Diversität:Es geht ums Überleben

Diversität: Ein großes Plakat im schwedischen Stockholm wirbt für Diversität.

Ein großes Plakat im schwedischen Stockholm wirbt für Diversität.

(Foto: Michael Probst/AP)

Immer mehr Firmen bemühen sich um Diversität - aus Eigennutz. Denn nur mit weißen Männern geht es etwa in der Tech-Branche nicht mehr. Doch es geht nur langsam voran.

Von Katharina Kutsche, Hannover/München

Mangelnde Vielfalt ist in der Tech-Branche zweifellos ein Problem. In den USA etwa arbeiten in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) nur zu 26 Prozent Frauen, gerade mal neun Prozent sind "Women of Color": Asiatinnen, Afroamerikanerinnen, Latinas.

In Deutschland ist der Anteil an Frauen ähnlich gering. Sie machen weniger als ein Drittel der Mint-Studenten aus, Informatik studieren nur 20 Prozent. Kulturelle Vielfalt am Arbeitsplatz bringt aber neue Perspektiven. Das haben zahlreiche Studien ergeben, und das wissen auch die Tech-Unternehmen. Vielfalt überwindet Brücken, wenn Menschen mit unterschiedlicher Herkunft oder Religion, zwischen Jung und Alt und diversen Geschlechtern zusammenkommen.

Den Veranstaltern der IT-Show Cebit war das Thema im Juni immerhin eine Podiumsdiskussion wert, der Titel: "Business als Plattform für gesellschaftlichen Wandel". Die Teilnehmer beschworen, wie nötig dieser Wandel ist, als Erfolgsgarant, aber auch für die Personalgewinnung. Martina Koederitz, IBM-Managerin, sagte, ein Unternehmen müsse Vielfalt und Inklusion zulassen, es könne sonst nicht lange überleben. Jürgen Pinkl, Manager beim Technologie-Dienstleister Accenture, erklärte, "diverse Teams liefern bessere Lösungen". Und Tony Prophet, der die Diskussion leitete, stand als "Chief Equality Officer" stellvertretend für die Bemühungen seines Arbeitgebers Salesforce.

Da Technologien einen enormen gesellschaftlichen Einfluss haben, sollte sich die Vielfalt ihrer Nutzer auch unter den Entwicklern abbilden. Davon ist man jedoch weit entfernt.

Ein zweiter Blick zeigt aber auch, dass die Branche ein generelles Nachwuchsproblem hat. Der Verband Bitkom rechnet jährlich vor, wie viele IKT-Jobs allein in Deutschland unbesetzt sind: 55 000. In den USA erwarten Experten, dass es im Jahr 2026 etwa 3,5 Millionen IKT-Stellen geben wird, denen aber nicht mal ein Fünftel an Uni-Abgängern mit entsprechenden Fächern gegenübersteht. Nicht nur weiße Männer zu beschäftigen, sichert den Unternehmen tatsächlich das Überleben. Wie aber versuchen Betriebe wie IBM, Salesforce und Accenture, das zu lösen?

IBM stellte schon 1935 die erste Frau ein, zu gleicher Bezahlung

IBM etwa, ein Unternehmen, das allein in Deutschland mehrere Zehntausend Mitarbeiter beschäftigt, ist ein historisches Vorbild. Der frühere IBM-Präsident Thomas J. Watson vertrat die Ansicht, wenn man in unterschiedlichen Märkten erfolgreich sein wolle, müssten sich diese Märkte in den Menschen im Unternehmen abbilden. 1935 stellte er die erste Frau ein, bei gleicher Bezahlung, 1943 berief er die erste Vizepräsidentin. 2011 wurde in Martina Koederitz die erste Frau zur Deutschland-chefin berufen, nur ein Jahr später Ginni Rometty zur Chefin des gesamten Konzerns. Weltweit beschäftigt IBM rund ein Drittel Frauen, bei Führungskräften liegt ihr Anteil bei 30 Prozent.

Koederitz arbeitet seit mehr als 30 Jahren für IBM, seit Anfang 2018 ist sie weltweit für deren Industrie- und Automobilbereiche verantwortlich. Sie hätte sich gewünscht, dass man bei der Gleichstellung schon weiter wäre. "Wir verlieren immer noch zu viele Frauen in die Teilzeit und Elternzeit", so Koederitz. "Da sind wir noch nicht bei einer gleichberechtigten Aufgabenteilung angekommen: Es sind eher die Frauen, die kürzertreten." Zudem haben viele Frauen einen zu hohen Anspruch an sich selbst und zu wenig Mut zur Lücke. In dieser schnelllebigen Zeit müsse man aber auch etwas entscheiden, wenn nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen.

