Doping im Job:Wenn der Kollege Aufputschmittel braucht

Etwa drei Millionen Beschäftige in Deutschland haben an ihrem Arbeitsplatz schon Aufputschmittel genommen, sogenannte Neuro-Enhancer. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der DAK, die untersucht hat, wie viele Arbeitnehmer ihre Leistung im Job durch die Einnahme von Medikamenten zu steigern versuchen.

Gabriele Freude forscht im Bereich "Arbeit und Gesundheit" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und leitet dort die Forschungsgruppe "Mentale Gesundheit und Kognitive Leistungsfähigkeit". Die Forschungsschwerpunkte der 59-Jährigen liegen auf Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen bei der Arbeit und der psychischen Gesundheit und der kognitiven Leistungsfähigkeit von Beschäftigten. Im Interview spricht sie über erste Anzeichen und erste Hilfen.

Interview von Matthias Kohlmaier

SZ.de: Frau Freude, was ist Neuro-Enhancement?

Gabriele Freude: Das ist der Versuch, die geistige Leistungsfähigkeit und auch das psychische Wohlbefinden durch die Einnahme von Medikamenten zu verbessern. Dafür werden in der Regel verschreibungspflichtige Arzneien missbraucht - indem gesunde Menschen sie einnehmen, ohne dass das medizinisch sinnvoll wäre.

Um welche Substanzen geht es genau?

Psychostimulanzien, Antidepressiva und Antidementiva sind die wichtigsten. Im klassischen Sinn geht es um verschreibungspflichtige Medikamente, die in der Apotheke auf Rezept zu bekommen sind.

Woran lässt sich erkennen, ob ein Kollege oder Bekannter mit derlei Mitteln seine berufliche Leistungsfähigkeit steigern will?

Erst einmal lässt sich das gar nicht erkennen. Es wird zwar angenommen, dass sich Menschen aufputschen, die unter hoher psychischer Belastung leiden - aber solche Menschen gibt es viele. Dennoch greifen nur wenige dieser stressgeplagten Arbeitnehmer zu Medikamenten, um ihrem Job gewachsen zu sein. Wenn Sie nun einen Kollegen haben, der zusätzlich zur normalen Arbeit mehrere Nachtschichten hintereinander einlegt und keinerlei Einbußen bei seiner Leistungsfähigkeit zu erkennen sind, sollten Sie nachdenklich werden.

Wann wird der Konsum von solchen leistungssteigernden Mitteln gefährlich?

Dazu kann man pauschal gar nichts sagen. Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen hinsichtlich der Einnahme solcher Medikamente von Gesunden, entsprechend sind auch potenzielle Nebenwirkungen völlig ungewiss. Prinzipiell ist noch nicht mal nachgewiesen, dass diese Mittel bei eigentlich gesunden Menschen überhaupt eine Wirkung haben. In jedem Fall aber ist die Einnahme von Neuro-Enhancern keinesfalls eine vernünftige Methode, um mit Belastungen klarzukommen.

Ist das Phänomen Neuro-Enhancement ein branchenspezifisches Problem?

In der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin arbeiten wir gerade an einer Studie, für die wir verschiedene Berufsgruppen vergleichen. Da sie aber noch nicht publiziert ist, kann ich hier nicht ins Detail gehen. Was ich sagen kann: Wenn Personen solche Mittel einnehmen, dann wohl nicht, um eine Leistung weiter zu steigern, sondern um sie zu halten. Die Einnahme findet außerdem meist nur punktuell statt, zum Beispiel in Situationen mit besonders hoher Belastung. Persönlichkeitsmerkmale, wie hohe Ansprüche an das eigene Leistungsvermögen, spielen dabei auch eine wichtige Rolle. Neuro-Enhancement ist keinesfalls ein Massenphänomen.

Sport statt Pillen

Falls ich den Verdacht habe, dass ein Kollege seine berufliche Leistung nur mithilfe von Medikamenten bringt, wie sollte ich das ansprechen?

Gewöhnlich sollte es in jedem Betrieb Anlaufstellen geben, die für den Gesundheitsschutz zuständig sind; das sollte der erste Ansprechpartner sein. Natürlich darf man nichts gegen den Willen des Betroffenen tun und muss sehr sensibel mit dem Thema umgehen - ganz ähnlich wie bei einem Alkoholiker. Je nach Vertrauensverhältnis sollte man das Thema Neuro-Enhancement auch persönlich ansprechen. Gerade wenn man merkt, dass der betreffende Kollege mit extrem hoher Arbeitsbelastung zu kämpfen hat. Es ist dann sinnvoll, das Gespräch mit dem Thema Stress in der Arbeit zu beginnen und nicht sofort nach irgendwelchen Pillen zu fragen. In einem nächsten Schritt sollte man den Betroffenen dazu ermuntern, den Dialog mit seinem Vorgesetzten zu suchen.

Was spricht denn gegen die gelegentliche Einnahme eines Medikaments - egal ob es nun der Beruhigung, Wachsamkeit oder Stimmungsaufhellung dienen soll?

Dazu gibt es verschiedene Meinungen, ich sage aber ganz klar: Das kann nicht das Mittel der Wahl sein, um im Job klarzukommen. Da gibt es deutlich wirksamere Maßnahmen. Wir wissen kaum etwas über Nebenwirkungen, geschweige denn über langfristige Schäden, die solche Medikamente bei Gesunden anrichten könnten. Der Ansatz muss sein, darüber nachzudenken, wie sich Arbeitsbelastungen senken lassen, die Menschen erst dazu bringen, Neuro-Enhancer zu nehmen.

Was könnten Präventivmaßnahmen sein?

Eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeit - das sollte das erste Ziel sein und ist nur im Dialog zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten zu erreichen. Der Beschäftigte kann natürlich auch selbst etwas tun, um mit hohen psychischen Belastungen nach der Arbeit besser klarzukommen. Sportliche Aktivitäten können beispielsweise helfen. Das weiß zwar jeder, trotzdem ist es in der Umsetzung immer wieder kompliziert. Bewegung ist nicht nur für die körperliche, sondern auch für die geistige Leistungsfähigkeit sehr wirksam. Ausdauersport im moderaten Bereich wirkt sehr gut auf das parasympathische Nervensystem. So lässt sich wirklich gut entspannen.

Und was können Betroffene im Arbeitsalltag tun, um weniger gestresst zu sein?

Ganz entscheidende Faktoren, die die Gesundheit von Arbeitnehmern massiv beeinflussen, sind die soziale Unterstützung durch Kollegen und das Verhalten der Führungskräfte. Natürlich ist es erst einmal schwer, dem Chef klarzumachen, dass er quantitativ zu hohe Ansprüche an seine Angestellten hat. Aber es kann nicht im Interesse des Führungspersonals sein, dass die Leute ständig erschöpft und in der Folge häufiger krank sind. In jedem Fall gilt: Dauerhafte Überlastungszustände unbedingt an die nächsthöhere Hierarchieebene kommunizieren.

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