E-Mail-Terror:Wider die Verstopfung

Manager verplempern dreieinhallb Jahre ihres Lebens mit unwichtigen E-Mails. Um dem internen Mail-Terror zu begegnen, kommen nachrichtenfreie Tage in Mode.

Chris Löwer

Alle paar Minuten flötet es aus dem Rechner: "Sie haben Post." Fast jedes Mal schaut der Mitarbeiter nach - es könnte ja etwas Wichtiges sein. Laut Schätzungen bewegt ein durchschnittlicher Büroangestellter 40 mal am Tag seine Maus Richtung elektronischer Briefkasten. Schließlich wollen die 40 Milliarden E-Mails, Spam nicht eingerechnet, die täglich um die Welt vagabundieren, wahrgenommen werden. Das wird immer mehr zum Problem.

Emaileingang, ddp

E-Mail-Fluten behindern die Produktivität und die Kommunikation in Unternehmen. In US-Unternehmen wurden daher E-Mail freie Arbeitstage eingeführt.

(Foto: Foto: ddp)

"In jeder großen Organisation ist der Leidensdruck enorm. Die E-Mail-Flut behindert die Produktivität, die Kommunikation und die Konzentration. Es wird kaum noch am Stück gearbeitet", sagt Ursula Vranken, Chefin des Kölner IPA Instituts für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation. Sie wird immer öfter zur Hilfe gerufen, wenn die Effizienz leidet. Denn bis nach dem Mail-Check wieder konzentriert der Arbeit nachgegangen wird, können bis zu 25 Minuten vergehen. Forscher des britischen Henley Management College haben hochgerechnet, dass Manager im Schnitt dreieinhalb Jahre ihres Lebens mit unwichtigen E-Mails verplempern.

Kommunikationsbombe Email

Unter Umständen leiden aber auch Arbeits- und Kommunikationskultur, weil durch eine schnelle Antwort Aktivität vorgetäuscht wird. Ganz zu schweigen von schludriger Sprache, flapsigem Befehlston und sinkenden Hemmschwellen, die Konflikte provozieren. "Da ist schnell eine Kommunikationsbombe gelegt, die sich über CC und BCC unweigerlich ausbreitet", sagt Vranken. Oft gerate gar der Erfolg von internationalen Projekten in Gefahr, weil man glaubt, alles elektronisch abhandeln zu können.

"Teure E-Mail-Knigge-Kurse oder Nachhilfe, wie man richtig den Posteingangskorb sortiert, helfen da wenig", sagt Vranken. Sie rät dazu, E-Mail-Richtlinien zu erarbeiten. Was auch heißen kann, dass das Blackberry-Stakkato des Bosses nicht mehr länger geduldet wird oder der Druck von Mails, die nach 23 Uhr verfasst werden, damit der Angesprochene gleich morgens weiß, dass er die Aufgabe besser sofort erledigt. Werden klare Zeiten festgelegt, zu denen Mails bearbeitet werden, sinkt der gefühlte Druck. Übrigens auch, wenn man die Unsitte verbietet, Banales oder Böses in Kopie an die gesamte Belegschaft zu schicken. Vranken: "Es geht schlicht um einen verantwortungsvollen und kompetenten Umgang mit dem Medium."

Dazu hielt unlängst auch die Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton höherrangige Mitarbeiter an, von denen jeder mit einem Blackberry ausgestattet ist. "Als sich abzeichnete, dass sehr leger mit der In-Kopie-Senden-Funktion umgegangen wurde, haben wir angeregt, lieber zum Sport zu gehen, als die tausendste Botschaft zu versenden", sagt Sprecherin Susanne Mathony. Das Wochenende soll bei Booz generell mailfrei bleiben, und es sollte, wenn möglich, nur zu Kernarbeitszeiten getippt werden. "Das ist kein großer Schritt, doch der psychologische Entspannungseffekt ist enorm. Unsere Mitarbeiter gehen nun disziplinierter mit dem Medium um", sagt Mathony.

