Diskussion über Homeoffice:In der Ferne, so nah

Seitdem der Internet-Konzern Yahoo das Ende der Heimarbeit ausgerufen hat, debattiert Amerika über das Büro zu Hause. Für die Befürworter ist es ein guter Weg, Berufs- und Familienleben zu vereinbaren. Gegner von Homeoffice fürchten um Produktivität und Kreativität.

Von Alexandra Borchardt

Bill Gates redet gern über Malaria, Richard Branson über Weltraumtourismus und Michael Bloomberg über schärfere Waffengesetze. Jüngst allerdings hatten die erfolgreichen Unternehmer ein gemeinsames Thema. Nicht etwa Managergehälter, die Euro-Krise oder die Zukunft des Internets. Es ging um Heimarbeit. Tatsächlich. Seitdem Yahoo-Chefin Marissa Mayer sämtliche Mitarbeiter an Schreibtische auf dem Firmengelände zurückbeordert hat, diskutiert die amerikanische Büroarbeiterschaft über Telecommuting und das Homeoffice.

"In 30 Jahren werden sich die Leute darüber wundern, dass es Büros überhaupt gegeben hat", kritisierte Multi-Entrepreneur Branson Mayers Diktum und fügte hinzu: "Wer seinen Beschäftigten Wahlfreiheit gibt, stärkt sie und macht sie zufriedener." Software-Milliardär Gates nannte es "eine wundervolle Sache", wenn Mitarbeiter dank digitaler Technologien über große Entfernungen hinweg zusammenarbeiten könnten.

New Yorks Bürgermeister Bloomberg dagegen ätzte: "Ich habe Telecommuting schon immer für eine der dümmeren Ideen gehalten, die mir begegnet sind." Chatten via Internet sei etwas anderes, als wenn sich Kollegen am Wasserautomaten begegneten, wo sie sich auf Ideen brächten und Informationen tauschten.

Damit sind die wesentlichen Positionen klar. Die Aufregung bleibt.

Womöglich hatte Mayer nicht einmal geahnt, welche Debatte sie lostreten könnte. Vermutlich war der Aufruf zu mehr "physischem Zusammensein" nicht viel mehr als ein getarntes Stellenabbauprogramm, digital im wahren Sinn: "Komm rein, oder du bist draußen." Aber in einer Zeit, in der Amerika wie nie zuvor über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie diskutiert, kam Mayers Anweisung dort so an, als würde Deutschlands Familienministerin den Krippenausbau stoppen. Frauenfeindlich sei dieser Schritt, empörten sich Feministinnen und Eltern. Dass die Yahoo-Chefin im vergangenen Herbst ein Kind bekommen hat, half ihr dabei nicht. "Mal sehen, wie viele Frauen im Verhältnis zu Männern sie verlieren wird", twitterte die Princeton-Professorin Anne-Marie Slaughter, die seit ihrem Essay "Why women still can't have it all" eine Art Mutter der Nation ist und schon der um Wählerinnen bemühten deutschen SPD im Wahlkampf helfen durfte.

Der Blick auf die Wissenschaft hilft nur bedingt

Aber wie ist das tatsächlich mit dem Homeoffice? Macht es Mitarbeiter produktiver, oder ist es umgekehrt ein Karrierekiller? Fördert das Ratschen auf dem Büroflur tatsächlich die Kreativität, wie Yahoo sich das erhofft?

Der Blick auf die Wissenschaft hilft nur bedingt. Ja, es gibt es eine neue Studie der Stanford-Universität. Die Wissenschaftler Nicholas Bloom, James Liang, John Roberts und Zhichun Jenny Ying machten ein Experiment in der chinesischen Reisefirma CTrip, die 16.000 Beschäftigte hat. Mitarbeiter in deren Callcentern wurden nach dem Zufallsprinzip angewiesen, neun Monate von zu Hause aus zu arbeiten. Das Ergebnis: Die Heimarbeiter waren um 13 Prozent produktiver und im Schnitt deutlich zufriedener, die Fluktuation sank. CTrip erlaubte daraufhin allen Mitarbeitern die Telearbeit mit dem Erfolg, dass die Heimarbeiter sogar um 22 Prozent produktiver waren, weil sich die besonders motivierten dafür entschieden hatten. Gleichzeitig sparte die Firma pro Mitarbeiter 2000 Dollar pro Jahr.

Aber Produktivität ist nur die eine Seite. Wie sich Heimarbeit auf den Ideenreichtum auswirkt, auf die Leistung von Mitarbeitern, deren Arbeitsergebnisse sich nicht in Kontakten pro Minute oder Vertragsabschlüssen pro Monat messen lassen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Für R. Keith Sawyer, Psychologie-Professor an der Washington University in St. Louis und Autor des Buches "Explaining Creativity", steht fest: "Telecommuting tötet Kreativität." Zusammenarbeit und Teamwork seien fundamental für Unternehmen, vor allem in der wissensintensiven Software-Branche. "Kreativitätsforschung zeigt, dass neue Ideen aus überraschenden und unerwarteten Unterhaltungen entstehen", kommentierte Sawyer die Yahoo-Anweisung in der Huffington Post.

