Eine Frage bekommen frisch an der Universität Oxford eingeschriebene Studenten in den ersten Semesterwochen besonders häufig zu hören: "Bist du schon Union-Mitglied?" Der Oxford Union beizutreten, ist ebenso Teil einer abgerundeten romantischen Universitäts-Erfahrung, wie punting (beschwipste Kanal-Ausflüge in flachen Kähnen) und gate crashing (beschwipstes, ungeladenes Eindringen in College-Abschlussbälle). Anders als die genannten Vergnügungen ist die Union freilich eine weitgehend ernsthafte Angelegenheit.
Den Debattierklub der Universität gibt es, wie so vieles in dieser Stadt, schon ziemlich lange. Im Jahre 1823 als Forum für den Austausch von Ideen gegründet, hat die Oxford Union ihren Sitz im geographischen Zentrum Oxfords. Ihre Bibliothek wurde von präraffaelitischen Künstlern mit ebenso berühmten wie scheußlichen Fresken ausgemalt, ihre Bar schenkt die wohl am großzügigsten bemessenen Cocktails der Stadt aus. In ihrem debating chamber haben von Winston Churchill über Mutter Teresa bis zu Clint Eastwood unzählige Berühmtheiten gesprochen; ein Dutzend spätere britische Premierminister waren Mitglieder. Kurz, die Oxford Union ist ein Hort der Achtbarkeit.
Doch nun hat der Daily Telegraph so etwas wie einen Skandal aufgedeckt: Einer der Vorteile, den eine Union-Mitgliedschaft mit sich bringt, sind Preisnachlässe bei zahlreichen Oxforder Geschäften. "Von MooMoos Milkshakes bis zu Milano Bar, Al-Andalus Tapas und Angels Cocktails, zeig einfach deine Mitgliedskarte, um deinen Rabatt zu bekommen. Viel Spaß!", steht auf der Website der studentischen Vereinigung. Nun wäre das für sich genommen wenig erwähnenswert, handelte es sich bei einem der insgesamt 63 aufgelisteten Läden nicht um die Niederlassung einer Sexshop-Kette. "Adult World" im Stadtteil Cowley preist auf der eigenen Internetseite seine "helle und einladende Atmosphäre" sowie seine "umfassende Auswahl an Filmen, Spielzeug und Zubehör" an. Auf all dies bekommt, wer seinen Debattierklub-Ausweis zeigt, zehn Prozent Rabatt. Und das bereits seit zwei Jahren.
Der Telegraph zitiert ein nicht namentlich genanntes Union-Mitglied mit der Aussage, ein solcher Deal passe nicht zum Image der Union, ihrer ehrwürdigen Geschichte und der langen Liste von Berühmtheiten und Würdenträgern, die dort gesprochen hätten: "Es ist ein Zeichen der Zeit", seufzt der indignierte Anonymus. "Noch vor ein paar Jahren wäre so etwas nicht passiert. Und wenn es passiert wäre, hätte es eine stürmische Debatte ausgelöst."
Für eine vornehmlich zu Debattierzwecken gegründete Einrichtung sieht die Oxford Union allerdings erstaunlich wenig öffentlichen Diskussionsbedarf in Sachen Sexshop-Rabatt. Immerhin zeigen die Mitschriften einer Präsidiums-Sitzung vom Januar, dass einige Mitglieder nicht besonders glücklich darüber sind. So mahnte eine Studentin an, der Deal untergrabe die Arbeit von Frauen in der Union und verleihe dieser ein negatives Image. Doch Stuart Cullen, der damalige Union-Präsident, erwiderte laut Protokoll, er sehe kein Problem, da die Mitglieder ja nicht "aktiv dazu ermuntert" würden, den Sexshop aufzusuchen.
Nach außen verteidigt Alistair Walker, Sprecher der Vereinigung, das Übereinkommen als "etablierten Preisnachlass zugunsten unserer Mitglieder". Es sei sogar eine Ausweitung des Rabatt-Programms geplant. Ob diese weitere Sexshops umfasst, ist bisher nicht bekannt.