DGB-Index "Gute Arbeit":Kein Mensch, nur Humankapital

Jeder Dritte leidet bei der Arbeit: Der Umgang mit dem angeblich Wertvollsten, was Unternehmen vorzuweisen haben, ist oft erschreckend schlecht.

Dagmar Deckstein

Zu den Paradoxien der modernen Arbeitswelt gehört es, dass diejenigen, die keine bezahlte Erwerbsarbeit bekommen, gerne eine hätten, und diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, nicht selten unter den Arbeitsbedingungen stöhnen. So förderte eine neueste Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds zutage, dass 33 Prozent der Jobbesitzer mit eben diesem unzufrieden sind und ihren Arbeitsplatz als schlecht einstufen. Nur zwölf Prozent bewerten nach dem "DGB-Index Gute Arbeit" ihre Tätigkeit positiv, und nur jeder zweite Deutsche geht der repräsentativen Umfrage unter 8000 Arbeitnehmern zufolge davon aus, seine Tätigkeit unter den derzeitigen Bedingungen bis zum Rentenalter ausüben zu können.

DGB-Index "Gute Arbeit": Nur Humankapital: Besonders zu schaffen macht den Menschen der hohe Zeitdruck, unter dem sie ihre Berufstätigkeit ausüben.

Nur Humankapital: Besonders zu schaffen macht den Menschen der hohe Zeitdruck, unter dem sie ihre Berufstätigkeit ausüben.

(Foto: Foto: ap)

Besonders zu schaffen macht den arbeitenden Menschen dabei der hohe Zeitdruck, unter dem sie ihre Berufstätigkeit ausüben. Der Studie zufolge arbeiten die meisten Deutschen länger als tariflich vereinbart. Bei einer Wochen-Arbeitszeit von 39 Stunden verbringen die Deutschen im Schnitt 44 Stunden in der Firma. Der Studie zufolge wollen allerdings nur zehn Prozent der Vollzeitbeschäftigten länger als 40 Stunden arbeiten. Besonders negativ bewerten die Arbeitnehmer auch die Höhe ihres Einkommens und fehlende Aufstiegsmöglichkeiten.

Überforderte Führungskräfte

Zu ähnlichen Ergebnissen war auch eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Supervision gekommen. Unter dem Titel "Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen" förderten die Organisationsexperten die zusammenfassende Erkenntnis zutage, "dass sich in der Unternehmenswelt über einen großen Zeitraum eine Art Blase massiven ökonomischen und organisatorischen Drucks gebildet hat, die zunehmend gravierende latente Risiken und nicht selten auch schon Kosten erzeugte, deren Wahrnehmung aber weithin tabuisiert wird". Das Hauptproblem seien Zeit-, Effizienz- und Innovationsdruck bei immer weniger Unterstützung von oft ebenfalls überforderten Führungskräften.

Enttabuisiert hat hingegen kürzlich erst die Techniker Krankenkasse in ihrem "Gesundheitsreport 2009" das Phänomen, dass vor allem Zeitarbeit nicht nur unzufrieden, sondern auch krank macht: Mit durchschnittlich 14,7 Krankheitstagen im Jahr weisen Zeitarbeiter vier Abwesenheitstage mehr auf als andere Beschäftigte. Der Umgang mit dem angeblich Wertvollsten, was Unternehmen vorzuweisen haben, mit dem sogenannten "Humankapital", lässt also vielfach zu wünschen übrig.

Abgesehen davon, dass der umstrittene Begriff Humankapital - 2005 zum Unwort des Jahres gekürt - schon eine entpersönlichte Sicht auf den arbeitenden Menschen widerspiegelt, will die Bundesregierung nun bei ihrer Kreditvergabe an notleidende Firmen ein besonders wachsames Auge auf deren Umgang mit den Mitarbeitern werfen.

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Nach der Einheitsideologie gestrickt

"Der Personaler als Gutmensch"

Die Beraterfirma Psychonomics hat im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums einen "Human-Potential-Index (HPI)" entwickelt, den das Institut an diesem Freitag der Öffentlichkeit vorstellt. 40 Einzelfaktoren aus 13 Themenbereichen, darunter zum Beispiel Innovationen und Mitarbeiterzufriedenheit, Personalstrategie, Personalauswahl, Personalentwicklung, Unternehmenswerte, Führung, Kommunikation bis hin zu Boni und Gesundheitsförderung sollen Aufschluss über die sogenannte Humanvermögensorientierung von Unternehmen geben. Immerhin meinen die Psychonomics-Forscher schon herausgefunden zu haben, dass "41 Prozent des wirtschaftlichen Erfolgs eines Unternehmens durch die Indikatoren des HPI prognostizierbar sind".

Doch schon vorab erhebt sich scharfer Protest gegen den Human-Potential-Index. Der frühere Lufthansa- und heutige Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger sowie der Saarbrücker Professor für Personalmanagement Christian Scholz halten gar nichts von diesem "Trojanischen Pferd". Die unterstellte Kausalität zwischen den eingesetzten Instrumenten des Personalmanagements und Unternehmenserfolg sei schlichtweg falsch, schreiben die beiden in einer am Donnerstag veröffentlichten, harschen Stellungnahme. "Statt intelligente, passgenaue Humankapital-Strategie wertzuschätzen, wird auf die gleichmacherische und breitflächige Anwendung eines instrumentellen Bauchladens gesetzt", so das Autorenduo. Die Gleichung: Je mehr Aufwand in der "Human Resources"-Abteilung getrieben werde, desto besser für den Unternehmenserfolg, sei absurd. Und ganz nach der Einheitsideologie gestrickt: "Der Personaler als Gutmensch, der Wohltaten verteilt und niemandem wehtut."

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