Süddeutsche Zeitung

Diversität:"Ich hatte große Angst vor meinem beruflichen Coming-out"

Sexuelle Diskriminierung im Büro ist ein Problem - und eine Verschwendung von Talenten. Für Unternehmen, die umdenken und Vielfalt fördern, ergeben sich dagegen interessante Chancen.

Von Matthias Kreienbrink

Als Julia Meinken ihr berufliches Coming-out hatte, saß sie in einem Bewerbungsgespräch. Es ging intern um eine Stelle als Ansprechperson für queere Menschen der Polizei Niedersachsen. Sie wurde gefragt, wieso sie richtig für diese Stelle sei. Ihre Antwort: "Sie mögen denken, dass ein Mann vor Ihnen sitzt, aber das ist nicht richtig. Ich bin eine Frau, ich bin trans." Und die Reaktionen waren: positiv. "Wir werden Sie unterstützen, sollte es Probleme geben", sagte ihr Vorgesetzter.

Nicht alle Menschen erleben eine so positive Reaktion wie Julia Meinken. Das Coming-out am Arbeitsplatz ist eine oftmals komplizierte Angelegenheit - wenn es denn überhaupt passiert. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2019 ergab, dass sich in Deutschland nur 37 Prozent der queeren Menschen am Arbeitsplatz erklären. Der Rest verschweigt diesen Teil der Identität. Eine Umfrage des Berufsportals Linked-In ergab, dass 23 Prozent der Befragten Benachteiligung aufgrund ihrer queeren Identität erlebt haben. Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass queere Menschen im Vergleich zu ihren heterosexuellen Kolleginnen und Kollegen seltener befördert werden. Der Diversity Day, der am 26. Mai stattfand, setzt sich daher für Vielfalt am Arbeitsplatz ein.

Outing per Whatsapp: Sie änderte ihr Statusbild und zeigte sich mit Frauenkleidern

"Ich hatte große Angst vor meinem beruflichen Coming-out", sagt Julia Meinken. Sie habe niemanden bei der Polizei gekannt, der oder die trans war. Ihr Outing bei den restlichen Kolleginnen und Kollegen fand per Whatsapp statt, indem sie das Statusbild änderte. "Ich habe eines gewählt, auf dem ich als Frau gekleidet bin", sagt sie. Das war an einem Freitag. Am Montag, in einer Runde von zehn Kolleginnen und Kollegen, habe sie es dann angesprochen. "Es kam gut an. Einige meinten sogar, dass sie sich das schon gedacht hätten", sagt die Polizeivollzugsbeamtin. Auch im Umgang mit der Bevölkerung habe sie bisher keine offene Diskriminierung erlebt. "Das mag auch daran liegen, dass die Menschen zu mir ins Büro kommen und das ein geschützter Bereich ist."

Ähnlich positive Erfahrungen hat auch Sabrina gemacht, die lieber ohne Nachname in der Zeitung stehen möchte. Sie ist Erzieherin in Berlin und arbeitet in einer sogenannten Brennpunkt-Kita. "Von Anfang an bin ich offen damit umgegangen, dass ich eine Verlobte habe", sagt sie. Während andere von ihren Wochenend-Plänen erzählt hätten, habe sie gesagt: "Ich fahre dieses Wochenende mit meiner Freundin weg." Sicherlich gab es Fragen: Meinst du eine Freundin oder deine Freundin - also deine Partnerin? "Doch es gab kein Naserümpfen, für die meisten war das normal", sagt Sabrina.

In ihrer Kita können die Kinder auch etwas über andere Familienmodelle erfahren, wenn sie möchten. "Wir haben hier Bücher, in denen Familien mit nur einer Mutter vorkommen. Oder mit zwei Vätern." Die Kinder würden schon ab und an fragen: Hast du einen Mann? Verblüffte Blicke, wenn sie antworte, dass sie bald ihre Freundin heiraten werde. "Dann erkläre ich ganz einfach, dass Frauen auch mit Frauen zusammen sein und diese heiraten können. Und danach ist das Thema eigentlich immer durch."

Queer

Wem LSBTIA - eine Abkürzung für lesbisch, schwul, bi, trans, inter und asexuell - zu umständlich ist, spricht von queer - Englisch für schwul. Im Deutschen wird queer als Oberbegriff genutzt für Menschen, die sich nicht innerhalb des heterosexuellen oder zweigeschlechtlichen Spektrums einordnen.

Ein geglücktes Coming-out am Arbeitsplatz hängt freilich von vielen Faktoren ab. Etwa davon, wo man lebt und arbeitet. In einer Metropole wie Berlin oder München ist es wahrscheinlicher, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits Berührungspunkte zu queeren Menschen hatten. Es hängt von den Vorgesetzten ab, davon, wie divers ein Unternehmen ist, welche Unternehmensphilosophie gelebt wird. Es hängt davon ab, ob man schwul, lesbisch oder trans ist. Ob man weiß ist oder nicht. Und natürlich hängt es auch von dem Beruf ab, in dem man arbeitet.

