Das Verschwinden der Hauptschule:Ohne Chance

Man kann zwar Hauptschulen abschaffen, nicht aber den Hauptschüler: An den rudimentären Deutschkenntnissen, der Auflösung der Familien und an Verhaltensstörungen vieler Kinder wird sich nichts ändern.

A. Rühle

Zum Beispiel Freiham. Ein neuer Stadtteil im Münchner Westen, der hinter Neuaubing entsteht. 20.000 Menschen sollen hier in den kommenden Jahren einziehen, man kann auf der Homepage der Stadt München die Bebauungspläne einsehen.

Das Verschwinden der Hauptschule: An Hauptschulen werden seit den neunziger Jahren Etats und Lehrstunden zusammengestrichen.

An Hauptschulen werden seit den neunziger Jahren Etats und Lehrstunden zusammengestrichen.

(Foto: Foto: ddp)

An alles ist gedacht, Altenheim und Sportpark, Kindergärten, drei Grundschulen, Förderzentrum, Realschule, Gymnasium - nur eine Hauptschule fehlt. Nun ist prozentual davon auszugehen, dass bei 20.000 Menschen der eine oder andere doch auf die Hauptschule wird gehen müssen. Auf die telefonische Anfrage beim Schulreferat, warum die denn nicht eingeplant worden sei, heißt es, es gebe ja schon die Hauptschule an der Wiesentfelser Straße, drüben in Neuaubing.

Hauptschulinitiative bleibt PR-Maßnahme

Stimmt. Die gibt es. Nur weiß man dort von nichts. Außerdem platzt diese Schule schon jetzt aus allen Nähten: Die sogenannten Förderlehrer halten ihren Unterricht im Arztzimmer ab, und gerade wird aus akutem Platzmangel der Seminarraum in ein Klassenzimmer umgewandelt.

Aber Moment, das kann doch eigentlich nicht sein, immerhin wurde vor zwei Jahren mit großem Pomp die bayerische Hauptschulinitiative ins Leben gerufen. Damals mietete das Kultusministerium die Festräume von Audi in Ingolstadt und verkündete eine neue Ära: Modularisierung! Profilbildung! Ganztagsschule! Das Ganze wurde eingerahmt mit Blasmusik. "Streichmusik hätte besser gepasst", sagt Elsbeth Zeitler, Konrektorin an der Wiesentfelser Hauptschule.

Da hat sie wohl recht, bei genauerer Betrachtung ist die Hauptschulinitiative letzten Endes eine PR-Maßnahme, mit der im handelsüblichen Neusprech schmerzhafte Einsparungen schöngeredet werden. Beispiel Modularisierung: Auf der Homepage des Kultusministeriums heißt es, Modularisierung bedeute die "gezielte Kompetenzförderung der Schüler in den Kernfächern Deutsch, Mathematik, Englisch sowie im Lernfeld Arbeit - Wirtschaft - Technik."

"Profilbildung": ein Sparprogramm mit katastrophalen Folgen

Das Problem ist nur, es gibt meist kein Geld für diese Modularisierung. Die Hauptschule an der Wiesentfelser Straße kann wöchentlich drei Stunden Modularisierungsunterricht anbieten. Wohlgemerkt nicht jeder Klasse, sondern insgesamt, für alle fünften Klassen.

Auch hinter der großangekündigten "Profilbildung" verbirgt sich eigentlich nur ein Sparprogramm mit katastrophalen Folgen: Bislang hatten die Schüler in der siebten Klasse drei praktische Fächer, nämlich KtB (Kommunikations-technischer Bereich), GtB (Gewerblich-technischer Bereich) und HsB (Hauswirtschaftlich-sozialer Bereich). In der achten wählten sie eines der Fächer ab, in der neunten ein zweites.

In der schönen neuen Welt der Profilbildung müssen sie sich schon Anfang der achten Klasse für nur eines dieser Fächer entscheiden. Sprich: Es werden schlicht Stunden eingespart. Dass es schofel ist, eine solche Einsparmaßnahme als "Profilbildung" zu verkaufen, ist das Eine. Richtig dramatisch wird es aber für die Hauptschüler, die eines der Fächer wählen, das an ihrer Schule nicht mehr zustande kommt. Die müssen dann plötzlich auf eine andere Hauptschule gehen, die weiter entfernt vom Wohnort ist.

Die potentielle Klientel wächst

Schon jetzt verschlingen in ländlichen Gegenden Schülertransporte jährlich bis zu 400 Millionen Euro. Der Betrag dürfte sprunghaft steigen. Und Elsbeth Zeitler geht davon aus, dass dann "20 Prozent von denen gar nicht mehr in der neuen Schule ankommen". Immerhin finden die sich dann wenn auch nicht in guter, so doch in großer Gesellschaft wieder: Schon jetzt verlassen in Bayern Jahr für Jahr mehr als 7000 Schüler die Hauptschule ohne jeden Abschluss.

Nun soll das hier kein verkapptes Plädoyer für die Abschaffung der Hauptschule werden. Die frühere hessische Kultusministerin Karin Wolff trifft schließlich einen Punkt, wenn sie sagt, man könne zwar die Hauptschulen abschaffen, nicht aber den Hauptschüler. Oft wird im Politsprech so getan, als erledigten sich alle Probleme mit der Abschaffung der Institution.

Auf der nächsten Seite: Wie den Schulen immer mehr Verwaltungsaufwand aufgebürdet wird, sodass kaum noch Zeit für die pädagogische Arbeit bleibt.

Der Hauptschüler lässt sich nicht abschaffen

So etwas Ähnliches wie ein Zuhause

Dabei wird sich am Migrationshintergrund, an den rudimentären Deutschkenntnissen, an der Auflösung der Familienstrukturen, an Verhaltensstörungen und Aufmerksamkeitsunfähigkeit vieler Schüler nichts ändern. Im Gegenteil: Die potentielle Klientel wächst. Zeitler und ihr Kollege Jürgen Walther sind denn auch trotz all ihrer Kritik am System nicht für die Auflösung ihrer Schulform: "Für Hauptschüler ist diese Schule doch oft der einzige Ort, an dem sie noch so etwas Ähnliches wie ein Zuhause erleben."

Was aber nicht geht, sind die immer neuen Treueschwüre zur Hauptschule bei gleichzeitiger kontinuierlicher Verknappung der Geldmittel und damit der Lehrstunden. Eigentlich besteht die politische Arbeit in Sachen Hauptschule seit den neunziger Jahren darin, Etats und Lehrstunden zusammenzustreichen.

Mittelschule: der neueste Schrei

Zunächst fiel die Erziehungskunde weg, dann wurden Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde einerseits, Physik, Chemie und Biologie andererseits jeweils zu einem Fach zusammengelegt, wodurch auch wieder Unterricht eingespart werden konnte. Außerdem wurden der muttersprachliche Ergänzungsunterricht und der islamische Religionsunterricht gestrichen.

Gleichzeitig wurde den Schulen immer mehr Verwaltungsaufwand aufgebürdet, sodass kaum noch Zeit für die pädagogische Arbeit bleibt. Und es wird natürlich regelmäßig an das ehrenamtliche Engagement der Hauptschullehrer appelliert. Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, bemerkt dazu: "Maßnahmen, die von engagierten Lehrkräften zum Nulltarif zu bekommen sind, werden umgesetzt, Reformen, die Geld kosten, bleiben dagegen aus."

Schüler werden Opfer der Politik

Der neueste Schrei im Rahmen der Hauptschulinitiative ist nun die sogenannte Mittelschule, mit der Bayerns Kultusministerium die Hauptschule "fit fürs 21. Jahrhundert" machen will: Ab kommendem Jahr können sich alle bayerischen Hauptschulen um diesen Titel bewerben - sofern sie Ganztagsbetreuung anbieten, die oben erwähnten drei berufsorientierenden Zweige vorweisen können und einen sogenannten M-Zug haben, also eine Klasse, in der die besseren Schüler innerhalb der Hauptschule zum mittleren Bildungsabschluss geführt werden.

Ein Drittel der Hauptschulen erfüllt diese Bedingungen. Schön für sie und herzlichen Glückwunsch. Die anderen aber werden endgültig zur Restschule. Bayern hat dann ein viergliedriges Schulsystem. Und die Familien, die nach Freiham ziehen, können ihre Kinder in Neuaubing anmelden, in einer Hauptschule, deren Rektor keine Chance sieht, zur Mittelschule aufzusteigen: "Wir können keinen M-Zug anbieten, unsere Schüler bringen die Vorbedingungen nicht mit."

Letzten Endes kann man Freiham auch als Beispiel dafür interpretieren, wie die Schüler Opfer der Politik werden. Das rot-grüne Bündnis im Münchner Rathaus, das ja zuständig ist für die Planung des neuen Viertels, würde die Hauptschule lieber heute als morgen abschaffen. Da hat es etwas Konsequentes, in einem neu zu bebauenden Stadtteil einfach keine Hauptschule mehr einzuplanen. Die CSU-Regierung aber macht den verbleibenden Hauptschulen mit ihren konfusen Reformen das Überleben schwer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: