Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:IT-Experten verzweifelt gesucht

Manche IT-Jobs, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, setzen ein Studium voraus. Für andere genügt eine Ausbildung - aber die Abbrecherquote ist hoch.

Von Verena Wolff

Aus Bluetooth-Lautsprechern hören immer mehr Menschen ihre Lieblingsmusik, unabhängig davon, in welchem Zimmer ihrer Wohnung sie sich aufhalten. Die Waschmaschine weiß, wann sie den Nachtstrom nutzt - und Autos kommen ganz ohne Fahrer aus. Computersysteme finden sich heute in nahezu allen Bereichen des Lebens. Versteckt und ganz offensichtlich. Und es braucht viele Menschen, die Geräte erdenken, aber auch die Software dahinter programmieren und auf dem Laufenden halten. Denn: Nicht nur im Privaten ist der Computer allgegenwärtig.

"Es gibt kein Unternehmen mehr, das ohne IT auskommt", sagt Juliane Petrich, Leiterin für den Bereich Bildung im Branchenverband Bitkom. Welchen Stellenwert die Informatik inzwischen hat, zeigt sich auch in den Führungsetagen zahlreicher Unternehmen - dort gibt es oft neben dem CEO und dem CFO, dem Chef für Finanzen, auch einen CIO. Das ist der "Chief Information Officer", der Chef über die Daten.

Der Bedarf an Fachkräften ist enorm, sagt Petrich. Nach Angaben des Portals Statista waren im vergangenen Jahr 21 500 Menschen im Bereich der IT-Hardware tätig. 875 000 Berufstätige beschäftigten sich mit IT-Services und -Software, wobei vor allem in letzterem Bereich die Anzahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren zugenommen hat.

Erst vor wenigen Jahren sind zahlreiche neue Ausbildungsberufe entstanden, aber auch an den Hochschulen gibt es jede Menge Studiengänge im Bereich Informatik. "Allerdings liegt die Abbrecherquote bei circa 50 Prozent", berichtet Petrich. Denn die Erwartungshaltung und die Inhalte gingen stark auseinander. Weit verbreitet und trotzdem sehr gesucht sind die Berufsbilder Softwareentwickler, IT-Sicherheitsexperten, Data Scientist und KI-Entwickler, wobei der Weg in diese Jobs meist über ein Studium führt.

Sehr häufig taucht der Begriff "Softwareentwickler" in Stellenanzeigen auf, doch er ist nicht scharf definiert. "Es gibt verschiedene Rollen im Team", erläutert Petrich. Da ist zum einen der Frontend-Entwickler: Er ist für die grafische Umsetzung von Programmen zuständig oder die Schnittstellen für die Nutzer. Er macht die Programme also für die Mitarbeiter möglichst verständlich und einfach zu bedienen. Der Backend-Entwickler hingegen "implementiert die funktionale Logik im Hintergrund". Das bedeutet, er sorgt dafür, dass die Programme den Anforderungen der Unternehmen entsprechen und dass alles reibungslos funktioniert. In den Beruf des Software-Entwicklers kann nahezu jedes Informatikstudium führen.

Nicht nur Banken und Geheimdienste brauchen Experten, die sich um die Sicherheit ihrer Daten kümmern. Auch Unternehmen und Behörden sind angreifbar geworden, weil sie über spezielles Wissen oder besondere Daten verfügen. Oder, weil sie schlicht ihre Daten schlecht verschlüsselt haben. "Cyberkriminelle versuchen weltweit, über Lücken in den Sicherheitssystemen der Firmen an solche Daten zu gelangen", sagt Hans-Wilhelm Dünn, Präsident des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland. Darum engagieren immer mehr Unternehmen eigene Sicherheitsleute, die den Hackern möglichst einen Schritt voraus sind. Die Nachfrage nach IT-Personal sei ohnehin hoch, doch im Bereich der Cyber-Sicherheit "ist der Fachkräftemangel noch eklatanter". An den Hochschulen kommt das Thema langsam an, entsprechende Studiengänge in diesem Bereich gibt es etwa an der Ruhr-Universität Bochum, an der TU Darmstadt, an der Universität Lübeck oder an der Universität des Saarlandes. IT-Systeme vor kriminellen Angriffen zu schützen, ist auch ein Bereich für Aus- und Umsteiger. Vereinzelt stellen Unternehmen nämlich auch ehemalige Hacker ein.