"In meiner Ausbildung bin ich oft heulend nach Hause gekommen. Wollte alles hinschmeißen", sagt Andreas Dehmel. Mit 27 hat er eine Ausbildung zum Koch angefangen, davor war der heute 38-Jährige in der Bundeswehr. "Schon da habe ich einige Schwulenfeindlichkeit erlebt", sagt er. Doch sei das in der Kochausbildung noch stärker geworden. "Der Seniorchef des Restaurants hat mich nicht selten Schwuchtel genannt. Er hat meine Arbeit immer schlecht bewertet, hat genau auf alles geachtet, was ich mache", sagt Dehmel. Auch in der Berufsschule sei er beleidigt worden. "Ich habe darauf nicht reagiert. Aber innerlich hat es mich doch fertig gemacht." Andreas Dehmel hat seine Ausbildung abgeschlossen, den Betrieb danach verlassen - und ist später zurückgekehrt, auf Drängen des neuen Chefs.

Heute leitet Dehmel die Küche des Restaurants, in dem er die Ausbildung gemacht hat. "Der Chef und das Personal stehen voll hinter mir, und der Senior hält sich raus", sagt Dehmel. Er leitet ein zwölfköpfiges Team. "Ich achte sehr darauf, dass es keine homophoben, sexistischen oder auch rassistischen Sprüche in meiner Küche gibt." Er wisse, dass es in der Koch-Branche noch viele Männer gebe, die alten Männlichkeitsbildern anhängen. "Wir haben Fachkräftemangel. Ich denke, den beheben wir nicht nur durch bessere Arbeitszeiten und Bezahlung. Sondern auch durch mehr Diversität. Es muss egal sein, wen du liebst oder woher du kommst", sagt der Küchenchef.

"Je weniger divers ein Team ist, desto eher kann Diskriminierung zum Alltag gehören"

Mit seiner Herkunft hatte Hassan, der eigentlich anders heißt und lieber so genannt werden möchte, auch schon Probleme. Er ist queer und freier Journalist. Er lebt in Deutschland und habe schon gemerkt, dass "queer und Araber zu sein mit einigen Vorgesetzten einfach nicht funktioniert". Er habe erlebt, dass seine Fähigkeiten auf seine Identität reduziert wurden und diese zu sehr in der Nische sei. "Es wird auch oft als unprofessionell gesehen, wenn man offen über die queere Identität spricht. Das ist natürlich bei den heterosexuellen Kolleginnen und Kollegen nicht so, wenn sie von ihrem Leben berichten." Er habe aber auch schon Arbeitgeber gehabt, die ihn, gerade weil er queer ist, bevorzugt hätten. "Wenn ich für Medien im Mittleren Osten arbeite, versuche ich meine Queerness zu verstecken." In Deutschland sei hingegen weniger seine sexuelle Orientierung ein Problem, sondern seine Herkunft.

Stuart B. Cameron ist Gründer der Uhlala Group, ein Unternehmen, dass sich für queere Menschen in der Arbeitswelt einsetzt. "Je weniger divers ein Team ist, desto eher kann Diskriminierung zum Alltag gehören", sagt er. Dabei sei es unerheblich, ob es sich um queere, nicht weiße Menschen oder auch Frauen handle. Cameron schlägt daher queeren Menschen auf der Suche nach einem neuen Job vor, auf diese Aspekte zu achten: "Wird auf der Website auf Diversität hingewiesen? Wie sieht die Unternehmensspitze aus? Nur weiße Hetero-Männer?" Das alles könnten Indikatoren dafür sein, ob man als queerer Mensch ohne Angst offen am Arbeitsplatz sein könne. Sichtbarkeit ermutige mehr Menschen dazu, sich nicht mehr zu verstecken.

Julia Meinken ist nun queere Ansprechperson der Polizeidirektion Braunschweig. Sie ist sich ihrer wichtigen Funktion bewusst, ist offen trans und für Menschen da, die selbst vielleicht nicht so viel Glück hatten wie sie. "Kein queerer Mensch soll Angst haben, zur Polizei zu gehen", sagt sie. Auch sie sieht Sichtbarkeit als das beste Mittel, Vorurteile und Hass abzubauen und es gleichzeitig anderen einfacher zu machen, sich zu outen - ob am Arbeitsplatz oder in der Familie. "Ich denke, es braucht Vorbilder. Menschen, die einfach so leben, wie sie sind. Und sich dafür nicht entschuldigen."

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Quelle:
SZ vom 26.05.2020
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