Spitzenförderung scheitert in Europa immer noch allzu oft an bürokratischen Hürden, fehlenden finanziellen Mitteln und mangelndem Mut. Mittlerweile gibt es aber innerhalb der Europäischen Union Bestrebungen, Wissenschaftler, Forscher und Unternehmen länderübergreifend zu unterstützen. Ein wichtiger Aspekt europäischer Spitzenforschung ist die Robotik. Hierfür hat die Europäische Union das Projekt "Echord++" ins Leben gerufen - die Abkürzung steht für European Coordination Hub for Open Robotics Development.
Ziel des noch bis September 2018 laufenden Vorhabens ist es, marktfähige Automatisierungs-Technologien zu wettbewerbsfähigen Preisen zu entwickeln. Dafür wurden Konsortien gebildet, die aus einem Forschungsinstitut sowie aus Partnern aus Industrie und Wirtschaft bestehen. Die Koordination liegt beim Lehrstuhl für Echtzeitsysteme und Robotik der Technischen Universität München (TUM). Echord++ schließt an das Vorgängerprojekt Echord an, das zwischen 2009 und 2013 lief. Es gilt als entscheidender Durchbruch in Richtung Vernetzung in der Welt der Robotik.
Krankenpflege, Kanalsysteme, Agrarwirtschaft: Das Potenzial von Nanobots ist enorm
"Die ersten Schritte haben wir gemeinsam mit der EU-Kommission bereits im Jahr 2007 unternommen", sagt Alois Knoll, Inhaber des TUM-Lehrstuhls, der auch für die Koordination verantwortlich ist. Er betont, dass ein derartiges Vorhaben ohne Unterstützung aus Brüssel nicht möglich gewesen wäre. Zwanzig Millionen Euro schießt die EU zu, den Rest, insgesamt etwa fünf Millionen Euro, müssen Unternehmen und Forschungseinrichtungen tragen. Echord++ ist insgesamt auf fünf Jahre angelegt. Das Vorhaben unterstützt kleinere Projekte - sogenannte "experiments" - die jeweils mit einer Summe von circa 300 000 Euro gefördert werden. Die Dauer liegt in der Regel zwischen zwölf und 18 Monaten. Insgesamt gibt es 35 solcher "experiments". Es werden nur Projekte genehmigt, deren Ergebnisse einem Unternehmen zugutekommen, also wirtschaftlich sinnvoll sind oder eine neue Produktidee bis kurz vor die Marktreife bringen.
"Die Entwicklung in der Robotik ist sehr anspruchsvoll und findet oft in kleinen Unternehmen statt, die wenig Kapital haben", sagt Knoll. Das möchte man mit Hilfe von Echord++ ändern; auch, um den Wettbewerbsnachteil aufzuholen, den europäische Unternehmen gegenüber den USA oder China haben. Dort, sagt Knoll, sei öffentliche Unterstützung weniger bürokratisch geregelt: Robotik werde häufig über Wettbewerbe, wie beispielsweise die "Darpa Challenge" an den Universitäten gefördert; aus den Teams gingen dann Firmengründungen hervor, die auf einen sehr investitionsbereiten Kapitalmarkt träfen. In China gebe es ebenfalls eine hochaktive Gründerszene, vielfach gefördert durch Kommunen oder große Robotik-Messen.
Echord++ geht an zwei wesentlichen Punkten über seinen Vorgänger hinaus. Im neuen Bereich "PCP" (Pre-Commercial Procurement) wird der Einsatz von Robotertechnologien gefördert, indem öffentliche Einrichtungen über Beschaffungsmaßnahmen die Nutzung von Robotern mit neuer Technik fördern, für die es noch keinen Markt gibt. "Beispielsweise besteht in Krankenhäusern großer Bedarf, da sowohl die Einrichtungen als auch die Entwickler über keine größeren finanziellen Mittel verfügen", sagt Knoll.
