Doktorand und Doktorvater:Ohne Vertrauen geht es nicht

Guttenberg hat seinen Doktorvater hintergangen und sein Vertrauen missbraucht. Das hat nichts mit einem Fehler im universitären System zu tun. Besorgniserregend sind vielmehr die Reaktionen der politischen Öffentlichkeit.

Diethelm Klippel

Ein Doktorand namens Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg hat gravierend gegen die Regeln korrekten wissenschaftlichen Arbeitens verstoßen. Die Universität Bayreuth hat ihm daher nachträglich den Doktorgrad aberkannt. Mit dem Rücktritt des ehemaligen Doktoranden als Verteidigungsminister ist der Fall nicht erledigt. Die Universität Bayreuth beschäftigt sich weiterhin mit dem wissenschaftlichen Fehlverhalten. Und die wissenschaftspolitische Dimension der Affäre bleibt bestehen.

Fast 100 Professoren unter Korruptionsverdacht

Vertrauen ist die Basis zwischen Doktorand und Doktorvater.

(Foto: ddp)

Wissenschaftliches Fehlverhalten, das zur Entziehung des Doktorgrades führt, ist für alle Beteiligten unangenehm. Aber es kommt vor - ausnahmsweise. Und es kann jede Universität treffen. Die Suche nach den Schuldigen dafür treibt merkwürdige Blüten: Ist den Gutachtern ein Vorwurf zu machen? Der Rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth? Gar dem deutschen Wissenschaftssystem? Ein Blick auf das Verhältnis Doktorand-Doktorvater gibt Aufschlüsse.

Vor mir sitzt eine frischgebackene Absolventin der Ersten Juristischen Prüfung. Sie hat das Traumergebnis "gut", gehört damit zu den etwa fünf Prozent der Besten ihres Prüfungstermins in ganz Bayern. Sie will besprechen, ob sie jetzt sofort in den Referendardienst gehen soll, ob sich eine Promotion lohnt, ob sie bei mir auf einem bestimmten Gebiet der Rechtswissenschaft promovieren kann. Da ich sie als hervorragende Mitarbeiterin bereits kennengelernt habe, nehme ich sie als Doktorandin an. Wir diskutieren mögliche Themen. Ich lege ihr die Gründe für eine Promotion zum jetzigen Zeitpunkt dar, bespreche die Frage der Finanzierung, eines Stipendienantrags, versuche sie zu motivieren. Wir vereinbaren ein weiteres Gespräch in zwei Wochen, um endgültig ein Thema zu vereinbaren.

Vor mir sitzt ein Rechtsanwalt, der gerade seine Zweite Juristische Staatsprüfung abgelegt hat. Die erforderliche Note für eine Promotion hat er. Ich habe ihn während des Studiums nie kennengelernt. Er hat feste Vorstellungen über ein mögliches Thema. Ich überzeuge ihn, dass das Thema unergiebig ist, sage ihm, dass ich, bevor ich ihn als Doktoranden annehme, erwarte, dass er in einem Seminar von mir einen Vortrag hält. Er will sich überlegen, ob er unter diesen Umständen bei mir promovieren will. Meldet er sich wieder, vereinbaren wir einen Vortragstermin. Nach einem erfolgreichen Vortrag vereinbaren wir ein Thema und er ist als Doktorand von mir angenommen.

Er muss sich heftige Kritik gefallen lassen

Zwei Fälle, die einen Einblick in den möglichen Beginn von Promotionsverhältnissen geben. Von Anfang an unterscheidet sich eine Dissertation von beliebigen anderen Prüfungsarbeiten. Der zukünftige Doktorand einigt sich mit mir auf ein geeignetes Thema, dessen Untersuchung wissenschaftlichen Fortschritt verspricht und ihn zugleich zu wissenschaftlicher Arbeit motiviert. Von Anfang an entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen mir und dem Doktoranden. Es vertieft sich im Laufe der Arbeit. Der Doktorand erstellt eine vorläufige Gliederung, die besprochen und abgeändert wird. Es finden weitere Beratungsgespräche statt: Ich gebe Tipps für die weitere Behandlung des Themas. Ich lese und korrigiere einzelne Kapitel. Ich lade zu Vorträgen nebst Diskussion über das Thema oder einzelne Aspekte davon in meinem Doktorandenseminar ein.

Das alles muss nicht so sein. Jeder Hochschullehrer gestaltet das Betreuungsverhältnis anders. Mindestens aber sollten erfolgen: Vereinbarung des Themas, Besprechung der Gliederung, Lektüre und Korrektur des letzten Entwurfs als Voraussetzung für die Einreichung der Arbeit.

