Doktor-Betrug:"Der konnte mal was"

Der Doktortitel ist kein Ausdruck wissenschaflicher Berufung - sondern eine Trophäe für Visitenkarten. Warum nur sind die Leute so dämlich und zahlen dafür bei dubiosen Agenturen Geld?

J. Schloemann

Wo ist der Doktor? Im Impressum einer amerikanischen oder englischen Qualitätszeitung, im Verzeichnis der Abteilungsleiter eines gehobenen amerikanischen oder englischen Firmenbüros findet man sehr selten einen promovierten Akademiker. Das geübte Säuseln "Herr Doktor Schmidt ist zu Tisch" einer deutschen Vorzimmerdame, man kann es dort nicht vernehmen. Dabei haben jene Länder, bei allen Klagen über einen gewissen akademischen Niedergang auch dort, bis heute eine Reihe von exzellenten Universitäten. Wie anders ist das in Deutschland: Hier ist im Impressum der Qualitätszeitung oder unter den Abteilungsleitern im Büro oft jeder zweite Name mit einem "Dr." versehen.

Doktor-Betrug: Doktortitel gegen Bares: In manchen etablierten Positionen bedeutet der Doktor einfach nur noch so viel wie: "Der konnte mal was".

Doktortitel gegen Bares: In manchen etablierten Positionen bedeutet der Doktor einfach nur noch so viel wie: "Der konnte mal was".

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Trophäe für Klingelschilder und Visitenkarten

Warum gibt es diesen Unterschied? Neben der ererbten Titelseligkeit der mitteleuropäischen bürgerlichen Gesellschaft liegt es daran, dass in England und in den USA meist ein normaler Studienabschluss an einer renommierten Universität ausreicht, damit man für einen höheren Beruf in Frage kommt. Wer dort hingegen einen Doktor macht, also einen "Ph.D.", der unterliegt strengeren Auswahlkriterien, und er entscheidet sich damit vor allem langfristig für eine akademische Laufbahn. Das heißt: Er bleibt meistens an der Universität. Außerhalb derselben gibt es nämlich für den aufwendig erworbenen akademischen Grad gar keine sinnvolle Verwendung - abgesehen vielleicht von speziellen Randbereichen, etwa Biotechnologie-Firmen, die aus der Universität heraus gegründet wurden und mit ihrer fachlichen Qualifikation werben.

In Deutschland jedoch ist der Doktortitel häufig keineswegs Ausdruck lebenslänglicher wissenschaflicher Berufung, sondern eine Trophäe für Klingelschilder und Visitenkarten. Der Titel gilt außerhalb der akademischen Welt als Ausweis, über die gute Examensnote an einer austauschbaren deutschen Universität hinaus - denn die kann heute wirklich jeder halbwegs begabte Abiturient erlangen - mehr, besser, gründlicher studiert zu haben. Die Beharrungskraft, Selbständigkeit und Akribie, die der Kandidat bei der Bearbeitung eines wissenschaftlichen Themas bewiesen haben muss, wird er, so die Hoffnung, auch im Büro an den Tag legen. Erfüllt er die Erwartung, dann schlägt sich dies in seinem Gehalt wieder, und Firma und Angestellter verwenden dann den Titel zur gegenseitigen Distinktion.

"Ganz blöd kann er nicht sein"

In manchen etablierten Positionen bedeutet der Doktor einfach nur noch so viel wie: "Der konnte mal was" - der Betitelte hat sein heutiges Büroleben früher einmal mit Leistungen grundiert, die übers Tagesgeschäft hinausweisen. Mindestens aber bedeutet der Verweis auf die Promotion landläufig: "Ganz blöd kann er nicht sein." So hat einst die CDU permanent öffentlich von "Dr. Helmut Kohl" gesprochen, nicht nur um den Respekt zu verstärken, sondern um den Provinzialismusvorwurf zu kontern, also das Vorurteil, der Bundeskanzler sei geistig nie über den Saumagen hinausgekommen.

Weniger offensiv wird im gegenwärtigen Wahlkampf die akademische Qualifikation der Bundeskanzlerin herausgestellt, weil sie ohnehin schon in Gefahr steht, als ungemütlich und verkopft zu gelten, weswegen man lieber ihre weichen Züge betont. Übrigens konkurriert Dr. Angela Merkel gerade mit Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr. Guido Westerwelle und Dr.Gregor Gysi - sie sind allesamt zuletzt nicht durch intensive wissenschaftliche Studien aufgefallen.

Auf der nächsten Seite: Heute wird sogar für ein Volontariat in einem kleineren Provinzmuseum ein kunsthistorischer Doktor verlangt.

Reich der höheren Studien

Durchs Nadelöhr der Wissenschaft

Im deutschen Bildungswesen und Geschäftsleben ist also mit dem beliebten Einsatz von Promovierten außerhalb der Universität von vornherein eine Inflationierung der Promotion in Richtung Berufsqualifikation angelegt. Diese Inflationierung nun wurde durch die Expansion des Bildungswesens seit den sechziger Jahren massiv verstärkt.

