schwören.

Absolventen von amerikanischen Wirtschaftsuniversitäten wie der Harvard Business School wollen eine Art Hippokrates-Eid für die Finanzbranche einführen. Ihr Ziel ist es, bis zu 6000 Absolventen von 50 MBA-Programmen zu einem Schwur zu bewegen. Inhalt dieses Schwurs soll sein, dass sie ihren persönlichen Ehrgeiz nicht über die Interessen ihres Arbeitgebers oder der Gesellschaft stellen werden. Damit hoffen die Jungakademiker, das wachsende öffentliche Misstrauen gegenüber der Finanzbranche zu verringern.

Harvard Business School Eid Hippokrates

In Harvard machen sich die Ökonomen auch Gedanken über Ethik.

(Foto: AFP)

Wenn Larry Estrada nach seinem Studium in Harvard demnächst bei Goldman Sachs seine erste Stelle antritt, wird er einen solchen Eid ablegen. Er und weitere 150 Kommilitonen weltweit machen sich für dieses neue Ethik-Modell auf der Basis eines Hippokrates-Eids nach Vorbild der Mediziner stark. Ihr Ziel ist es, etwa 150 andere Wirtschaftsuniversitäten weltweit für die Kampagne zu gewinnen, die von Nitin Nohria, dem neu ernannten Dekan der Harvard Business School, ins Leben gerufen wurde.

Nach der Finanzkrise, dem 65 Milliarden Dollar schweren Betrugssystem von Bernard Madoff, den Skandalen bei Goldman Sachs und vielen anderen Vorfällen hat es für die Manager nie einen besseren Zeitpunkt gegeben, ihre Rolle in der Gesellschaft zu überdenken, erläutert Rich Leimsider, Leiter des Center for Business Education am Aspen Institute in New York: "Wir hoffen, Hunderttausende von Menschen in der Branche zu zwingen, über ihre Verantwortung nachzudenken und zu sprechen".

Ein Glaubensbekenntnis

Im vergangenen Jahr haben 484 neue MBAs der Harvard Business School in Boston diesen Eid abgelegt. Inspiriert wurden sie teilweise durch einen von Nohria und dem Harvard-Professor Rakesh Khurana in der Zeitschrift Harvard Business Review im Oktober 2008 veröffentlichten Artikel, in dem die Autoren einen neuen Ethik- Kodex für Manager forderten. Weitere 1500 Absolventen leisteten den Schwur an der Wharton School der University of Pennsylvania und der Kellogg School of Management der Northwestern University sowie anderen Unis. "Für mich war es ein Glaubensbekenntnis, zu sagen, das sind meine Werte, an die ich glaube", erklärt Estrada.

Aber nicht alle Harvard-Business-Studenten sind für den Schwur. Etwa 45 Prozent der 886 Absolventen im vergangenen Jahr haben ihn nicht geleistet. Ähnlich dürfte es in diesem Jahr aussehen, erwartet Estrada. An dem Eid störe ihn, dass er im wesentlichen kosmetischer Natur sei, sagt Krishna Mahesh, der im Jahr 2005 sein Examen in Harvard gemacht hat. "Die Gefahr einer kosmetischen Veränderung besteht darin, dass sie die Notwendigkeit für einen echten strukturellen Wandel verschleiert. Und auf einen strukturellen Wandel sollten sich die Unternehmen konzentrieren", findet er.

Nur ein kosmetischer Eingriff

Alle Wirtschaftsfakultäten lehren ihre Studenten, sich ethisch zu verhalten, erläutert Steven Kaplan, Professor an der Booth School of Business der University of Chicago. Der Eid lasse Nuancen im Management außen vor, bei denen die Führungskräfte konkurrierende Interessen gegeneinander abwägen müssten. Wenn die Führung von Goldman dem Grundgedanken des Eids gefolgt wären, hätte die Bank hypothekenbesicherte Papiere nicht verkaufen dürfen, gegen die ein anderer Kunde, die Investmentgesellschaft Paulson & Co., spekulierte, sagt dagegen Wirtschaftsprofessor Khurana.

Die gegenwärtige Version des Eids besteht aus sieben Prinzipien, die diejenigen, die ihn schwören, einhalten müssen, beispielsweise den Wortlaut und den Geist von Gesetzen einzuhalten, Korruption zu unterlassen, gegen Diskriminierung und Ausbeutung vorzugehen und das Recht zukünftiger Generationen auf einen gesunden Planeten zu schützen. Der Eid könne dazu beitragen, ein Gegengewicht zu dem Trend in der Finanzbranche zu etablieren, sich nur auf die Gewinne und den Shareholder-Value zu konzentrieren, erklärt Harvard-Professor Khurana.

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