Süddeutsche Zeitung

Die Kunst des Kündigens:Abschied mit Anstand

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Gekünstelte Souveränität oder eine knappe Mitteilung zwischen Tür und Angel: Wenn Chefs ihren Mitarbeitern kündigen müssen, provozieren sie oft verletzte Gefühle und ohnmächtige Wut.

C. Demmer

Kurz vor der Mittagspause steckt der Chef den Kopf durch die Bürotür. "Gut, dass ich Sie antreffe, Frau Schulz", sagt er zu einer Mitarbeiterin. "Wir können uns zwar überhaupt nicht vorstellen, auf Sie zu verzichten, aber ab zwölf Uhr wollen wir's notgedrungen versuchen. Wir müssen uns leider trennen."

Das ist kein Witz. "Viele Kündigungen kommen tatsächlich zwischen Tür und Angel daher", sagt Stephan Stockhausen aus Bochum. Der Sozialpädagoge arbeitet als Coach und kann ganze Balladen von verkorksten Trennungsgesprächen singen, nach denen er die Gekündigten mühsam aufbauen muss. Oder die Vorgesetzten, die vor diesem Teil ihres Führungsjobs einen wahren Horror haben.

Verletzten Gefühle und ohnmächtige Wut

"Für manche Menschen ist es kein Problem, die empfinden nichts und vollstrecken die Kündigung eiskalt", sagt Stockhausen. "Andere leiden mit und haben stets Taschentücher dabei, um Tränen trocknen zu können. Die meisten aber fühlen sich sehr unsicher."

Mangelnde Erfahrung und gekünstelte Souveränität führen zu Fehlern, unter denen andere leiden. Manche Führungskräfte brauchen nur ein paar Minuten, um bei den Entlassenen die Erinnerung an Jahre des freundlichen Miteinanders hinter verletzten Gefühlen und ohnmächtiger Wut verschwinden zu lassen.

Christian, 32, hat das gerade erst hinter sich. Dabei hatte der Ingenieur noch vor fünf Monaten jubiliert, weil er von seinem Betrieb übernommen worden war. "Zweieinhalb Jahre habe ich hier im Auftrag eines Personaldienstleisters gearbeitet", erzählt er, "erst vor einem halben Jahr bekam ich eine Festanstellung als Entwicklungsingenieur." Mit der üblichen Probezeit von sechs Monaten, mit deren Ablauf Ende Mai Christian das Unternehmen verlassen musste.

Als ginge man zum Henker

"Ich wurde zu meinem Abteilungsleiter und Gruppenleiter gebeten", sagt er. "Da hatte ich schon so eine Ahnung, worum es gehen sollte." Erst sprachen die beiden Chefs über die schwierige wirtschaftliche Lage, dann fragten sie den jungen Ingenieur, ob er wisse, worum es in diesem Gespräch gehen sollte. "Das löste ein unangenehmes Gefühl aus, ein bisschen so, als ginge man zum Henker." Die Chefs betonten, dass die Kündigung nichts mit seinen fachlichen Leistungen zu tun habe, ebenso wenig mit seiner Person. Es sei eine rein geschäftliche Entscheidung, die oben getroffen wurde, und sie könnten auch nichts tun.

Damit machten es sich die Vorgesetzten zu leicht, tadelt die Regensburger Personalberaterin Astrid Travi, wenngleich sie versteht, was in deren Inneren abgeht. "Trennungsgespräche sind für alle Beteiligten schwierig und belastend", sagt sie. "Führungskräfte haben oftmals Angst, Überbringer der schlechten Nachricht zu sein. Angst, die Existenz des Mitarbeiters zu zerstören und sich mitschuldig zu machen. Nicht zuletzt geraten sie in Argumentationsnöte, wenn sie die Gründe für die Kündigung selbst nicht wirklich nachvollziehen können."

