Die Studie im Überblick:Vom sozialen Abstieg bedroht

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Die Deutschen sind so mobil wie nie: Jeder zweite Arbeitnehmer ist im Laufe seines Berufslebens schon einmal gependelt, hat eine Fernbeziehung geführt oder ist für den Job umgezogen.

Jeder zweite Deutsche im erwerbsfähigen Alter hat bereits Erfahrungen mit berufsbedingter Mobilität gemacht: Die Hälfte aller Arbeitnehmer und Selbstständigen ist also schon einmal aus beruflichen Gründen umgezogen, pendelt täglich über weite Entfernungen zum Arbeitsplatz, lebt aus beruflichen Gründen in einer Fern- oder Wochenendbeziehung, war im Ausland tätig oder geht häufig auf längere Dienstreisen.

Pendler auf dem Weg zur Arbeit: Die Anforderung, permanent flexibel sein zu müssen, erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (Foto: Foto: ap)

Das ist das Ergebnis der ersten repräsentativen Studie über berufsbedingte räumliche Mobilität in Deutschland und fünf weiteren europäischen Ländern. Für das Forschungsprojekt wurden insgesamt 7.150 Personen im Alter von 25 bis 54 Jahren befragt, 1.663 davon in der Bundesrepublik.

Weite Fahrstrecken zum Arbeitsplatz

"Die Deutschen sind sehr heimatverbunden, gleichzeitig aber hoch mobil", so Norbert Schneider, Professor für Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiter der Studie. "Erwerbstätige fahren regelmäßig weite Strecken zum Arbeitsplatz oder gehen häufig auf längere Dienstreisen, um den Anforderungen des Arbeitslebens zu entsprechen. Sie ziehen jedoch eher selten aus beruflichen Gründen um."

Nur 20 Prozent der Berufsmobilen sind in eine andere Region innerhalb Deutschlands oder in ein anderes Land umgezogen. Die überwiegende Mehrheit ist "ständig wiederkehrend unterwegs": Sie nehmen regelmäßig weite Fahrstrecken zum Arbeitsplatz in Kauf oder übernachten häufig auswärts.

Am beweglichsten sind dabei Akademiker, so die Autoren der Studie. Während ältere Arbeitnehmer und Nicht-Akademiker nur ungern ihren Wohnort verlassen, sondern eher pendeln, ziehen junge Menschen und Akademiker lieber um.

Aufschub der Elternschaft

Daneben lassen sich deutliche Geschlechtsunterschiede feststellen: Männer sind doppelt so häufig mobil wie Frauen. Sie sind aufgrund von Kindern und Familie öfter ortsgebunden, während Väter trotz ihrer familiären Verpflichtungen reisen. Haben Frauen jedoch keine Kinder, übertrifft ihre Mobilitätsrate sogar die der kinderlosen Männer. Deshalb befürchten die Mainzer Soziologen, dass die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders für Frauen weiter erschwert.

"Außerdem führt Mobilität häufiger zu einem Aufschub von Elternschaft", erklärt Heiko Rüger, Mitarbeiter am Institut für Soziologie. "Das heißt, die Menschen bekommen ihre Kinder später als ursprünglich geplant."

Mobilsein scheint im Berufsleben vieler Deutscher in den letzten Jahrzehnten zur Normalität geworden zu sein. "Wir gehen davon aus, dass Mobilität heute nicht mehr überwiegend zu einem Karrierefortschritt führt", sagt der Soziologe Detlev Lück. "Sie dient eher dazu, Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg zu vermeiden." Wer also nicht in der Lage ist, sich flexibel und mobil auf dem Arbeitsmarkt zu bewegen, ist vom sozialen Abstieg bedroht.

Auch wenn Mobilität für viele Deutsche mittlerweile zu ihrem Berufsalltag gehört, sind nicht alle glücklich damit. Nur ein Drittel der Mobilen betrachtet die eigene Mobilität als "Chance" und verbindet damit etwas Positives. Dagegen sehen 55 Prozent Mobilität als "notwendiges Erfordernis" an und 12 Prozent erleben ihre Mobilität sogar als "Zwang". Die psychischen Folgen können gravierend sein: Häufige Erschöpfung und fehlende Zeit für die Pflege sozialer Beziehungen sind nur zwei der häufig genannten Nachteile von Mobilität.

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