Der Preis: Befördert werden andere

Brenda Bratt sagt, solche Begegnungen gebe es auch im virtuellen Raum. Die Personalmanagerin aus Bothell, US-Staat Washington, hat in ihrem Berufsleben schon beides getan: im täglichen Stau auf dem Weg ins Büro gestanden und sieben Jahre vom Heimbüro aus gearbeitet - und war dabei zur Chefin aufgestiegen. "Ich habe bewusst virtuelle Kaffeepausen mit Kollegen eingeplant, um sicherzugehen, dass wir ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis hatten", erzählt sie. Heimarbeit sei für ihren Arbeitgeber und sie sehr effektiv gewesen, man habe sich noch stärker vertraut als zuvor. Bei der Betreuung ihrer Zwillinge, die heute Teenager sind, war diese Arbeitsweise eindeutig von Vorteil. "Ich hatte die Flexibilität, am selben Nachmittag einen Kunden zu betreuen und ein Softball-Spiel meiner Kinder zu besuchen." Wenn eines der beiden krank war, sei sie in Rufweite gewesen. "Als Führungskraft sollte man sich ohnehin immer intensiv mit der Leistung seiner Mitarbeiter beschäftigen, ob sie aus der Ferne oder auf derselben Etage arbeiten", sagt Brenda Bratt.

In den USA arbeiten laut Zensus 2010 zehn Prozent aller Beschäftigten mindestens einen Tag pro Woche von daheim aus, 4,3 Prozent tun das ständig. In vielen Firmen ist Fernarbeit Programm. So haben bei IBM 40 Prozent der Belegschaft einen Telearbeitsplatz. Nicht alle sind glücklich damit. Das Firmenkürzel stehe für "I'm by myself", klagen vereinsamte Mitarbeiter. Vereinzelung sei ein Problem, schreiben die Beraterin Tammy Johns und die Professorin Lynda Gratton in der Harvard Business Review. "Je weniger die Mitarbeiter mit ihren Unternehmen verbunden sind, desto wichtiger werden Nachbarschaft und andere Gemeinschaften." Sie plädieren in ihrem Aufsatz "The Third Wave of Virtual Work" für Gemeinschaftsbüros, in denen sich Telearbeiter verschiedener Firmen treffen.

Amerikanische Unternehmen haben auch aus Kostengründen Mitarbeiter ausgelagert. Die Beraterfirma Global Workplace Analytics hat errechnet, dass die US-Wirtschaft 700 Milliarden Dollar pro Jahr sparen könnte, würden alle Amerikaner, die können und wollen, die Hälfte ihrer Arbeitszeit von Ferne einbringen. Eine typische Firma könnte ihre Kosten pro Jahr und Beschäftigtem um 11.000 Dollar senken. Das betreffe vor allem Büroimmobilien. Auch die Umwelt profitiere: Die im Berufsverkehr eingesparte Erdölmenge entspreche 37 Prozent der Importe aus dem Persischen Golf.

Abschied am Bahnhof

In einem Land mit so viel Mobilität wie den USA wollen Firmen mithilfe der Heimarbeit aber auch wertvolle Mitarbeiter halten. Als Steve Crumley seinen Arbeitgeber wechselte und von der Hauptstadt Washington nach Minneapolis zog, durfte seine Frau Tanja, die bei der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft arbeitet, ihren Job in die 900 Meilen entfernte Stadt mitnehmen. Seit acht Jahren arbeitet sie nun von daheim aus - in der internen Kommunikation. Sie nutzte den Wechsel für die Familiengründung: "Ich konnte mich immer gut um meinen Sohn kümmern, von der Schwangerschaft habe ich überhaupt erst im letzten Drittel erzählt. Außerdem spare ich mir den Stau", sagt sie. Der Preis: Befördert werden andere.

In den meisten deutschen Firmen ist Telearbeit dagegen exotisch. Noch immer müssen sich unzählige Paare jeden Sonntagabend auf dem Bahnhof verabschieden, weil sie in verschiedenen Städten arbeiten. Wahlfreiheit widerspricht vielerorts der Unternehmenskultur.

Bei Siemens zum Beispiel, einem Hochleister in Technologie, hat zwar ein Großteil der Belegschaft in Deutschland die Möglichkeit zur Fernarbeit. Eine Betriebsvereinbarung regelt allerdings, dass maximal 20 Prozent der Arbeit von daheim aus geleistet werden dürfen. Nur ein sehr kleiner Teil der über 120.000 deutschen Siemens-Beschäftigten hat echte Telearbeitsplätze mit der Erlaubnis, bis zu 80 Prozent von außen zu werkeln. Allerdings hat jeder Telearbeiter einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz in einer Niederlassung. Gezielt gefördert wird das Arbeiten von daheim nicht. "Wir verstehen das eher als Angebot", sagt ein Siemens-Sprecher.

Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund steht Heimarbeit noch nicht im Fokus. Beim "DGB-Index Gute Arbeit" zum Beispiel, einer Art Fieberthermometer für Arbeitsqualität, sorgt man sich um anderes: die Gefahren ständiger Erreichbarkeit.

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