Drittmittel für Universitäten:Entzauberung des Fetischs

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"Die größte Entwicklung ist die sogenannte Immuntherapie, die hat wirklich alles geändert", sagt Volker Heinemann.

(Foto: dpa)

An vielen Universitäten wird schon die Beschaffung von Drittmitteln als Ausdruck von guter Forschung betrachtet. Es wird Zeit, aus dem Selbstzweck wieder ein Mittel zum Zweck zu machen.

Stefan Kühl

Wissenschaftler kommen auf unterschiedlichen Wegen zu ihren publikationswürdigenden Erkenntnissen. Einige ziehen sich zehn Jahre in die Einsamkeit ihres Studierzimmers zurück und produzieren - jedenfalls in einigen Fällen - ein Werk, dass ihre Disziplin für Jahrzehnte beeinflusst. Andere sind begnadete Lehrer, ihr wissenschaftliches Wirken besteht vorrangig in der Co-Autorenschaft mit ihren Schülern und Schülerinnen. Wiederum andere erliegen dem Reiz der außeruniversitären Praxis und publizieren ihre mehr oder minder guten wissenschaftlichen Texte als Nebenprodukt überbezahlter Beratungsprojekte. Oder sind im Drittmittelgeschäft aktiv und betreiben mit den eingeworbenen Mitteln Institute, die manchmal die Größe mittelständischer Unternehmen haben.

Der Zweck von Drittmitteln scheint ein relativ einfacher zu sein. Eine Forscherin hat eine gute Idee, es fehlen ihr aber die Mittel, um diese Forschung durchzuführen. Weil das Budget ihrer Hochschule nicht ausreicht, um die Anschaffung eines Labors zur Erforschung von Nesseltieren, die Durchführung einer aufwendigen Forschungsreise nach Papua-Neuguinea oder die Verteilung von zehntausend Fragebögen zu organisieren, beantragt sie bei "Dritten" - staatlichen Forschungseinrichtungen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, privaten Stiftungen, Wirtschaftsunternehmen oder Gewerkschaften - Mittel, um die Forschungen zu finanzieren.

Auf den ersten Blick also ein einfaches, praktisches Prinzip. Es ermöglicht apparateintensiven Disziplinen wie der Physik, der Biologie oder der Chemie Forschungsmittel einzuwerben, ohne andere Disziplinen wie die Geschichtswissenschaft, die Literaturwissenschaft oder die Philosophie, wo die bedeutendsten Forschungsergebnisse häufig durch Einzelwissenschaftler erzielt werden, dazu zu zwingen, sich durch das aufwendige Erstellen von Anträgen, Einstellen von Personal oder Verfassen von Zwischenberichten vom Forschen abhalten zu lassen. Für den Wissenschaftler, der jährliche Forschungsetats von etlichen Millionen verwaltete, bot dieses Modell Refinanzierungsmöglichkeiten, ohne Wissenschaftler, die mit den Humboldtschen Prinzipien von Einsamkeit und Freiheit die besten Forschungsmöglichkeiten sehen, weiter zu belasten.

Interesse an Erkenntnisgewinn häufig nur noch zweitrangig

Aber die Zeiten haben sich verändert. Schon René König, einer der führenden Soziologen im Nachkriegsdeutschland, der zugleich einer der schärfsten Beobachter hochschulpolitischer Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg war, bemerkte angesichts des Drittmittelrausches an vielen Hochschulen, dass vielfach die "einzige handgreifliche Motivation" für die Forschung das "zufällige Vorhandensein von Geld" und das Interesse am Erkenntnisgewinn häufig nur noch zweitrangig sei. Oft käme es nur noch darauf an, für vorhandenes Geld entsprechende Forschung aufzutreiben, statt für wohlbegründete Forschung Geld zu besorgen.

Indikator für wissenschaftliche Leistungsfähigkeit

Diese Zweck-Mittel-Verdrehung hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Drittmittel werden nicht mehr nur als sinnvolles Mittel betrachtet, um bei Geldmangel dem Zweck guter Forschung zu dienen, die Einwerbung von Drittmitteln wird selbst schon als Ausdruck von guter Forschung betrachtet. Schon die Einwerbung mehrerer Millionen Euro für ein Excellence-Cluster wird als Ausdruck von Excellence gewertet und nicht erst das, was nach dem Ausgeben von zwanzig oder mehr Millionen Euro herauskommt. Bereits das "Gewinnen" eines EU-Forschungsprojektes führt dazu, dass Wissenschaftler aufgrund ihrer "wissenschaftlichen Leistungen" in ihren Universitäten Leistungszulagen einklagen, und damit meinen sie nicht etwa die Publikation von Artikeln oder Büchern, durch die sie die Perspektive einer Disziplin verändern.

Zweck-Mittel-Verdrehungen vollziehen sich schleichend, so dass sie von den Organisationen selbst häufig kaum wahrgenommen werden. Bei der Gründung der Deutschen Forschungsgemeinschaft wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, dass das Einwerben einer Geldsumme für Forschung bereits mit einem wissenschaftlich interessanten Forschungsergebnis verwechselt werden könnte. Aber inzwischen wird in einigen Bundesländern die Höhe der eingeworbenen Drittmittel bereits als Indikator für die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit eines Professors, eines Instituts, eines Fachbereichs oder gar einer ganzen Universität gewertet.

Hochschulen bekommen heute nicht mehr pauschal Mittel zugewiesen. Stattdessen werden zwischen den für die Finanzierung der Universitäten zuständigen Landesministerien und den Hochschulen neben der Zuweisung einer Grundfinanzierung auch sogenannte "leistungsorientierte Mittelzuweisungen" ausgehandelt. Und hier beginnt die Crux.

