Der neue Feminismus (4): Frauen und Erfolg:Weil ich kein Mädchen bin

Junge Frauen nennen sich Mädchen, nur um lautstark zu verkünden, dass sie keine mehr sein möchten. Gar nicht so leicht, die Karriere-Debatte des neuen Feminismus zu verstehen.

Irene Helmes

"Alphamädchen" sind ziemlich unzufrieden mit ihrer Situation: "Der Postfeminismus ist eine hinterhältige Sau", schimpfen Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl in ihrem gleichnamigen Bucherfolg. Zu glauben, Gleichberechtigung sei längst erreicht, ist demnach der größte Irrtum, dem junge Frauen heute aufsitzen können. Nötig sei vielmehr, die Dinge in Angriff zu nehmen, "die so brutal nerven in ihrer Rückständig- und Ungerechtigkeit".

Barbie am PC, ap

Frauen und Karriere: Wer im Beruf bestehen will, muss die rosarote Barbiewelt mit ihren manipulativen Mätzchen weit hinter sich lassen.

(Foto: Foto: ap)

Lieb und nett ist diese Sprache sicher nicht. Auch Charlotte Roche und Lady "Bitch" Ray sind alles andere als zahm. Wie sie fröhlich vor aller Augen letzte Tabus niederrennen, ist aufsehenerregend - doch es verstellt den Blick darauf, dass die neue Diskussion über Frauenbilder mehr ist als ein sexueller Enthemmungswettbewerb. Weniger grelle Autorinnen dieser Generation machen sich auch Gedanken um das Thema Frauen und Erfolg.

Unter der gläsernen Decke

Zum Beispiel um die sogenannte gläserne Decke, unter der Frauen zwar Blicke auf männerdominierte Führungsetagen erhaschen - aber die sie selten durchdringen können. So liegt der Frauenanteil bei Management-Positionen im EU-Schnitt derzeit bei 12,5 Prozent; die 30 Dax-Firmen werden mit nur einer Ausnahme von Männern geführt.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Accenture, für die 2007 in 13 Ländern 2200 Führungskräfte befragt wurden, fühlen sich nur vier Prozent der Männer, aber 26 Prozent der Frauen vor allem durch ihr Geschlecht am beruflichen Aufstieg gehindert. Knapp ein Drittel der Männer plant einen Durchmarsch in die Chefetage bereits beim Berufsstart fest ein - im Vergleich zu nur 16 Prozent der Frauen.

Hübsch freundlich in die Sackgasse

Auch von gleichem Verdienst kann noch keine Rede sein: Wie die EU-Kommission Anfang der Woche mitteilte, liegt der Verdienst arbeitender Frauen im europäischen Schnitt 15 Prozent unter dem der Männer. In Deutschland sind es sogar 22 Prozent.

Woran liegt das? Erklärungsversuche genetischer, sozialer und psychologischer Art konkurrieren seit vielen Jahren - doch besonders einer lässt auch die aktuelle Debatte nicht los. Der ungeliebte Vorwurf nämlich, dass sich Frauen oft selbst ein Bein stellen. Der Accenture-Befragung zufolge sind Arbeitnehmerinnen in ihrer Selbsteinschätzung viel zurückhaltender, neigen stark dazu, Fehler bei sich selbst zu suchen. In der Schweiz etwa machen 26 Prozent der befragten Männer äußere Umstände wie schlechte Konjunktur für einen Karriereknick verantwortlich, jedoch nur 15 Prozent der Frauen.

Uschis, Weibchen und Tricks aus dem Märchenbuch

Die Kommunikationswissenschaftlerin Romy Fröhlich beschrieb schon vor Jahren eine "Freundlichkeitsfalle". Selbst in der frauendominierten PR-Branche bleiben die meisten Frauen nach einem zunächst flotten Einstieg irgendwo auf der Karriereleiter hängen. Anfangs Nützliches wie Einfühlungsvermögen und die Suche nach einvernehmlichen Konfliktlösungen entpuppt sich demnach als Gift für den Durchbruch. Nett sein wird letztlich als Schwäche ausgelegt - befördert dagegen wird, wer auch mal auf den Tisch haut.

Was tun? Mögen sich Experten noch so differenziert den Kopf zerbrechen - was in den Ratgeberregalen der Buchhandelsketten ankommt, ist zu großem Teil Realsatire.

Auf der nächsten Seite: Was fragwürdige Highlights aus der Ratgeberliteratur empfehlen.

Weil ich kein Mädchen bin

Reh, Kumpel oder Vamp

Drei fragwürdige Highlights, alle in den vergangenen beiden Jahren erschienen: Die Autorin Meike Rensch-Bergner empfiehlt "Die Uschi-AG. Königinnen machen Karriere", damit "alle fleißigen Lieschen zu strahlenden Uschis werden". Junge Frauen, die über solche Formulierungen nur den Kopf schütteln können, erfahren auch in Marion Knaths "Spiele mit der Macht" Bemerkenswertes.

