Der Fall Emmely:Die Frau, die sich traut

Gekündigt wegen 1,30 Euro: Eine Kassiererin wurde zum Symbol für soziales Unrecht. Doch die Rollen von Gut und Böse sind nicht so klar verteilt, wie es scheint. An diesem Donnerstag wird das Urteil erwartet.

Daniela Kuhr

Vermutlich ist sie Deutschlands berühmteste Kassiererin, die 1958 geborene Berlinerin Emmely. Nahezu jeder hat schon von ihrem Fall gehört. Er hatte im vergangenen Jahr eine heiße Debatte über sogenannte Bagatellkündigungen ausgelöst. Emmely, die in Wahrheit Barbara heißt, war nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit von ihrem Arbeitgeber, einer Supermarktkette, fristlos gekündigt worden, nur weil sie im Verdacht stand, zwei von Kunden verlorene Pfandbons für sich selbst eingelöst zu haben. Der Gesamtwert der Bons lag bei sage und schreibe 1,30 Euro.

Fall Emmely: Bundesarbeitsgericht entscheidet ueber Revision

Ist sie wirklich so unschuldig, wie alle Welt glaubt? Der Fall der Kassiererin "Emmely" wird vor dem Bundesarbeitsgericht neu aufgerollt.

(Foto: ddp)

Obwohl der Betrag lächerlich war, entschied das Landesarbeitsgericht Berlin im Februar 2009, die Kündigung sei gerechtfertigt. An diesem Donnerstag hat das Bundesarbeitsgericht nun die Gelegenheit, das Urteil zu korrigieren. Ob die Richter sie nutzen, ist allerdings längst nicht ausgemacht.

Emmely ist überzeugt, ihr sei nur gekündigt worden, weil sie zuvor an einem Streik teilgenommen hatte. Wer sich aber die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen durchliest, muss feststellen: Ganz so eindeutig sind die Rollen von Gut und Böse in dem Stück dann doch nicht verteilt. Zumindest nicht, wenn die Sache so abgelaufen ist, wie die Gerichte es schildern.

Verstrickt in Widersprüche

So war es beispielsweise nicht etwa Emmely, die die Pfandbons gefunden hatte, sondern eine Kollegin. Sie brachte sie, wie es den Vorschriften entsprach, zum Marktleiter. Dieser ging daraufhin zu Kassiererin Emmely und bat sie, die Bons aufzubewahren, falls ein Kunde komme, der sie verloren habe. Sollte niemand die Bons reklamieren, seien sie später als sogenannte Fehlbons zu verbuchen. So die klare Anweisung von oben.

Emmely legte die Bons daraufhin in das Kassenbüro, wo sie die nächsten Tage verblieben. Was dann folgte, bestreitet die Kassiererin, das Landesarbeitsgericht ist aber nach einer umfassenden Beweisaufnahme überzeugt, dass es sich genau so zugetragen hat. Entgegen der Anweisung des Filialleiters soll die Kassiererin die Bons zehn Tage später an sich genommen und an der Kasse für sich selbst eingelöst haben. Die Sache flog auf. Doch statt alles einzuräumen und sich reumütig zu geben, verstrickte Emmely sich in immer neue Lügengeschichten. Zumindest hatten die Richter der beiden unteren Instanzen diesen Eindruck.

Gespräche mit dem Arbeitgeber

Der Arbeitgeber kündigte der Kassiererin nicht etwa von einem Tag auf den anderen, sondern führte in den kommenden Wochen mehrere Gespräche mit Emmely, auch im Beisein von zwei Betriebsräten. Er ging allen ihren Erklärungen nach. Mal behauptete Emmely, die Bons stammten von ihrer Tochter, mal brachte sie die Möglichkeit ins Gespräch, eine Kollegin habe sie ihr heimlich ins Portemonnaie gesteckt.

Heikle Aussagen für eine Kassiererin

Durch dieses Verhalten habe Emmely das Vertrauen ihrer Vorgesetzten nachhaltig verspielt, weil sie "im Rahmen der Befragungen durch den Arbeitgeber immer wieder falsche Angaben gemacht habe, die sie dann, als sie vom Arbeitgeber widerlegt waren, einfach fallengelassen hat", schrieb das Landesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung. Vor allem habe sie "ohne Grund und Rechtfertigung eine Kollegin belastet, die nichts mit der Sache zu tun gehabt hatte". Es waren weniger die 1,30 Euro als vielmehr dieses Verhalten, das die Richter dazu brachte, die Kündigung als gerechtfertigt anzusehen.

Die Empörung über das Emmely-Urteil fällt also umso leichter, je weniger man sich mit dem Fall beschäftigt hat. Er ist auch nicht unbedingt typisch für die diversen Bagatellkündigungen, die zuletzt für Aufregung gesorgt haben. Trotzdem kann das Bundesarbeitsgericht ihn natürlich zum Anlass nehmen, seine über Jahrzehnte hinweg rigide Rechtsprechung abzumildern, nach der schon der unerlaubte Verzehr eines Bienenstichs Grund genug für eine Kündigung ist. Zumal sich auch von Seiten einiger Arbeitsrichter kritische Stimmen mehren.

Bislang hat das Bundesarbeitsgericht nur angekündigt, eine ganz bestimmte Frage grundsätzlich klären zu wollen. Das erstinstanzliche Gericht hatte Emmely besonders angekreidet, dass sie im Prozess stets betont hatte, das ihr vorgeworfene Verhalten sei nicht gravierend. Geringe Vermögensdelikte könnten aus ihrer Sicht nie eine Kündigung rechtfertigen. Für eine Kassiererin sind das natürlich heikle Aussagen. "Unter diesen Umständen ist eine Wiederherstellung des Vertrauens ausgeschlossen", heißt es daher im ersten Urteil.

Rückwirkend wirksam?

Das Problem daran ist nur: Diese Aussagen hat Emmely erst nach der Kündigung gemacht. Kann so ein späteres Verhalten die Kündigung rückwirkend rechtfertigen? Das will das Bundesarbeitsgericht nun erstmals entscheiden. Die Richter werden sich aber nicht darauf beschränken. "Sie werden das gesamte Urteil überprüfen", sagt eine Sprecherin des Gerichts. "Was dabei herauskommt, ist völlig offen."

Emmelys Anwalt Benedikt Hopmann hofft, dass die Richter ihre bisherige Rechtsprechung aufgeben. "Sie hat jahrelang unbeanstandet gearbeitet", sagt er. Daher müsse eine Abmahnung ausreichen. "Auch eine Kassiererin hat doch ein Recht auf eine zweite Chance."

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