Ziele müssen "smart" formuliert werden

Aus der Management-Prosa, die unter dem Schlagwort des "New Public Management" zunehmend Einfluss auf die Hochschulen gewinnt, meint man zu wissen, dass sich Ziele nur dann für eine Mittelzuweisung eignen, wenn sie "smart" formuliert werden. "Smart" steht dafür, dass Ziele spezifisch , messbar, ausführbar, realistisch und terminierbar formuliert werden sollten. Nur Ziele, deren Erreichung auch in einem vergleichsweise kurzen Zeithorizont messbar ist, seien - so das aktuelle Management-Mantra - gute Ziele.

Das Problem ist jedoch, dass es in der Wissenschaft kaum Ziele gibt, die solchen Ansprüchen an Messbarkeit und Terminierbarkeit genügen. Zwar gibt es in den einzelnen Disziplinen sehr genaue Sensorien dafür, welche Wissenschaftler über ein hohes Maß an Reputation verfügen, aber diese Reputation lässt sich - allen Versuchen zur Vermessung der Wissenschaft zum Trotz - nicht in quantifizierbare Kriterien übersetzen. Ebenso kursieren in den einzelnen Disziplinen genaue Vorstellungen darüber, an welchen Instituten diese besonders gut studiert werden können, aber auch dies lässt sich nicht so quantitativ operationalisieren, dass sie sich für Mittelzuteilungen eignen.

Die Wissenschaftsministerien greifen deswegen bei ihren Versuchen, die Hochschulen zu steuern, fast verzweifelt nach allen Kriterien, die sich zumindest annähernd in Zahlen darstellen lassen. Messbar erscheinen dabei die Anzahl der eingeschriebenen Studierenden, die Zahl der erfolgreich ihr Studium abschließenden Bachelor- und Masterstudierenden, die abgelegten Promotionen - und eben der eingeworbenen Drittmittel.

Grenzen der Kennzahlen sind bekannt

Alle Beteiligten sind sich in der Regel der Grenzen dieser Kennzahlen bewusst. Man weiß, dass die Anzahl der eingeschriebenen Studierenden häufig negativ mit der Qualität der Lehre korreliert, dass die Kennziffer "abschließende Studierende" zu einem "Verschenken" von Abschlüssen führen kann, weil man auch noch den Dümmsten durchbringen will, und dass das Kriterium der abgeschlossenen Promotionen die Einrichtung von "Titel-Mühlen" begünstigt, in denen Politiker, Manager oder Vertreter von Lobbyorganisationen die für ihren Statusaufbau benötigte Promotion erwerben können. Aber man scheint in der Wissenschaft keine anderen Zahlen zur Verfügung zu haben, an denen man sich bei der "leistungsorientierten Mittelvergabe" orientieren kann.

Selbst in Disziplinen wie der Soziologie, in der Niklas Luhmann die "Smart-Logik" veräppelte, indem er auf die Frage nach seinem Forschungsprojekt salopp mit "Theorie der Gesellschaft; Laufzeit 30 Jahre; Kosten: keine" antwortete, sickert die Drittmittel-Logik ein. Selbstverständlich wird bei Berufungen nicht naiv danach gefragt, wer wie viele Drittmittel eingeworben hat, um dann ein Ranking der Professoren zu erstellen, aber es wird doch zum Ausdruck gebracht, man wisse zwar um den Irrsinn des Drittmittelfetisch, könne sich aber als Fachbereich aufgrund der leistungsorientierten Mittelzuweisungen an die Universitäten dem Geschäft der Einwerbung zusätzlicher Mittel nicht entziehen.

Strukturelle Auswirkungen

Die Beteiligung am Drittmittelgeschäft hat häufig erhebliche strukturelle Auswirkungen für die Fakultäten, Fachbereiche und Institute. Was der erste Blick wahrnimmt - dass Drittmittel zusätzliches Geld an die Universität bringen -, ist nicht ganz falsch. Tatsächlich fließen Mittel von "Dritten" an die Hochschulen. Gleichzeitig aber wird von den Geldgebern verlangt, dass die Empfänger der Geldzahlungen bei jedem Projekt "Eigenleistungen" erbringen. Der Tenor ist: "Wir schenken Euch das Geld für ein Excellence-Cluster, dafür müsst Ihr aber als 'Eigenleistung' mehrere Eurer neu zu besetzenden Professuren für das Cluster zur Verfügung stellen." Übernommen wird dabei offensichtlich eine Denkweise aus der Entwicklungshilfe. "Nur wenn die Minderbemittelten selbst eigene Mittel für ein Projekt zur Verfügung stellen, hat man die Sicherheit, dass sie das Projekt, das man als Geber finanziert, auch wirklich wollen."

Damit drohen jedoch Entscheidungen über die Strukturen einer Fakultät, eines Fachbereiches oder eines Instituts abhängig zu werden von den Initiativen, Bemühungen und Zufällen im Drittmittelgeschäft. Ein Fachbereich etwa, der das Glück hat, gleichzeitig einen Sonderforschungsbereich und ein Excellence-Cluster eingeworben zu haben, ist dann häufig über ein Jahrzehnt lang verpflichtet, jede aus den Grundmitteln finanzierte frei werdende Professur in diese Drittmittelbereiche einzubringen. Ob das angesichts der in Sonderforschungsbereichen und Excellence-Clustern gepflegten thematischen Monokulturen immer sinnvoll ist, kann bestritten werden. Aber das sind eben die ungewollten Effekte des Drittmittelgeschäfts.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld.

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