E-Mail freie Tage in Unternehmen

Um dem internen Mail-Terror zu begegnen, kommen zumindest in den USA und Großbritannien E-Mail-freie Tage in Mode. Ausgerechnet der Chip-Gigant Intel setzte mit einem "Zero-E-Mail-Friday" ein Zeichen - der sich freilich auf die interne Kommunikation bezieht. "Zwei Ingenieure, die nur einen Schreibtisch voneinander entfernt sitzen, schreiben sich eher eine E-Mail, als dass sie aufstehen und miteinander reden", begründet Intel-Chef Paul Otellini den Schritt. Nun müssen seine Mitarbeiter ganz altmodisch zum Telefon greifen oder gar ein paar Schritte zum Kollegen gehen. Beim Wirtschaftsprüfer Deloitte & Touche folgt man diesem Beispiel wie auch bei dem Softwarehaus Veritas. Das Beratungsunternehmen Ernst & Young rät dazu, am Wochenende keine beruflichen Nachrichten zu lesen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die gute alte Kaffeeküche wieder mehr besucht werden soll.

Wider die Verstopfung

Der US-Logistiker PBD Worldwide Fulfillment Services und die Mobilfunkfirma US Cellular haben gar für einen Tag in der Woche ein striktes Mailverbot erteilt. Auch wenn der Berater Ewald Kock aus Hagen kein allzu großer Freund solcher Zwangsmaßnahmen ist, weiß er den Effekt zu schätzen. "Durch übermäßige elektronische Post bleibt nicht nur das persönliche Gespräch auf der Strecke, sondern auch die Kreativität und das Vorschlagswesen." Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Ideen in kommunikativen Unternehmen eher zum Fließen kommen als in jenen, in denen sich die Mitarbeiter hinter dem Bildschirm verkriechen.

Kock plädiert für den sogenannten Pentalog als feste Institution. Bei dem täglichen Fünfergespräch wird in zehn Minuten besprochen, was anliegt. Ein Moderator trägt Wesentliches weiter. Aber auch die gute alte Kaffeeküche erfülle in dieser Hinsicht gute Dienste. So setzt das Pharmaunternehmen Novartis in den USA auf geräumige und anheimelnde Kaffee-Ecken, um zum persönlichen Treffen anzuregen. Kock: "Jeder weiß, dass sich im Gespräch die Dinge viel schneller und besser erledigen lassen, weil es weniger Missverständnisse gibt." Neue Ideen gibt es gratis dazu. Überdies gebe es weniger überflüssige Meetings, meint Kock.

Führungskräfte bekommen 200 Mails pro Tag

Auch Norbert Büning will Mitarbeiter effizienter arbeiten lassen. Der Geschäftsführer des Bereichs "Human Performance" der Beratungsfirma Accenture sieht die tägliche Flut von Mails mittlerweile als echten Hemmschuh an. "Wenn Führungskräfte täglich bis zu 200 Mails bekommen, ist effizientes Arbeiten kaum möglich. Daher zählt das Mailen inzwischen zu den Top-Themen in Firmen", klagt er. "Ursprünglich sollte die E-Mail die Produktivität erhöhen, doch der anfängliche Effekt ist schleichend mehr als aufgefressen worden."

Spam sei nicht das Problem, sondern "interner Spam", wie er das nennt. "Über die Kopie-Funktion wollen sich viele absichern. Aus dem Vier-Augen-Prinzip wird das 100-Augen-Prinzip", klagt er. Sein Rat daher: klare Regeln, wer auf CC gesetzt wird, Informationen im Intranet ablegen, sodass jeder nach Bedarf darauf zugreift, und von dem Zwang ablassen, immer sofort antworten zu müssen. Grotesk: "Teilweise werden während Telefonkonferenzen Mails beantwortet und in Meetings mit dem Blackberry kommuniziert, sodass eine vernünftige Kommunikation kaum möglich ist", sagt er. Kleinere Unternehmen überlegten gar, E-Mails abzuschaffen, größere arbeiten mit Bünings Hilfe daran, klare Regeln aufzustellen.

Auch bei IBM ist man die tägliche Verstopfung leid. Ein Manager appelliert in der Signatur seiner Mails eindringlich: "Lesen Sie Ihre E-Mails nur zweimal täglich. Erobern Sie sich die Kontrolle über Ihre Lebenszeit zurück und lernen Sie wieder zu träumen. Schließen Sie sich der Slow-E-Mail-Bewegung an!"

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