Ehemalige Amazon-Mitarbeiterin:"Ich konnte es ihnen nie recht machen"

"Amazon" Schriftzug an deren Bürogebäude in München, 2015

Die Arbeitsbedingungen beim Internet-Kaufhaus Amazon gelten als besonders gnadenlos.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eine Chefin, die anruft, wenn sie krank ist, ein Arbeitspensum, das sich nur mit Nachtschichten bewältigen lässt und Kollegen, die anonym petzen. Eine ehemalige Amazon-Managerin berichtet.

Interview von Kathrin Werner, New York

Amazon. Ein neuer Job, eine neue Herausforderung, ein Umzug an die andere Seite des Landes. Das klang aufregend für die junge Frau aus New York, die sich in ihrem alten Job bei einer großen Einzelhandelskette schon seit einiger Zeit ein bisschen langweilte. Vor etwas mehr als zwei Jahren packte sie ihre Sachen und begann ihre neue Stelle im mittleren Management im Amazon-Hauptquartier in Seattle. Inzwischen ist sie schon wieder weg, sie hat es nicht mehr ausgehalten bei dem Online-Händler. Sie will nicht, dass ihr Name publiziert wird.

SZ: Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag bei Amazon erinnern?

Natürlich, ich hatte mich sehr darauf gefreut und war ziemlich aufgeregt. Das Bewerbungsverfahren war hart, ich war stolz, dass ich es geschafft hatte. Aber als ich bei Amazon ankam, waren da noch gut 350 andere und ich musste erstmal Schlange stehen. Es gab eine Schlage, wo man Essen bekam, eine für seinen Laptop und seine Tasche. Und für die Registrierung natürlich. Nach zwei, drei Monaten haben ganz viele von uns gemerkt, dass es nicht so toll ist bei Amazon, wie wir dachten. Und wir haben gemerkt, dass wir auch feststeckten.

Konnte man nicht kündigen?

Ein Faktor waren die Umzugskosten, die Amazon für die neuen Mitarbeiter übernimmt. Bei mir lagen sie bei 20.000 Dollar. Wenn man weniger als zwei Jahre bei Amazon bleibt, muss man das Geld zurück zahlen, was die meisten nicht können. Ich bin nach einem Jahr und acht Monaten gegangen und hatte Glück, dass sie nicht alles, sondern nur 5000 Dollar zurückgefordert haben. Außerdem bekommt man nach zwei Jahren einen Bonus in Aktien. Ich habe überlegt, ob ich deswegen noch vier Monate durchhalten könnte, habe mich aber dagegen entschieden. Sie hätten mich noch härter gepusht und ich wollte nicht wieder krank werden.

Sie waren krank?

Kurz nachdem ich bei Amazon angefangen hatte, bin ich krank geworden und hatte eine schwierige Operation. Als ich danach wieder zurückkam, ging alles den Bach herunter. Sie haben kritisiert, dass ich nicht mehr so gut bin wie am Anfang, dass ich mich verbessern müsse. Drei Monate nach der OP hat mich Amazon als "Low Performer" eingestuft, der Druck stieg immer mehr. Nach meiner zweiten OP hat mich meine Chefin andauernd angerufen und gefragt, wann ich endlich wieder ins Büro komme. Ich wollte mich in eine andere Abteilung versetzen lassen, für einen unbelasteten Neuanfang. Aber das haben sie abgelehnt. Sie haben gesagt, dass das Feedback von meinen Kollegen dafür zu schlecht sei.

Haben sie dafür das "Anytime Feedback Tool" benutzt, die Software, mit der man sich mit bestimmten Voreinstellungen über Kollegen bei den Vorgesetzten beschweren kann?

Ja, sie nennen es das Telefon-Werkzeug, weil man es über sein Firmentelefon ansteuern kann. Da kann jeder irgendetwas über andere Leute erzählen. Meistens hat man eine gewisse Ahnung, wer sich über einen beschwert hat, aber man erfährt es nie offiziell und kann sich darum auch schlecht dagegen verteidigen. Und die Chefs tun auch nichts dagegen. Sogar wenn sie wissen, dass die Kritik nicht stimmt, landet sie in deiner jährlichen Bewertung.

"Man muss sich durchsetzen, auch wenn das andere zerstört"

Was haben Sie denn falsch gemacht?