Echord++ hat deshalb einen Wettbewerb zur Entwicklung von Robotern für das sogenannte "Comprehensive Geriatric Assessment" veranstaltet. Hier geht es darum, Daten über die Beschwerden älterer Patienten zu gewinnen. Die Roboter übernehmen einen Teil der Tests und lassen so Ärzten und Pflegepersonal mehr Zeit für die Gespräche mit den Patienten. In einem parallel laufenden Wettbewerb sucht Echord++ Robotiklösungen zur automatischen Inspektion von Abwasserkanälen. Die Stadt Barcelona öffnet dabei ihr Kanalsystem für den Test der Roboter unter Alltagsbedingungen. Durch sogenannte "RIFs" (Robotics Innovation Facilities) können alle an Robotik interessierten Personen mit neuester Hard- und Software ausgestattete öffentliche Labore zu Testzwecken nutzen. Das Bristol Robotics Laboratory, das ein RIF zum Thema Mensch-Roboter-Interaktion beherbergt, hat zudem direkt neben dem dortigen RIF ein Gründerzentrum eingerichtet. Weitere Forschungsgebiete: In der Scuola Superiore Sant'Anna in Pisa werden Agrarroboter entwickelt und am RIF des Commissariat à l'Énergie Atomique et aux Énergies Alternatives (CEA) in Paris liegt der Schwerpunkt in der Medizin. Insgesamt gehören sieben Hochschulen und Unternehmen zum Kern-Konsortium. Außer den genannten sind dies die Firmen Blue Ocean Robotics aus Dänemark, RU Robots aus England und die Universitat Politècnica de Catalunya aus Barcelona.
"Letztlich geht es uns auch darum, die Wege zu verkürzen und bürokratische Hürden zu minimieren", erklärt TUM-Professor Knoll. So hat es bereits erste Ausgründungen im Umfeld von Echord gegeben, beispielsweise die Firma Cognibotics in Schweden, die Roboter zu Messzwecken einsetzt. Darüber hinaus sind etliche Produkte entstanden, die als Komponenten in größeren Robotik-Projekten zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist ein neuer Roboter-Antriebsmotor mit hochdynamischen Eigenschaften aus dem schweizerisch-griechischen Experiment "Modul".
Daneben gab es gemeinsame Auftritte auf der Hannover Messe oder der Automatica in München. Die Hochschule Ulm war in Hannover mit dem Projekt "Mobile Agricultural Robot Swarm" (MARS) vertreten. Dieses gemeinsam mit dem Unternehmen für Agrartechnik Agco/Fendt durchgeführte Experiment entwickelt Konzepte für Schwarmroboter zur Aussaat von Mais und eröffnet Entwicklern solcher Systeme die Möglichkeit, auf der Basis von Open-Source-Software schnell und effizient Roboter zu programmieren, die sich in komplexen Umgebungen zurechtfinden.
Echord und Echord++ gelten mittlerweile als Prototypen für andere EU-Projekte. "Das von der Europäischen Kommission geförderte Echord-Projekt hat es ermöglicht, in über 50 Fällen Robotertechnologie vom Labor auf den Markt zu bringen. Wir haben dadurch aber auch erfolgreich die Vergabe von Fördergeldern an Unterprojekte über eine öffentliche Ausschreibung getestet", sagt Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Ansatz ermögliche einen unbürokratischen Zugang zur EU-Finanzierung, was auch vielen kleinen und mittleren Unternehmen zugutekomme. "Dieses sogenannte Kaskadenprinzip spielt deshalb auch eine wichtigere Rolle in unserem Förderprogramm Horizon 2020", so Oettinger weiter. Dem länderübergreifenden Programm stehen für eine Laufzeit von sieben Jahren circa 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Spitzenförderung in der Wissenschaft, industrielle Forschung und gesellschaftliche Herausforderungen wie der demografische Wandel oder die nachhaltige Energieversorgung gehören zu den Säulen von Horizon 2020. Die Erfahrungen der Echord-Projekte sollen helfen, diese Ziele zu erreichen.