Süddeutsche Zeitung

Die schlimmsten Nebenjobs:"Ich war ein dicker, gedemütigter Golfball"

Zwei Drittel aller Studenten in Deutschland haben Nebenjobs. Manchmal ist es schwer, sein Geld in Würde zu verdienen.

Lisa Zimmermann

Völlig pleite war Sophie Rieger von einem Auslandsaufenthalt nach Berlin zurückgekehrt. Sie rief einen Kumpel an, der öfter bei Filmproduktionen jobbte. "Für Geld würd' ich auch nackt über den Kudamm laufen", sagte Rieger verzweifelt. "Du wirst lachen", sagte der Freund. "Da hab' ich was für dich." Eine TV-Produktionsfirma suchte für einen Beitrag mit dem Titel "Warum tragen wir Kleidung?" ein Pärchen, das zwei Tage unbekleidet herumlaufen sollte, für 200 Euro.

Rieger rekrutierte ihren Ex-Freund und verbrachte "zwei gruselige Drehtage", wie sie sagt. Besonders lästig sei die Horde Halbwüchsiger gewesen, die die Nacktszenen auf dem Kurfürstendamm mit ihren Handykameras filmten. Richtig schlimm aber wurde es am zweiten Tag. Das Team fuhr zu einer Straußenfarm, wo der Ex-Freund - jetzt als haariger Neandertaler verkleidet - einen Strauß jagen, mit einem ausgestopften Bären kämpfen und Sophie einen Berg Gedärme als Beute präsentieren sollte. Es war eiskalt, und ständig mussten Szenen neu gedreht werden, weil die Todesschreie vom angrenzenden Schlachthof die Tonaufnahmen störten. Abends war Sophie mit den Nerven fertig. "Als ich unter der Dusche stand und merkte, dass der Hautkleber für die vielen Haare, die ich am Körper hatte, nicht wasserlöslich war, hab' ich angefangen zu heulen."

Bei Mascha war es ein Promotionjob, der sie an den Rand der Verzweiflung trieb. Um fünf Uhr morgens stand die heute 30-Jährige auf und fuhr ins Ostberliner Plattenbaugebiet Ahrensfelde. "Freunde hatten mich gewarnt, dass da viele Glatzen unterwegs sind", sagt sie. Auf einem Parkplatz wurden die Promoter in Teams aufgeteilt. In ihre Gruppe kamen ein Schwarzer und zwei Türkinnen, Mascha Mutter stammt aus Korea. "Unsere Multikulti-Truppe bekam ein Auto mit Stapeln stinkender, krümelnder Fußabtreter eines Hi-Fi-Marktes vollgeladen". Der Job bestand darin, vor jede einzelne Wohnung eine Matte zu legen. "Das war schon gruselig, als sich vor den Häusern Neonazi-Grüppchen sammelten, und wir stolperten da mit unseren Matten dran vorbei."

Nicht selten war der Aufzug kaputt. "Die Treppenhäuser sahen so aus, als hätte jemand alle erdenklichen Körperflüssigkeiten gleichmäßig verteilt." Heute kann sie darüber lachen, damals konnte sie es nicht. Um das Tagespensum zu schaffen, ging das Team bald dazu über, die Mattenstöße im ersten Stock abzulegen. Und wurde mittags von einem Kontrolleur des Hi-Fi-Marktes erwischt, der Druck machte und alle zu Überstunden verdonnerte. Der Plattenbauhölle konnten sie erst nachts entfliehen.

Jens Maier-Rothe verbrachte zehn Tage mit einem Grüppchen von Elektrotechnikern in gruseligen Gängen unter dem Münchener Messegelände. "Freaks in schwarzen Lederwesten, die die oberirdische Kantine boykottierten und sich einen Kühlschrank und eine Mikrowelle nach unten geschafft hatten", erzählt Jens. Durch die schummrigen Gänge zog der penetrante Dunst von gebackenem Camembert. Dazu dudelte eine einzige CD: vietnamesische Imbiss-Musik mit dem Titel "Ho!", zehn Tage lang, ununterbrochen.

Die Aufgabe von Maier-Rothe war, auf dem Fahrrad in den kilometerlangen Stollen zwischen technischen Knotenpunkten zu pendeln und Telefonleitungen zu kontrollieren. "Da war ein riesiges Bündel aus Kabeln, die aus Hunderten von orangefarbenen Schränken quollen." "Dumpfbackenarbeit", sagt Jens. "Irgendwann hatte ich die Vorstellung: Draußen herrscht Krieg, und wir kriegen's nicht mit. Damals bin ich Onkel geworden, aber ich hatte das Gefühl, hier unten zieht alles an mir vorbei."

200 Euro pro Stunde, ab und zu schick essen gehen und vielleicht sogar interessante Gespräche führen: Das waren gute Gründe für Isabel Brandau, bei einem Eskort-Service anzuheuern. "Die haben ganz klar gesagt: Es geht nicht um Erotik." Dann der erste Anruf der Agentur: Zwei Geschäftsleute hätten sie und eine Kollegin für ein Abendessen in einem noblen Restaurant gebucht.

Ziemlich nervös sei sie gewesen, als sie in der edlen Hotellobby wartete, sagt Isabel. Niemand erschien, aber die Empfangsdame richtete aus, die Herren erwarteten sie auf dem Zimmer. Isabel Brandau versuchte vergeblich, bei der Agentur anzurufen, und klopfte schließlich an die Tür zur Suite. wei dicke, äußerst erfreute Araber öffneten. Auf die Frage, was die Herren vorhätten, kam prompt die Antwort: "Making love with you." Isabel machte den beiden klar, dass der Hase so nicht laufe. Nach zwei Stunden Konversation stand sie wieder auf dem Hotelflur, neben sich die völlig verschüchterte Kollegin, die kein einziges Wort gesagt hatte - die Englischkenntnisse auf ihrer Karteikarte waren offenbar eine freie Erfindung. "Ich war total erleichtert, dass es so gut ausgegangen war. Und hab' stinksauer die Agentur angerufen und gesagt, dass ich sofort aus der Kartei heraus will."

Eine andere Studentin erzählt, sie sei der "Goleo des Golfsports" gewesen - ein schrecklicher Gedanke. Sie verteilte Prospekte auf einer Motorsport-Messe in Stuttgart - als Golfball, offizielles Maskottchen der anstehenden Golf-WM. Ihr Körper steckte fast bis zu den Knien in einer riesigen Kugel, durch die Sehschlitze war die Sicht verschwommen. "Ich hatte einen so riesigen Umfang, dass sich meine Hände nicht berühren konnten."

Kinder machten sich einen Spaß daraus, sie zu schubsen. Dazu kam die unerträgliche Hitze unter dem schweren Kostüm. "Ich war ein dicker, gedemütigter Golfball. Das war so erniedrigend." Am nächsten Tag weigerte sie sich, Golfball zu spielen, und durfte stattdessen ohne Kostüm Käseplatten herumtragen. "Göttlich."

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Quelle:
SZ vom 21.10.2006
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