Ich habe gedacht, dass Amazon super professionell ist und ich da viel lernen kann. Aber das ist gar nicht so. Es gibt nicht viele Anweisungen von Vorgesetzten. Sie erwarten, dass du selbst herausfindest, was zu tun ist. Es gibt keine festen Strukturen. Obwohl Amazon ein Milliardenkonzern ist, ist er noch sehr jung, und stolz auf seine Startup-Kultur. Das ist prima für Leute, die sich hocharbeiten wollen. Das Problem ist aber, dass keiner die Alltags-Arbeit macht, die erledigt werden muss, aber nicht viel Ruhm und Ehre einbringt. Für mich war das schwierig mitanzusehen, weil ich anders als die meisten anderen schon Erfahrung in einem Handelskonzern hatte und mich über das Chaos aufgeregt habe. All meine Erfahrungen haben nichts gezählt, weil nach Ansicht von Amazon die anderen sowieso alles falsch machen. Ich galt immer als zu traditionell.

Was muss man denn tun, um Erfolg bei Amazon zu haben?

Man muss halt reinpassen. Man muss gut im Networking sein, sich mit den richtigen Leuten gut stellen. Und man muss dafür sorgen, dass man nur die Arbeit macht, die einen glänzen lässt, und das Alltagszeug andere erledigen lässt. Wenn man nur das tut, was erwartet wird, ist es zu wenig. Wenn man ein bestimmter Typ ist, kann man da Geschichte schreiben. Zumindest hat man das Gefühl, dass Amazon Geschichte schreibt. Man muss sehr forsch sein, keine Angst haben, hartes Feedback zu geben oder zu bekommen. Man muss jemand sein, dem es egal ist, dass derjenige, mit dem man spricht, auch ein menschliches Wesen ist. Man muss sich durchsetzen, auch wenn das andere zerstört. Es ist mir mehrfach passiert, dass andere Leute das Lob bekommen haben für Arbeit, die ich erledigt habe.

Haben Sie versucht, sich zu ändern?

Ich konnte es ihnen nie recht machen. Einmal haben wir an einem großen Projekt gearbeitet. Ich bin über Nacht im Büro geblieben und habe alles gerade rechtzeitig vor dem Meeting fertig bekommen. Und dann ging es bei dem Meeting plötzlich gar nicht mehr um das Projekt, sie haben über ganz andere Dinge geredet. Ich war völlig mit den Nerven fertig. Ein Kollege hat dann unser Projekt angesprochen und erzählt, dass ich die Nacht durchgearbeitet habe. Das hat dann aber eher den Eindruck vermittelt, dass ich meine Arbeit nicht in der normalen Zeit erledigen kann. Wenn man bei Amazon nicht lange arbeitet, macht man etwas falsch, weil man nicht ehrgeizig genug ist. Und wenn man lange arbeitet, denken sie, dass man zu langsam und nicht smart genug ist.

Wie waren denn sonst die Arbeitszeiten?

Die Arbeitswoche begann immer am Sonntagnachmittag. Dann habe ich meine Ergebnisse aus der letzten Woche überprüft und angefangen, die Woche zu planen. Im Büro war ich morgens immer zwischen acht und neun, so um 19 Uhr war ich wieder zu Hause. Dann habe ich eine Stunde Pause gemacht und versucht, mich ein bisschen zu entspannen. Dann habe ich meistens noch vier Stunden am Laptop gesessen. Wenn ich überlege, wie viel ich gearbeitet habe, war das Gehalt wirklich nicht besonders gut. Und die meisten anderen haben es auch so gemacht wie ich. Wenn wir mal Zeit hatten, sind wir mit den anderen etwas trinken gegangen zu irgendeiner Happy Hour. Außer anderen Amazon-Leuten kannten die meisten ja niemanden in Seattle, alle waren neu. Ich glaube, dass mein größter Fehler war, dass ich den anderen bei solchen Gelegenheiten zu sehr vertraut habe. Ich habe zu viel darüber geredet, wie schlecht es mir geht. Das haben sie dann den Chefs weitererzählt.

Wie viele von den Leuten, mit denen Sie gemeinsam angefangen haben, sind denn heute noch bei Amazon?

Die wenigsten. Manchmal sind Leute in Meetings attackiert worden, haben danach ihre Taschen genommen und ich habe sie nie wieder gesehen. Aber das macht Amazon nichts. Ein Mitarbeiter hat Jeff Bezos (der Amazon-Gründer und -Chef, Anm. d. Redaktion) auf einer Mitarbeiterversammlung mal darauf angesprochen, dass so viele Leute so schnell kündigen. Er hat geantwortet, dass für jeden, der Amazon verlässt, draußen fünf Leute Schlange stehen, die hier anfangen wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: