Didaktikexpertin:Trainer statt Dozent

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Kathrin Fussangel erklärt, wie sich die Rolle der Schullehrer verändert hat, und warum es für sie so wichtig ist, mit Kollegen zu kooperieren.

Interview von Christiane Bertelsmann

Kathrin Fussangel ist Diplom-Psychologin und Professorin für empirische Schulforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie forscht zu Schulentwicklung und Lehrerausbildung und ist Mitglied in der Jury von "Der Deutsche Lehrerpreis - Unterricht innovativ" - eine gemeinsame Initiative des Deutschen Philologenverbands und der Vodafone Stiftung Deutschland. Fussangel setzt sich dafür ein, dass Lehrerinnen und Lehrer miteinander kooperieren und sich weniger als Einzelkämpfer begreifen. Moderne Lehrer bilden nach ihrer Auffassung nicht nur mit anderen Pädagogen ein Team, sondern auch mit Schülerinnen und Schülern; statt vor der Klasse zu referieren, unterstützen sie als Lernbegleiter die jungen Menschen und gehen dabei idealerweise auf deren individuelle Bedürfnisse ein.

Lehrer sollten mit Kollegen aus anderen Schulen kooperieren und gemeinsam Arbeitsmaterialien entwickeln, rät Kathrin Fussangel. (Foto: Friederike von Heyden/Bergische Universität Wuppertal)

SZ: Als Jurymitglied beim Deutschen Lehrerpreis wissen Sie, was Schülerinnen und Schüler an ihren Lehrern besonders mögen. Denn die Kinder und Jugendlichen reichen die Bewerbungen für ihre Lehrer-Favoriten selbst ein.

Kathrin Fussangel: In den Bewerbungsschreiben, die uns die Jugendlichen schicken, um ihre Lehrkräfte zu nominieren, lesen wir oft Sätze wie: "Unser Lehrer oder unsere Lehrerin kann uns begeistern, er oder sie motiviert uns, hat Spaß am Unterrichten." Oder: "Meine Lehrerin oder mein Lehrer erklärt mir auch zum zehnten Mal das gleiche Phänomen, wenn ich es noch nicht verstanden habe."

Daraus spricht Wertschätzung. Diese Aspekte sind auch aus wissenschaftlicher Perspektive relevant. Natürlich gehen wir davon aus, dass eine kompetente Lehrperson eine gute fachliche Basis hat, dass sie gut erklären und ein und dasselbe fachliche Phänomen aus verschiedenen Perspektiven erläutern kann. Aber sie sollte auch Begeisterung für ihr Fach zeigen und es verstehen, die Schülerinnen und Schüler zu motivieren.

Gibt es noch weitere positive Aspekte, die Schülerinnen und Schüler nennen?

Es kommt immer gut an, wenn die Kinder und Jugendlichen nachvollziehen können, was gelehrt wird. Wenn der Bezug zu ihrer Lebenswelt deutlich wird, und der Unterricht nicht trocken ist, sondern etwas mit dem Alltag zu tun hat.

Wenn wir zurückschauen - wie sah das Berufsbild eines Lehrers früher aus und wie hat es sich gewandelt?

Wenn Menschen an Schule denken, sehen viele auch heutzutage noch vor ihrem inneren Auge eine Lerngruppe und eine Lehrperson, die davor steht und die doziert, sprich Wissen vermitteln soll. Sie gehen eher davon aus, dass es einen Wissenskorpus gibt, der an die Schülerinnen und Schüler gebracht werden muss. Und dafür ist die Lehrkraft zuständig.

Inzwischen reden wir aber eher von Kompetenzvermittlung als von Wissensvermittlung; es geht um Fertigkeiten in einem bestimmten Fach und Kompetenz in Gebieten, die über das jeweilige Fach hinausgehen. Und die Lehrer helfen Schülern dabei, sich diese Fertigkeiten anzueignen. Selbstverständlich trägt die Lehrperson nach wie vor die Verantwortung für den Unterricht. Aber der sieht inzwischen anders aus als noch vor zehn oder 20 Jahren.

Auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder müssen Lehrer heute stärker achten als früher, weil die Schulklassen heterogener geworden sind. (Foto: imago)

Was sind die Ursachen für diese Veränderungen und wie wirkt sich das auf den Unterricht aus?

