Am Ende siegte die Konvention. "Irgendwann", erinnert sich Ilona Kühn, "fanden es selbst die Kollegen unpassend, dass der Programmierer im schwarzen Heavy-Metal-T-Shirt zur Besprechung mit einem Kunden erschien." Je größer die IT-Beratungsfirma Ray Sono wurde, desto namhafter wurden die Kunden, desto mehr stieg die Notwendigkeit, nach außen als seriöser Geschäftspartner zu wirken. Seitdem tragen die Mitarbeiter von Ray Sono Anzug und Krawatte, wenn sie Kunden treffen. "Im Büro läuft jeder rum, wie es ihm gefällt. Wir sind eine kreative Firma, und das soll auch in der Kleidung zum Ausdruck kommen." Doch wenn es offiziell wird, "dann verkleiden wir uns", sagt Kühn. Die Krawatten für die Verkleidung hängen im Zimmer des Chefs über der Lampe; ganze Anzug-Kollektionen, so Kühn, werden seit einiger Zeit unter den Kollegen ausgetauscht.
Die Ansprüche steigen
Als die Popstars der New Economy noch den Ton auf dem Börsenparkett angaben und Computerfreaks in lässigem Ambiente Tag und Nacht an neuen Internetvisionen bastelten, da sah es so aus, als könnten Jeans und Turnschuhe als Symbol des dynamischen Unternehmertums salonfähig werden. Doch mit dem vorläufigen Ende des Internet-Booms sind auch diese Insignien der New Economy verschwunden: Angepasst lässt sich die Krise besser meistern. Schließlich sind es heute nicht mehr die Banken, die sich um Ideen und Anteile der Startup-Firmen reißen - die Startups sind derzeit auf das knapp gewordene Geld der Kapitalgeber und auf Aufträge aus der Old Economy angewiesen. Zumindest nach außen gibt man sich deshalb seriös.
"Es gibt einen klaren Trend zu konservativen Werten in den Unternehmen", sagt Robert Wagenheimer. Die Party der New Economy, so der Inhaber des gleichnamigen Münchner Modegeschäfts, der Führungskräfte zum Thema Dresscode berät, sei vorbei. Jetzt gehe es wieder um Vertrauensbildung, "das drückt sich auch in der Kleidung aus". Die Kleiderordnungen würden in vielen Firmen heute sogar strenger gehandhabt als vor dem Internet-Boom: "Früher waren Führungskräfte lässiger gekleidet, mit einer Kombination aus Hose und Sakko etwa, doch die Leute wollen inzwischen nur noch Anzüge." Und auch die aus den USA übernommenen "Casual Fridays", an denen Mitarbeiter in legeren Klamotten erscheinen durften, seien fast wieder verschwunden.
Den Trend zum formellen Kleidungsstil hat auch der auf den Medienbereich spezialisierte Personalberater Gunther Schnatmann beobachtet. "Die Ansprüche an das äußere Erscheinungsbild steigen, weil die Arbeitgeber es sich leisten können." In Boomzeiten waren sie froh, wenn sie überhaupt einen passenden Bewerber fanden, egal wie dieser auftrat. Heute haben sie die Auswahl unter vielen geeigneten Kandidaten. Etwa bei der Hälfte seiner Kunden müsse er Korrekturen vornehmen, weil die Krawatte zu bunt ist, der Anzug nicht sitzt, oder die Handtasche zu klobig wirkt, sagt Schnatmann. "Die Leute unterschätzen das Thema, dabei stellt sich bei jedem zweiten Arbeitgebergespräch heraus, dass das Äußere nicht gestimmt hat."
Doch wie sieht ein idealer Angestellter aus? Schriftliche Dresscodes gibt es in Münchner Firmen selten. Statt strenger Vorschriften setzen die Betriebe auf das Vermögen der Mitarbeiter, sich angemessen zu kleiden. Was das genau heißt, hängt vor allem von der Branche ab. "Leider entsprechen nicht alle Mitarbeiter unseren Wunschvorstellungen, doch ideal wären Nadelstreifen-Anzug, Einstecktuch und Manschettenknöpfe", sagt Klaus Rüger, Personalchef der Privatbank Merck Finck & Co. Ein Sparkassen-Mitarbeiter könne seinen Anzug von der Stange kaufen, "aber wir betreuen vermögende Privatkunden ab 500.000 Euro, das muss sich auch in der Kleidung zeigen". Hochwertige Anzüge sind also angesagt, "ab Boss aufwärts". Ohrringe und jede Art von Piercing sind natürlich tabu. "Konservativ eben", sagt Rüger, "das mag der Kunde so."
Etwas lässiger geht es nach Auskunft von Pressesprecher Knut Hansen bei der Hypo-Vereinsbank zu. Krawattenzwang gebe es nicht. "Die Grundregel heißt: Kleide dich so, dass der Kunde es als angemessen empfindet." Was das heißt, werde letztlich auch durch die Mode definiert. Jeans mit Sakko sei durchaus möglich, Badelatschen und bauchfreie Tops dagegen nicht.
Während bei Stadtsparkasse und Münchener Rück Anzüge und Krawatten ebenfalls zum Standard gehören, pflegen US-Firmen eine lockere Philosophie: "Wir laufen herum wie auf der Straße, daran nimmt keiner Anstoß", sagt ein Intel-Sprecher. "Am normalen Arbeitsplatz kann jeder tragen was er möchte", heißt es bei Microsoft. Das dürfen im Sommer auch Sandalen und T-Shirts sein. Nur wenn es raus zum Kunden geht, sagt Christine Müller aus der Microsoft-Personalabteilung, könne keiner in Jogginghosen auftreten. "Sonst geht die Seriosität verloren."
"Du sollst nicht auffallen"
Auch wenn sich die Anforderungen der Firmen unterscheiden, eines haben sie gemeinsam: Das erste Gebot jeder betrieblichen Kleiderordnung, das da lautet: "Du sollst nicht auffallen." Zwar müssen weibliche Angestellte "zur tunlichsten Fernhaltung jeder Ablenkung der Aufmerksamkeit" heute keine "Dienstschürzen aus grauem Mohairstoff" mehr tragen, wie es eine Dienstvorschrift für Telefonzentralen am Beginn des 20. Jahrhunderts forderte. Aber gerade für Frauen, so Modeberater Wagenheimer, "ist Zurückhaltung bei der Wahl des Outfits heute noch die oberste Maxime". Lange, wallende Haare seien im Geschäftsleben ebenso tabu wie kurze Röcke, Netzstrümpfe oder zu hohe Absätze. Stattdessen: "Knitterfreie Wolloptik".
Ähnlich geht es bei den Männern zu. Wer den Regeln der Business-Etikette folgen will, darf keine Vorliebe für grelle Farben haben. Schwarz, grau, blau sind für den Mann obligatorisch, bei den Schuhen - keine Slipper natürlich - komme im strengen Sinn nur schwarz in Frage. "Tabu sind Krawatten mit großen bunten Mustern, auch bei sengender Hitze Halbarmhemden, weiße Socken, Herrenhandtaschen und Trachten", sagt Wagenheimer. Bei den meisten Deutschen gebe es in Kleiderfragen "noch deutlich Spielraum zum optimieren". Im Vergleich zu Franzosen, Italienern oder Engländern sei der Nachholbedarf enorm.
Zu wenig Bedeutung messen die meisten ihrem Gewand bei, glaubt der Einzelhändler. Dabei sollten die Ausgaben für Anzug und Kostüm feste Größen im Jahresbudget sein. "Das ist schließlich eine Investition in die Karriere", sagt Wagenheimer. "Wo man in den Urlaub hinfährt, ist für den Job völlig unerheblich, was man anhat, kann für den beruflichen Erfolg entscheidend sein."
Und weil das so ist, werden die Mitarbeiter der Software-Firma Ray Sono auch weiterhin im Büro gelegentlich die labberigen Jeans mit dem Anzug vertauschen. Seriöse Kleidung strahle für viele eben Professionalität aus, sagt Ilona Kühn, "daran werden wir uns halten. Auch wenn man damit nur ein Klischee erfüllt."