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Gefühle im Zaum im halten

Damit freilich droht die Gefahr der falschen Solidarisierung mit dem gekündigten Mitarbeiter, meint Stockhausen. "Verbrüderung ist nur eine Augenblickslösung: weil es bequemer ist, weil ich ja noch das Bonbon des Trostes habe, weil ich der Retter in diesem Gespräch bin." Aber es beschädige die Rolle und das Image des Chefs und sei außerdem illoyal gegenüber dem Unternehmen. "Besser ist folgende Aussage: Wir haben in der Vergangenheit viele unternehmerische Entscheidungen getroffen, sicher manchmal richtig, manchmal falsch, und jetzt haben wir diese Entscheidung getroffen. Ich kann an dieser Stelle verstehen, wie Sie reagieren und wie es Ihnen geht. Das ändert in der Sache aber nichts an der Entscheidung, die wie folgt begründet ist..."

Betonte Rationalität im Gespräch hält die Gefühle im Zaum. Das erleichtert nicht nur den Mitarbeitern die Entgegennahme der Kündigung, sondern nimmt auch den Überbringern einen Großteil ihrer Angst vor der Aufgabe. Stockhausen: "Wer sich vor dem Aussprechen einer Kündigung fürchtet, sollte sich fragen: Was ist der schlimmste Vorwurf, den man mir machen könnte? Der kann lauten: 'Das ist nicht fair. Warum ich und warum nicht der andere?' Darauf kann man sich mit Fakten und einer wohlüberlegten Gesprächsstrategie vorbereiten. Oder der Vorwurf lautet: 'Sie ziehen mir den Boden unter den Füßen weg.' Gewiss, das ist in diesem Moment möglich. Hier kann man lösungsorientiert fragen, welche Hilfe der Mitarbeiter wünscht und diese gegebenenfalls vermitteln."

Wie beim Zahnarzt

In vielen Fällen hat der Arbeitgeber ja auch etwas anzubieten: Outplacementberatung, Abfindungszahlungen, Unterstützung bei der Stellensuche, Fortzahlung der Bezüge über einige Monate, Gespräche mit dem Betriebspsychologen oder Betriebsrat. "Hilfsangebote sind in dieser Phase wichtig", sagt Travi, "weil der Mitarbeiter unter Schock steht und Unterstützung braucht."

Wie beim Zahnarzt sollte die schmerzhafte Phase rasch in Angriff genommen werden. Deshalb sind bei Kündigungsgesprächen Smalltalk und kollegiales Geplänkel fehl am Platz. "In 15 bis 20 Minuten sollte alles gesagt sein", empfiehlt Personalberaterin Travi. "Die Trennungsbotschaft gehört in die ersten fünf Sätze des Gesprächs, die Botschaften sollten in der Ich-Form erfolgen: Ich muss Ihnen leider mitteilen..." Man sollte dem Mitarbeiter bedeuten, dass einem diese Entscheidung zwar sehr leid tut, sie aber trotzdem feststeht und nichts daran zu ändern ist."

Ohne Rücksicht auf Verluste

Auch der richtige Zeitpunkt ist wichtig. Ohne Vorankündigung, raten die Experten, niemals freitags und auf keinen Fall kurz vor dem Urlaub oder vor Feiertagen. Das mag manchen Vorgesetzten überraschen. Denn gerne reden sich die Überbringer der Hiobsbotschaft ein, der künftige Ex-Mitarbeiter könne in der nachfolgenden Freizeit auf den Trost seiner Familie zählen und sich in Ruhe mit der neuen Situation auseinandersetzen. "Falsch", setzt Travi dagegen, "denn dann schmort der Gekündigte gewissermaßen im eigenen Saft, und es beginnt in ihm zu gären." Montags klingeln die Telefone der Rechtsanwälte am häufigsten.

Christian hat sich zwar mit der Kündigung, nicht aber mit deren Bekanntgabe abgefunden. "Ob meine Chefs das Gespräch hätten besser führen können? Ehrlich: Ich weiß es nicht. Wenn man gekündigt wird, überkommt einen immer das Gefühl, man werde ohne Rücksicht auf Verluste abgeschoben." Und in die Ohnmacht mische sich ein böser Verdacht: Wurde tatsächlich genug getan, um die Arbeitsplätze zu halten? "Meine Chefs versicherten mir, sie hätten sich für mich und die anderen entlassenen Kollegen eingesetzt", sagt er. "Eigentlich glaube ich ihnen das auch. Sie haben sich auch nach dem Gespräch sehr um uns bemüht. Aber letzte Zweifel wird man nie los."

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Quelle:
SZ vom 6.6.2009
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