Man hätte vielleicht meinen können, dass dieser Verbreiterung des Zugangs zur höheren Bildung eine konsequente Qualitätskontrolle und auch mengenmäßige Limitierung bei der Promotion gegenübergestellt würde, nach dem Motto: Je mehr ins System hineinkommen, desto strenger wacht die Wissenschaft über das Nadelöhr, durch welches man in ihr Reich der höheren Studien gelangt. Doch alsbald zeigte sich, dass es anders lief: Mit dem Wachsen der Abiturienten- und Studentenzahlen nahmen auch die Promotionen zu. Im Jahr 1975 wurden in Westdeutschland schon gut 11.000 abgeschlossene Promotionsverfahren gezählt, 1992 ebenda 20.000, und gesamtdeutsch ermittelte das Statistische Bundesamt bei der jüngsten veröffentlichten Erhebung im Jahr 2007 die Zahl von 23.843 Promotionen.

Station der persönlichen Lebensplanung

Nicht nur wird heute für manche Stellungen in Anwaltskanzleien ein juristischer, es wird sogar für ein Volontariat in einem kleineren Provinzmuseum inzwischen ein kunsthistorischer Doktor verlangt. Dass das Doktorat damit immer mehr von einem Forschungsbeitrag in einer wissenschaftlichen Laufbahn zu einer Station der persönlichen Lebensplanung wird, lässt sich bis in den Sprachgebrauch hinein beobachten: Um die Abhängigkeit von fachlicher Autorität und akademischer Gepflogenheit in den Hintergrund und das eigene leistungsbewusste Handeln in den Vordergrund zu rücken, sagt man heute immer öfter: "Er hat promoviert." Und nicht wie früher: "Er wurde promoviert."

Wenn es nun mehr Akademiker als früher und zugleich mehr Arbeitslosigkeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse gibt, und wenn immer mehr Studierte meinen, ohne Promotion nicht beruflich vorankommen zu können, dann ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass auch zunehmend versucht wird, mit allen Mitteln an den Doktortitel zu kommen. Promotionsschwindler, wie sie jetzt die Ermittler der Kölner Staatsanwaltschaft aufgespürt haben (SZ vom 24. August), hat es früher schon gegeben, aber sie können heute von gesunkenen Anforderungen und von der gewachsenen Unübersichtlichkeit der Promotionen und der akademischen Einrichtungen im Reformchaos der Hochschulpolitik profitieren. Auch liegt die Kontrolle in Deutschland stärker beim einzelnen Professor, der die Dissertation betreut, und der muss rein formal in der Regel kein gutes oder sehr gutes Examen zu Voraussetzung des Promovierens machen (auch wenn dies an den seriösen Instituten der Fall ist).

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Ohne Einsatz und ohne Intellekt

Empirische Fleißarbeiten

Verwunderlich also ist es nicht, wenn das Promovieren mit allen Mitteln versucht wird. Verwunderlich ist etwas anderes: nämlich dass die Leute so dämlich sind, dafür bei dubiosen Beratungsinstituten Geld zu bezahlen und das Risiko einzugehen, dass der Betrug entdeckt wird. Denn längst kann man eine Schmalspurpromotion auch viel billiger haben, und das ganz legal. Immer mehr Dissertationen sind heute enge Spezialstudien, oft rein empirische, nicht sonderlich beanspruchende Fleißarbeiten, die keine vorausgehende Allgemeinbildung erfordern. Man muss also nur zu einem Schmalspurprofessor gehen, der einen auch gerne ohne Verletzung seiner Dienstpflichten leicht durchschleust.

Denn während manche Literaturwissenschaftler aus ihrer Dissertation ein 800-seitiges Lebenswerk machen, geht es an anderen Stellen auch ganz anders. Willkürlich greifen wir in wörtlicher Zitation zwei Themen heraus, über die an deutschen Universitäten gerade Doktorarbeiten geschrieben werden: "Weiterentwicklung, Dokumentation und Evaluation des Maus-O-Meter, einer Methode zur frühzeitigen Evaluation der Gebrauchstauglichkeit von World Wide Web Angeboten via Internet" und "Wirkung und Wirkungsparameter von Kundenzeitschriften". Nicht dass diese Arbeiten ganz ohne Einsatz und ohne Intellekt verfasst werden könnten; aber wesentlich mehr Energie als bei der kriminellen Variante muss man dafür wohl auch nicht aufwenden.

Wenn jetzt die Hochschulrektorenkonferenz in Reaktion auf die Betrugsfälle verkündet: "Missbrauch der Promotion hat keinen Platz in der deutschen Wissenschaft", meint sie zwar den formal inkorrekten Betrug. Aber längst gibt es an Deutschlands Universitäten auch vielerorts einen inflationären Betrug an der Qualität, wo formal alles korrekt ist.

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