Data Scientist, Big-Data-Analyst, Data Engineer - hinter diesen Bezeichnungen stecken ähnliche Berufsprofile. Die Experten sind dafür zuständig, die Unmengen von Informationen, die man aus dem Netz ziehen kann, zu strukturieren und zu analysieren. Dabei geht es in erster Linie darum, jederzeit korrekte Daten zu bekommen, um etwa bestehende Geschäftsmodelle verbessern oder neue entwickeln zu können. Den klassischen Arbeitgeber für die Data Scientists gibt es nicht mehr. Vorstellbar sind nach Petrichs Worten Unternehmen aus der Automobilbranche, der Logistik und dem Gesundheitsbereich. Zwar gibt es Beratungsfirmen, die Datenanalysen für andere Unternehmen machen. Doch ist das Thema so sensibel, dass viele Firmen lieber ihre eigenen Experten haben. Auch in diesem Bereich gibt es eigenständige Studiengänge. Einige von ihnen sind in der Informatik angesiedelt, wie etwa in Erlangen-Nürnberg. Andere werden in den Wirtschaftswissenschaften gelehrt, zum Beispiel an der Universität Stuttgart oder der Humboldt-Universität zu Berlin.

KI steht für "Künstliche Intelligenz" - und das ist ein sehr weites Feld, in dem viele, von Hochschulen kommende Spezialisten gebraucht werden. KI-Entwickler werden dort eingesetzt, wo Systeme und Maschinen lernen, sich eigenständig zu verbessern. Sie entwickeln selbstfahrende Autos oder Roboter für Operationssäle in den Kliniken. Man braucht sie für die Gesichtserkennung oder für Chatbots, die in einem ersten Schritt für die Personalakquise arbeiten. "Künstliche Intelligenz ist in vielen Bereichen längst zum Alltag geworden", sagt Petrich. Das Studium hat die verschiedensten Namen: So gibt es an der TU Dresden und der Universität Ulm Institute für Künstliche Intelligenz, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München gibt es einen Lehrstuhl für "Künstliche Intelligenz und intelligente Systeme".

Für einige IT-Jobs existiert kein speziell darauf abgestimmter Ausbildungsweg oder Studiengang. Das gilt zum Beispiel für SEO-Experten, die dafür sorgen, dass bestimmte Begriffe in den Suchmaschinen schnell gefunden werden. Wer eine künstlerische Ader hat, kann Webmaster werden: Er befasst sich mit der Planung und grafischen Gestaltung von Webseiten und ist bei technischen Problemen der Anwender zur Stelle. Das entsprechende Wissen erwirbt man etwa im Studium des Kommunikationsdesigns. Ein IT-Administrator kümmert sich hingegen darum, dass die Systeme reibungslos funktionieren. Gerade auf diesen Stellen sitzen nicht immer Menschen mit einem Bachelor- oder Master-of-Science-Titel eines Informatikstudiengangs, sondern oft Praktiker mit abgeschlossener Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration oder zum IT-Systemelektroniker.

Der in sich gekehrte Programmierer, ein sogenannter Nerd, ist allerdings auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt. Ob sie nun von den Hochschulen oder aus einer dualen Ausbildung kommen: "Wichtig ist, dass die Leute kommunikativ sind, denn sie müssen immer in Teams arbeiten", betont Bitkom-Expertin Petrich. Und noch eines ist wichtig in Zeiten der virtuellen Welten, in denen Teams oft nicht mehr in einem Raum oder einer Stadt sitzen: Englisch muss man sehr gut können, weil über Ländergrenzen hinweg gearbeitet wird.

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SZ vom 07.12.2018/mkoh
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