Schöner, aber auch praktischer sollte es werden, das Leben aller Menschen. Mit modernen Schrifttypen, Möbeln, Textilien, Bühneninszenierungen und innovativen Bauten. Vor hundert Jahren begann das Bauhaus in Weimar mit diesem ambitionierten Experiment. Doch weiter nördlich, in Dessau, erlebte die von dem Architekten Walter Gropius gegründete Kunstschule ihre Blütezeit. Was von 1925 bis 1932 in der Stadt im heutigen Sachsen-Anhalt ersonnen und erprobt wurde, hatte Modellcharakter. Hier entstanden so bekannte Kreationen wie die Stahlrohrstühle von Marcel Breuer oder die Leuchten von Marianne Brandt.
"Kunst und Technik - eine neue Einheit" war seit 1923 Gropius' Programm. Von reaktionären Kräften in Weimar vertrieben, wählte er Dessau als Standort seiner Hochschule für Gestaltung, weil er Kooperationen mit dort ansässigen Industriellen wie dem Ingenieur Hugo Junkers anstrebte. Junkers baute Flugzeuge, aber auch Häuser und Möbel. Im Dessauer Technikmuseum kann man sich auch über die enge Verbindung zwischen Gropius und dem Erfinder informieren.
Assoziationen an einen futuristischen Flugkörper erweckt das von Gropius entworfene Bauhausgebäude aus Stahlbeton und Glas, das man bei einer Führung besichtigen kann. Es besteht aus fünf miteinander verbundenen Gebäudeelementen. Eines von ihnen formt das Ateliergebäude, in dem einst Bauhausstudenten wohnten. Wer in den Zimmern des sogenannten Prellerhauses übernachtet, kann Bauhausatmosphäre erleben. Die Räume sind weitgehend gestaltet wie damals. Das Hochschulgebäude ist Sitz der Stiftung Bauhaus Dessau, die über eine Sammlung von 50 000 Exponaten verfügt - neben Arbeiten aus den Werkstätten Dokumente zur Geschichte und Rezeption des Bauhauses sowie Nachlässe.
Erst seit Kurzem ist das Südtreppenhaus des Bauhausgebäudes öffentlich zugänglich. Wie viele andere Bauten in Dessau gehört es zum Unesco-Welterbe.
Wer am Bauhaus studierte und ein Apartment im "Prellerhaus" ergatterte, konnte sich glücklich schätzen. Einzelzimmer waren für Studenten Luxus.
Hinter den Glasfassaden des Hochschulgebäudes widmete man sich seinen Experimenten. Oskar Schlemmer erprobte hier sein abstraktes Tanztheater.
Das Direktorenhaus (Vordergrund) und das Haus Moholy-Nagy wurden im Krieg zerstört. Nach der Rekonstruktion wurden sie 2014 wiedereröffnet.
Das Konsumgebäude wurde 1928 als zentrales Gebäude der Törten-Siedlung errichtet. Hier starten heute die Architekturführungen.
Runde mit kantigen Formen kombinierte Bauhaus-Architekt Carl Fieger für sein Ausflugslokal Kornhaus. Man speist mit Ausblick auf die Elbauen.
Das von Gropius geplante Arbeitsamt galt seinerzeit als hochmodern. Sein Licht- und Belüftungskonzept sollte Arbeitssuchende optimistisch stimmen.
Stadt und Stiftung feiern das Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen. Einer der wichtigsten Termine steht kurz bevor: Am 8. September wird das neue Bauhausmuseum im Stadtpark eröffnet. Mit seiner Ausstellungsfläche von 2100 Quadratmetern bietet es bessere Präsentationsmöglichkeiten als das Hochschulgebäude. "Wir können künftig 1000 Exponate der Sammlung zeigen und werden bestimmte Stücke von Zeit zu Zeit austauschen", sagt Wolfgang Thöner, einer der Kuratoren der Dauerausstellung. "1976 haben wir bei null angefangen", berichtet der Kunsthistoriker, der seit 1985 am Bauhaus Dessau tätig ist. "Die ersten Exponate kamen von Sammlern aus der ehemaligen DDR." Heute ist die Bauhaus-Sammlung Dessau die zweitgrößte der Welt.
Zu einer Bauhaustour in Dessau gehört auch die Besichtigung der Meisterhäuser - drei Doppelhäuser und das Einzelhaus des Direktors. Die weißen, ineinander verschachtelten Kuben, in denen Bauhausmeister wie Paul Klee, Georg Muche oder Oskar Schlemmer lebten, ähneln einander nur von außen. Wer sie betritt, wird mit unterschiedlichen ästhetischen Vorstellungen der Bauhaus-Lehrer konfrontiert. So prägt ein buntes Farbkonzept das anlässlich des Jubiläums renovierte Haus Kandinsky/Klee; eher nüchtern, wie es Gropius zugesagt hätte, wirken die Räume des Direktorenhauses.
Mit der Linie zehn, dem "Bauhaus-Bus" gelangt man auch zu anderen Prototypen des modernen Bauens: Er hält am Ausflugslokal Kornhaus des Architekten Carl Fieger und bringt einen zur Reihenhaussiedlung Dessau-Törten. Dort ging es Gropius darum, erschwingliche Eigenheime mit Nutzgärten für "kleine Leute" zu bauen. Seine Vorstellung von sozialem Mietwohnungsbau realisierte Hannes Meyer, der Gropius 1928 als Direktor nachfolgte, mit einer Erweiterung der Siedlung - den Laubenganghäusern.
Eine Verbindung zwischen zwölf Bauhausbauten schafft das fürs Jubiläumsjahr entwickelte Projekt "Originale neu erzählt", zugleich widmet es sich dem einzelnen Bauwerk. So kann man sich etwa im Konsumgebäude, das eine Ladenzeile mit einem Wohntürmchen verbindet, oder im Historischen Arbeitsamt Filme zur Geschichte des jeweiligen Bauwerks ansehen. Und die Freiraum-Ausstellung "Unsichtbare Orte" zeigt an Gebäuden und auf Plätzen, wie stark das Bauhaus das gesellschaftliche Leben der Zwanzigerjahre in Dessau prägte. Mit mehr als hundert Firmen arbeiteten die Bauhäusler am Ort zusammen, sie entwarfen Werbebroschüren, statteten Schaufenster aus. Was auch zur Bauhauskultur gehörte: rauschende Feste, die man auf den großzügigen Balkonen und Terrassen der Meisterhäuser feierte.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Dessau fälschlicherweise südlich von Weimar verortet. Richtig ist, dass das sachsen-anhaltische Dessau nördlich (genauer: nordöstlich) des thüringischen Weimar gelegen ist.