Im Kapitel "Der Einsatz weiblicher Reize" etwa erklärt die Autorin: "Egal ob Sie eher Reh, Kumpel oder Vamp sind", entscheidend bei einer Verhandlung sei doch immer der Erfolg. Ergo: "Hier können Sie durchaus Weibchen sein, Hauptsache, Sie kommen an Ihr Ziel."

Auch "Wie Aschenputtel Karriere macht. Zehn märchenhafte Strategien für kluge Frauen" schlägt in die gleiche Kerbe. Das mattweiß schimmernde Büchlein, auf dem ein Zauberstab mit Sternchen blinkt, verrät, "Wie Sie ins Schloss gelangen und sich eine gute Fee suchen" und sich à la Schneewittchen "mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen loyale Verbündete schaffen". Sogar vom "hässlichen jungen Entlein" kann Frau lernen: nämlich, "wie Sie sich Gleichgesinnte suchen, die Ihre Stärken erkennen".

Helfen solche Tipps beim Versuch, ernstgenommen zu werden? Wohl kaum.

Achtung, die Mädchen kommen

Reflektierter setzt sich die Autorin Annette C. Anton in ihrem 2006 erschienenen "Raus aus der Mädchenfalle" mit dem Klischee-Teufelskreis auseinander. Der ewige Anspruch, "nett" zu sein, verfolgt in ihren Augen junge Frauen vom Sandkasten bis ins Berufsleben - und endet typischerweise in der "Mutterfalle". Antons Fazit: "Wer im Beruf bestehen will, muss die rosarote Barbiewelt mit ihren manipulativen Mätzchen weit hinter sich lassen, um schleunigst die Spiele der Kerle zu erlernen, und sei es nur, um sie zu durchschauen und zu unterlaufen."

2008 treten nun die selbsternannten "Alphamädchen" und "neuen deutschen Mädchen" ins Rampenlicht. Sie deuten eine weitere Emanzipationsoffensive an - auf der Basis ellenlanger Literaturlisten und mit dem erklärten Vorsatz, endlich und jetzt aber wirklich "alles" zu schaffen, natürlich auch im Beruf. Dafür diskutieren sie betont locker Fakten und Gender-Theorien, teilen sehr Persönliches mit und wollen sich definitiv nichts mehr gefallen lassen ("seien wir doch einfach mal unbequem").

Allerdings wird ihnen gerade ihr Ton zum Verhängnis: Man stelle sich kurz vor, ein paar männliche Akademiker um die 30 würden ein Buch namens "Wir deutschen Jungs" oder "Jungen in der Chefetage" veröffentlichen. Es war einerseits weitsichtig, dass sich die jungen Autorinnen gleich selbst eingängige Labels gewählt haben, anstatt zu warten, dass Journalisten und Publikum dies für sie erledigen.

Auf der nächsten Seite: Warum die selbsternannten Alphamädchen ihren Kritikern Steilvorlagen liefern.

Weil ich kein Mädchen bin

Allergische Reaktion auf Kritik

Andererseits ist die Wortwahl kontraproduktiv. Die "Mädchen" liefern ausgerechnet denen Steilvorlagen, die sie allzu bereitwillig in die alte Ecke drängen und die zur Diskussion stehenden Bücher mit all ihren Facetten sowieso nie ganz lesen werden. Auf solche Kritik anderer, meist älterer, Feministinnen reagieren die "Mädchen" allergisch - vielleicht weil sie ahnen, dass etwas dran ist.

Dass es auch anders geht, zeigen die österreichischen Journalistinnen Sibylle Hamann und Eva Linsinger mit ihrem kürzlich erschienenen "Weißbuch Frauen, Schwarzbuch Männer. Warum wir einen neuen Geschlechtervertrag brauchen". Gleiche Themen, ähnliche Grundlagen - doch Mädchenassoziationen bleiben bei der Lektüre tatsächlich aus. Eine erwachsene Sprache formuliert erwachsene Ziele, die die Alphamädchen zwar teilen, zwischen ihren vielen coolen Sprüchen aber leider untergehen lassen.

Erwachsene Sprache für erwachsene Ziele

Zum Beispiel: Das Klischee, Frauen seien von Natur aus bescheidener und letztlich nicht zum Führen geeignet, nicht auch noch selbst zu bedienen. Nicht zu zweifeln, sich nicht extra kleinzumachen, sondern entschlossen zu handeln. "Nüchtern betrachtet, gibt es kaum etwas Unsinnigeres als Rollenklischees", sagen Hamann und Linsinger - und appellieren an die Vernunft von Frauen und Männern zugleich, gemeinsam zukunftsfähige Arbeitsteilungen zu finden.

Das ist die Richtung, in die sich der neue Feminismus - und mit ihm seine Karriere-Debatte - entwickeln kann, wenn sich die erste Aufregung wieder legt. Schülerinnen und Studentinnen hängen ihre männlichen Altersgenossen in immer mehr Bereichen ab. Vielleicht werden sie die erste Generation, die wirklich erfolgreich die gläserne Decke sprengt - und sich endlich vom Mädchen-Vokabular verabschiedet.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: