Süddeutsche Zeitung

Die Patchworker:Viele Versuche und ein Ziel

Vom Farmer zum Hausmann, von der Uhrmacherin zur Unternehmerin.

Von Christine Demmer

Manchen Menschen scheint die Vorliebe für einen häufigen Berufswechsel in die Wiege gelegt. Soziologen, aufgehorcht: An den Patchworkern könnte sich der alte Streit um die Vorherrschaft von genetischer oder sozialer Prägung neu entzünden. Denn obwohl die Neigung zum Wechsel oft der blanken Einsicht in die Notwendigkeit entstammt, hängt der Mut zu diesem Schritt oft von den Vorbildern ab. Zum Beispiel von Eltern, die ihre eigenen geschwungenen Berufsbiografien völlig normal finden.

Diana Conrads hat von ihren Eltern mehr als Sprechen und Laufen gelernt. Zum Beispiel, dass sie an Situationen, die ihr nicht passen, nur selbst etwas ändern kann. Ihre Eltern seien nämlich schon Patchworker gewesen, bevor das Wort erfunden wurde. "Meine Mutter war Näherin in einer Fabrik", sagt sie, "mit 16 geheiratet, mit 17 das erste Kind, im Kiosk an einer Autobahntankstelle gearbeitet, später im Vertrieb und als Bürogehilfin. Und mein Vater hat erst Automechaniker gelernt, war dann bei einer Versicherung und später bei einer amerikanischen Firma im Außendienst. Eigentlich nichts Besonderes, oder?" Eben.

Im Außendienst ist der 61-jährige Vater von Diana Conrads noch heute. Er betreut die Kunden eines kleinen Familienunternehmens in Merklingen, das mit Schutzgeräten und Ausrüstungen gegen elektrostatische Ladungen handelt. Im Büro des gleichen Betriebes arbeitet die Mutter, nimmt Bestellungen auf und vereinbart Kundentermine. Die Chefin ist ihre Tochter, deshalb wird hier mit Freude geschafft und wenig Wert auf einen pünktlichen Dienstschluss gelegt.

Liebevoll spricht Diana Conrads von ihren beiden "ehrenamtlichen Mitarbeitern". Ohne deren Unterstützung, das weiß sie genau, könnte sie die Spitzen ihrer Firma in Merklingen gar nicht abdecken. Zeitweiliger Vierter im Familien- und Firmenbund ist Dianas Mann Stephan.

Hauptberuflich ist er Hausmann, aber wenn es eng wird, springt er auch mal bei Kundenbesuchen ein und entlastet den Schwiegervater im Außendienst. Friede, Freude, Eierspätzle? "Ha noi", wehrt die 38-jährige Schwäbin ab, "wir hatten auch unsere Probleme in der Zusammenarbeit. Aber jetscht läufschts."

Auszeit in Südamerika

Weniger gut lief's für Diana Conrads nach dem Abschluss ihrer ersten Ausbildung zur Uhrmacherin. Die Uhrmacherschule in Pforzheim war ohnehin eher eine Notlösung, denn lieber wäre sie Goldschmiedin geworden. "Aber da gab's keine Lehrstellen, und Uhren haben ja auch mit Schmuck zu tun." Während sie noch die Funktion von Unruh und Bréguet-Knie studiert, zerstören die praktisch unzerstörbaren Automatikuhren aus Fernost die Arbeitsplätze für Uhrmacher. Das Arbeitsamt rät zur Umschulung.

"Doch deren Vorschläge waren Banane", sagt Diana Conrads, "die empfahlen mir Büromaschinen- oder Zweiradmechaniker." Sie beschließt, Werkzeugmacherin für Geräte und Feinwerktechnik zu werden, arbeitet aber nach der Ausbildung nie in diesem Beruf. "Das war nicht meine Wahl, sondern die des Arbeitsamtes." Stattdessen zieht sie erst mal mit ihrem Freund Stephan vier Monate lang durch Südamerika. "Ich dachte, die Zeit sollte ich mir einfach mal nehmen."

Nur auf Reisen

Zurück in Deutschland, findet sie einen Job im Außendienst und vertreibt ein paar Jahre lang Lebensmittel und Getränke an Supermärkte und Gastronomiebetriebe in Bayern und Baden-Württemberg. Sie ist jetzt Ende 20 und will beruflich weiterkommen. "Aber ich war meist die einzige Frau, und in Frauen investiert man nicht viel." Also investiert sie in sich und macht sich als Produktpromotorin in Supermärkten selbstständig. "Da war ich ein bisschen blauäugig", gibt sie zu, "und habe die Anstrengungen unterschätzt. Du bist nur auf Reisen, hast elendig lange Arbeitszeiten, musst dauernd stehen und deine Produkte anpreisen. Und vom Verdienst bleibt nicht viel übrig." 1999 besinnt sie sich auf ihre technische Ausbildung und eröffnet den Handel mit Systemen gegen Elektrostatik. Fachwissen und einen Zuschuss zum Startkapital bekommt sie vom Vater.

Im März 2001 heiraten Diana und Stephan Conrads. Da ist sie schon die Chefin und er noch selbstständiger Getränkehändler. "Sprudel, Cola und Bier auszuliefern ist ein richtiger Knochenjob", sagt Stephan. 13 Jahre lang schleppte er die Kästen hinunter in Keller und hinauf in Wohnungen, das geht auf den Rücken.

Anstrengender ist nur noch die Landarbeit. Damit hatte es der gelernte Landmaschinenmechaniker Anfang der Achtziger in Kanada probiert. Gemeinsam mit Freunden bewirtschaftete er zwei Farmen in British Columbia. "Wir wollten auswandern, hier gab es die Chance."

Nach einem Jahr kehrte Stephan Conrads desillusioniert zurück: "Wir waren damals eben noch grün hinter den Ohren." Heute sind alle seine Kumpel wieder in Deutschland. Und Stephan sorgt dafür, dass seine geschäftstüchtige Frau den Rücken frei hat und beweglich bleibt. Denn: "Man kann seine Lage nur verändern, wenn man sich selbst bewegt", sagt Diana Conrads. "Wenn man erwartet, dass andere Menschen etwas für einen ändern, wartet man noch in hundert Jahren."

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Quelle:
SZ vom 29.5.2004
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