Die gesamte Bearbeitungszeit - durchschnittlich drei Jahre - ist gekennzeichnet von intensiver Arbeit des Doktoranden. Literatur und Rechtsprechung sind möglichst vollständig zu recherchieren. Die Niederschrift nimmt fast immer mehr Zeit in Anspruch als geplant. Der Doktorand ringt um präzise Formulierungen. Er wird mit den Möglichkeiten und Grenzen seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit konfrontiert. Er erlebt Krisen und nimmt finanzielle und soziale Entbehrungen auf sich. Er muss sich zum Teil heftige Kritik von mir gefallen lassen.

Es folgt die Lektüre des Gesamtentwurfs. Ich kann noch Änderungen oder Ergänzungen vorschlagen. Ich kann den Doktoranden fragen, ob er noch ein paar Monate investieren will oder kann, um einige Stellen zu vertiefen und ein "magna cum laude" zu erhalten, oder ob er mit einem "cum laude" zufrieden ist. Ich freue mich mit dem Doktoranden, wenn die Arbeit erfolgreich abgeschlossen ist. Ich freue mich über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und bin begeistert, wenn ich sie als exzellente Leistung mit "summa cum laude" benoten kann. Das gehört zu den Sternstunden eines Hochschullehrers.

Am Ende reicht der Doktorand die Arbeit bei der Fakultät ein. Der Dekan überprüft die Zulassungsvoraussetzungen und bestellt den Betreuer als Erstgutachter und einen weiteren Hochschullehrer als Zweitgutachter. Sie legen ihre Gutachten vor, deren Noten voneinander abweichen können. Ein dritter Hochschullehrer übernimmt es, die mündliche Prüfung - meist eine Disputation über den Inhalt der Arbeit - zu organisieren. Nach bestandener Disputation ist es immer noch nicht geschafft: Die Dissertation muss veröffentlicht werden. Nach der Abgabe einer bestimmten Zahl des veröffentlichten Werkes (den sogenannten Pflichtexemplaren) darf der Doktorgrad geführt werden.

Der Gutachter hat sich richtig verhalten

Das Promotionsverhältnis beruht auf Vertrauen zwischen Doktorvater und Doktorand. Wissenschaftliches Fehlverhalten stört dieses Vertrauensverhältnis. Der Doktorvater traut seinem Doktoranden, den er inzwischen persönlich gut kennt, einen Verstoß gegen Grundregeln des wissenschaftlichen Arbeitens einfach nicht zu. Zumal jeder wissen müsste, dass ein Verstoß dagegen früher oder später aufgedeckt wird. Normalerweise kommt ein Doktorand daher gar nicht auf den Gedanken zu plagiieren. Normalerweise besteht daher kein Anlass, sich anhand jeder Fußnote misstrauisch auf Plagiatssuche zu machen. Misstrauen vergiftet die gemeinsame Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis.

Es kann nicht genug betont werden: Der Doktorand zu Guttenberg hat ein Vertrauensverhältnis ausgenutzt. Das hat zur Aberkennung des Doktorgrades geführt - nicht ein Fehlverhalten der Gutachter, der Fakultät, der Universität oder unseres Wissenschaftssystems. Besorgniserregend sind zudem einige Reaktionen in der politischen Öffentlichkeit: Wissenschaftliches Arbeiten wird marginalisiert. Wissenschaftliches Fehlverhalten erscheint als lässliche Sünde. Dem kann nicht energisch genug widersprochen werden.

Speziell die Bedeutung des juristischen Doktorgrades steht auf dem Spiel. Nach Einführung der Staatsexamina als Qualifikation für juristische Berufe erfüllt der juristische Doktorgrad eine doppelte Funktion: Zum einen ist er Voraussetzung für die Hochschullehrerlaufbahn, zum anderen stellt er eine Zusatzqualifikation insbesondere für Spitzenpositionen dar. Der mit Prestige verbundene juristische Doktorgrad ist eine Art Gütesiegel in einer Wissenschafts- und Bildungsgesellschaft. Seine Abwertung verhöhnt das Bohren dicker wissenschaftlicher Bretter, verhöhnt die Arbeit von Doktoranden und ihren Betreuern und stellt Grundlagen der so oft beschworenen Wissenschafts- und Bildungsnation Deutschland in Frage.

Professor Dr. iur. Diethelm Klippel, Jahrgang 1943, ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte, Ombudsmann für Selbstkontrolle in der Wissenschaft und Sprecher des Graduiertenkollegs "Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit" der Universität Bayreuth

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