Die Lehrkraft muss das Unterrichtsmaterial didaktisch so aufbereiten, dass die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, eigenständig zu arbeiten. Das ist ein großer Unterschied zu früher. Den Grund dafür bilden die gesellschaftlichen Veränderungen. Unsere Schulklassen sind heute viel heterogener, wir haben Familien, in denen beide Eltern arbeiten, und viele Kinder mit Migrationshintergrund. Auch die Digitalisierung spielt eine große Rolle. Viele Berufsbilder verändern sich.

Wir müssen die Schülerinnen und Schüler stärker auf eine etwas ungewissere Zukunft vorbereiten, weil wir nicht wissen, wie sich die Berufswelt entwickeln wird. Da ist es wichtig, dass die jungen Menschen lernen, eigenständig zu arbeiten, sich selbst zu organisieren und sich selbst Wissen anzueignen. Das muss in der Schule angebahnt werden. Was nicht heißt, dass die Arbeit für Lehrkräfte weniger aufwendig ist als früher, ganz im Gegenteil.

Inwiefern ist die Arbeit der Pädagogen aufwendiger geworden?

Eine gute fachliche Aufarbeitung für eine sehr heterogene Lerngruppe ist sehr viel komplexer. Denn dafür braucht man neue Kompetenzen. Etwa, um die Lernvoraussetzungen zu diagnostizieren: Welches Material brauchen Schüler, die auf unterschiedlichen Niveaus lernen? Diese didaktische Aufbereitung ist sehr aufwendig.

Wie können Lehrer im Alltag eine so aufwendige Vorbereitungsarbeit überhaupt leisten?

Lehrkräfte müssen schauen, wie sie voneinander lernen können. Lehrer könnten einander ihre Vorbereitungen zur Verfügung stellen. Wie erfolgreich und arbeitserleichternd das sein kann, haben wir bei den diesjährigen Preisträgern gesehen. Beim Lehrerpreis können nicht nur Schüler ihre Lehrer nominieren, sondern auch Lehrkräfte haben die Möglichkeit, Unterrichtsreihen einzureichen. Die diesjährigen Preisträger in dieser Kategorie haben über eine digitale Lernplattform den Unterricht organisiert. Mittels selbstgedrehter Videos konnten die jungen Menschen schon zu Hause in das Thema einsteigen und bekamen Erklärungen dazu. Außerdem wurden den Schülern passende Arbeitsblätter dazu an die Hand gegeben, die sie bearbeiten konnten. Ich finde, das ist ein sehr schönes Beispiel dafür, wie sich der Unterricht und die Lehrerarbeit verändert haben. Nämlich so, dass da nicht mehr Lehrer stehen und erklären, und die Jugendlichen üben allein zu Hause. Wobei sie unter Umständen Probleme haben, weil sie es eben doch noch nicht so richtig verstanden haben. Das von unserer Jury ausgezeichnete Modell verlegt die Übungsphase in die Schule, wo dann Lehrer als Lernbegleiter und für Nachfragen ihren Schülerinnen und Schülern zur Seite stehen.

Wie ist so ein kooperatives Arbeiten unter Lehrkräften möglich?

In dem Fall, von dem ich eben erzählt habe, war das zunächst die Initiative einer einzelnen Lehrperson. Eine Lehrkraft hat damit angefangen, dann hat sich das schneeballartig fortgesetzt. Mittlerweile arbeitet eine ganze Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern aus verschiedenen Schulen zusammen. Einzelne erstellen zum Beispiel die Videos und die Arbeitsblätter, die dann von allen genutzt werden können. Das erleichtert die Vorbereitungsarbeit enorm.

Schulen müssen Bedingungen schaffen, die Pädagogen kooperatives Zusammenarbeiten ermöglichen. Eine Möglichkeit wäre, im Stundenplan Zeit für solche Kooperationen fest zu verankern. Damit die Lehrer nicht von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde hetzen müssen und ihre Kollegen nur kurz im Lehrerzimmer sehen, wo sie sich ja nicht inhaltlich auseinandersetzen können. Wenn die Schulleitung zum Beispiel immer jeden Freitag in der fünften Stunde eine Teamstunde für Lehrkräfte im Stundenplan freiräumen würde, wäre schon viel gewonnen.

© SZ vom 24.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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