Der Segen prominenter Plagiatsfälle:Empört Euch!

Die Wissenschaft kann prominenten Plagiatoren wie Jorgo Chatzimarkakis, Silvana Koch-Mehrin oder Karl-Theodor zu Guttenberg dankbar sein: Aufgrund immer neuer Plagiatsfälle herrscht an den Universitäten inzwischen eine bislang noch nie dagewesene Sensibilität für das Problem des Abschreibens.

Stefan Kühl

Angesichts der Vielzahl von Plagiatsfällen mehr oder minder prominenter deutscher Politiker zeigt man sich in der Wissenschaft entsetzt. Die Dreistigkeit mit der Titeljäger ihre Promotionen mit "Copy and Paste" zusammenbasteln, nur um sich auf Parteitagen prominent hinter mit einem Doktortitel verzierten Namensschildern platzieren zu können, hat dazu geführt, dass nicht wenige bereits den Niedergang wissenschaftlicher Standards an die Wand malen.

Guttenberg Doktorarbeit Dissertation

Das Problem besteht nicht darin, dass sich die Karl Theodor zu Guttenbergs, die Margarita Mathiopoulos und Silvana Koch-Mehrins ungehemmt bei Texten anderer bedienen, sondern dass dieses Verhalten in der Öffentlichkeit verharmlost wird.

(Foto: dapd)

Dabei kann die Wissenschaft den Plagiatoren eigentlich nur dankbar dafür sein, dass sie - sicherlich ungewollt - ihre politische Karriere durch eine gewisse wissenschaftliche Schludrigkeit aufs Spiel gesetzt haben.

Es ist eine über ein Jahrhundert alte Einsicht Émile Durkheims, dass die sanktionierte Abweichung von einer Norm, diese Norm stützen kann. Man empört sich gemeinsam über den Radfahrer, der in der Fußgängerzone einen alten Mann umfährt, und verfestigt durch diese kollektive Empörung die Norm gegenseitiger Rücksichtnahme.

Die öffentliche Abstrafung eines prügelnden Ehemanns vor Gericht trägt vermutlich mehr zur Aufrechterhaltung der Norm körperlicher Unversehrtheit bei als jede noch so gut gemeinte Aufklärungskampagne irgendwelcher Familienministerien.

Aufgrund immer neuer Plagiatsfälle herrscht an den Universitäten inzwischen eine bislang noch nie dagewesene Sensibilität für das Problem des Abschreibens. Studierende, die bisher durch die (Trocken-)Übungen zu "Techniken wissenschaftlichen Arbeitens" lediglich sanft in den Schlaf gewiegt wurden, können jetzt - durch die Massenmedien spannend aufbereitet - jeden neuen Plagiatsfall verfolgen und sich darüber mit den Standards wissenschaftlichen Arbeitens vertraut machen.

Standards werden zeremoniell verfestigt

Mit jeder neuen öffentlichen Empörung über ein Plagiat, jede aberkannte Promotion werden die wissenschaftlichen Standards zeremoniell verfestigt. Durch die Berichterstattung in den Massenmedien werden die Studierenden dabei viel detaillierter über diese Standards informiert als von ihren Professoren.

Wer sich die Analyse der aus Textversatzstücken zusammengeschusterten Dissertation des niedersächsischen Kultusministers und Vorsitzenden der deutschen Kultusministerkonferenz Bernd Althusmann im Internet ansieht, wird wohl mehr über die Methoden des "verschleierten Kopieren", des Schmückens mit "fremden Federn", der "ungekennzeichneten Übernahme" und des "ausgefransten Zitats" oder des Ablenkungsmanövers "Nebelbombe" lernen, als er sich in den vielfältigen Studienführern zur Abfassung einer Promotion aneignen kann.

Damit eine Verfestigung etablierter Normen überhaupt funktionieren kann, ist es jedoch von zentraler Bedeutung, dass der beobachteten Normverletzung auch eine Sanktionierung folgt. Wird der radelnde Rowdy oder der prügelnde Ehemann nicht für sein Verhalten bestraft, droht die Norm zu erodieren.

Die Verniedlichung des Plagiats ist das Problem

Wenn beobachtet wird, dass man mit einer Normverletzung durchkommt, dann ist die Verlockung groß, die Norm nicht mehr ernst zu nehmen. Resultat ist, so die Beobachtung Émile Durkheims, eine Anomie - ein Verlust der sozialen Ordnung in einer Gesellschaft.

Aus dieser Perspektive ist das Problem also nicht, wenn sich die Karl Theodor zu Guttenbergs, die Margarita Mathiopoulos und Silvana Koch-Mehrins ungehemmt bei Texten anderer bedienen, sondern wenn dieses Verhalten in der Öffentlichkeit verharmlost wird.

Nicht das Plagiat an sich ist ein Problem, sondern die Verniedlichung des Plagiats in der Öffentlichkeit, beispielsweise wenn eine Bundeskanzlerin betont, dass sie einen besonders dreisten Plagiator ja als Minister und nicht als wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt hat oder ein Parteivorsitzender keinen Anlass sieht, in seiner offensichtlich titelfixierten Partei, den Rücktritt überführter Plagiatoren einzufordern.

Aber weil sich die Universitäten bei der Aberkennung von Doktortiteln bisher wenig durch die halbherzigen Klagedrohungen von neuerdings titellosen Politikern und Politikerinnen beeindruckend lassen, werden die Standards wissenschaftlichen Arbeitens durch jede Plagiatsaffäre immer mehr verfestigt.

Erfundener Zitierstandard

Mehr oder minder amüsiert nimmt man zur Kenntnis, wie Titelträger zwar "handwerkliche Fehler" eingestehen, sich gleichzeitig aber als "Opfer einer Kampagne" bezeichnen - oder wenn Plagiatoren einen vermeintlich an der Universität von Oxford erlernten anführungszeichenlosen Zitierstandard erfinden. Man scheint sich darauf verlassen zu können, dass die Mechanismen der Universitäten noch so gut funktionieren, dass es zu einer massenmedial begleiteten Aberkennung des Titel kommen wird.

Besonders dankbar kann man den mehr oder minder prominenten und begabten Plagiatoren dafür sein, dass durch ihre Verletzung basaler Standards wissenschaftlichen Arbeitens ungewollt auch bekannt wird, für welche Texte an den Universitäten heutzutage Doktortitel verliehen werden.

Wenn man sich nicht den originellen Plagiatsstrategien, sondern den Inhalten der im Netz zugänglichen Arbeiten zuwendet, erkennt man deutlich, welche Effekte es hat, wenn Professoren für jede zusätzliche Promotion an ihrem Lehrstuhl mit zusätzlichen Mittelzuweisungen oder Lehrdeputatsreduktionen belohnt werden.

Schon die nur theoretische Möglichkeit, dass eine gerade noch so durchgewunkene Promotion aufgrund eines Plagiatsfalles in all ihrer Einfältigkeit in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt werden könnte, wird die wissenschaftlichen Betreiber von aktiven Titelmühlen zukünftig bremsen. Und wenn die Universitäten dadurch einige mittelmäßige Promotionen weniger prozessieren, haben die prominenten Plagiatoren letztlich allen gedient.

Der Autor ist Soziologie-Professor an der Universität Bielefeld.

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