Vielfalt fördert man, indem man sie sichtbar macht

Vielfalt beinhaltet mehr als nur das zahlenmäßige Verhältnis von Frauen und Männern. Eine Studie der Unternehmensberatung EY von 2016 zeigt aber, dass mehr als die Hälfte der befragten Führungskräfte keinen Handlungsbedarf sah, Vielfalt in Bezug auf Religionen oder sexuelle Orientierung und Identität in ihren Unternehmen zu fördern. Das mag daran liegen, dass es viel schwieriger zu gestalten ist, entlässt die Manager aber nicht aus ihrer Verantwortung.

Vielfalt fördert man, indem man sie sichtbar macht. Uhlala etwa, ein Unternehmen aus Berlin, bietet mit Sticks & Stones eine Job- und Karriereplattform und -messe für die LGBTIQ-Gemeinde: Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle. Und Ende Oktober will Uhlala eine Liste mit 100 Top-Führungskräften veröffentlichen, die geoutet sind und erfolgreich im Beruf stehen. Das schafft Vorbilder.

Beim Cloud-Anbieter Salesforce ist die Gleichstellung einer von vier Kernwerten des Unternehmens: Equality im Sinne von "jedem Zugang gewähren", sagt Europa-chef Alexandre Dayon. Derzeit sei der Frauenanteil im Unternehmen bei exakt 30,1 Prozent: "Wir sind nicht perfekt." Das Bemühen um Gleichstellung, welche Werte und Kultur in einem Unternehmen gelebt werden, beginnt an der Spitze. Bei Salesforce bedeutet das: Es gibt Tony Prophet als Gleichstellungsvorstand. Manager sind aufgefordert, in Konferenzen darauf zu achten, dass die Hälfte der Teilnehmer weiblich ist. Und jede Führungskraft mit mehr als 500 Mitarbeitern hat eine öffentliche Scorecard mit der Diversitätsstatistik ihres Teams.

Schwarz auf weiß können die Zahlen hart wirken. Da erkenne jeder Chef selbst, dass er ein Problem habe, so Dayon: "Wir glauben an volle Transparenz." In den vergangenen zwei Jahren hat das Unternehmen je drei Millionen Dollar ausgegeben, allein um Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen auszugleichen und Löhne zu erhöhen.

Accenture will bis 2025 die Hälfte der Stellen mit Frauen besetzen

Bei Accenture liegt der Anteil an Mitarbeiterinnen bei 40 Prozent, in den deutschsprachigen Ländern aktuell bei 30 Prozent. "Unser Unternehmen hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Hälfte all seiner Stellen mit Frauen zu besetzen", sagt Personalchefin Marina Klein. Mitarbeiterinnen in Elternzeit wird ermöglicht, an Projekten mitzuarbeiten, ohne voll einsteigen zu müssen. So bleiben sie nah an Themen und am Unternehmen. Regional habe man gerade das selbst gesteckte Ziel erreicht, zu 45 Prozent Frauen einzustellen. Vorgaben funktionieren also.

Der Tech-Dienstleister schult besonders die eigenen Führungskräfte, vermittelt ihnen, was inklusive Führung beinhaltet. Und zwingt sie, sich mit einem der größten Verhinderer von Vielfalt auseinanderzusetzen: dem "unconscious bias". Das sind unbewusste Vorurteile, die Menschen in sich tragen und die Personalentscheidungen beeinflussen können. Doch die Vielfaltswerte müsse jeder Einzelne im Unternehmen tragen, so Klein. Das bedeute etwa, dass nicht nur aktive Mitglieder der Frauen-Initiative auf Gleichberechtigung der Geschlechter achten. Und dass man als LGBT-Verbündeter eine Gruppe stärkt, der man selbst nicht angehört.

Auch IBM hat Netzwerke für Frauen und sensibilisiert die Führungsebene, bietet Workshops zu Präsentation und anderen Themen, beruft Mentoren. Vor allem versuche man, Frauen sichtbarer zu machen, sagt Koederitz. Sie mag den Begriff der Frauenförderung nicht, spricht lieber neutral von Talententwicklung. Denn zum einen brauchten Frauen nicht immer mehr Förderung. Und zum anderen schaffe es schließlich auch nicht jeder Mann voranzukommen.

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