Süddeutsche Zeitung

Das neue Abitur in Bayern:Zurück in die Zukunft

Der Ritterschlag der bürgerlichen Bildung: 2011 kommt das neue bayerische Abitur. Einiges wird sich ändern, anderes wird wieder so, wie es früher einmal war.

Christine Burtscheidt

Der Ritterschlag der bürgerlichen Bildung: 2011 kommt das neue bayerische Abitur. Einiges wird sich ändern, anderes wird wieder so, wie es früher mal war.Das Abitur im Wandel der Zeit.

1954-1978

Zahl der Fächer: 1954 wurde die Schulzeit am Gymnasium auf neun Jahre verlängert, nachdem sie während der Nazizeit schon einmal auf acht Jahre verkürzt worden war. In der Oberstufe gab es zwölf Fächer. 1960 führte die sogenannte "Saarbrücker Rahmenvereinbarung" der deutschen Kultusminister zu weniger Pflichtfächern, zur Konzentration des Lernstoffs und einer Vertiefung des Unterrichts. Obwohl es schon damals Kritiker gab, die davor warnten, dass die Schüler nicht mehr genügend Grundbildung bekämen, wurde der Kanon der Oberstufen-Fächer auf neun reduziert.

Wahlmöglichkeiten: Von 1960 an war es möglich, ein Jahr vor dem Abitur ein Unterrichtsfach auslaufen zu lassen und in einem Fach das "Vor-Abitur" abzulegen - also die Prüfung um ein Jahr vorzuziehen. Die Wahlfreiheit war anfangs eingeschränkt und hing vom Schultyp ab. Am humanistischen Gymnasium etwa konnten Schüler in Mathematik das Vor-Abitur schreiben, am mathematisch-naturwissenschaftlichen in Englisch.

Schriftliche Prüfungen: Das Abitur musste schriftlich in fünf Fächern abgelegt werden; für alle Schüler verpflichtend waren Deutsch, Mathematik und Religion. Je nach Schultyp - es gab humanistische Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen - waren die beiden weiteren Abitur-Fächer Latein und Griechisch, zwei Fremdsprachen oder Physik und Chemie.

Mündliche Prüfungen: Sport, damals noch Leibeserziehung genannt, wurde im Abitur verlangt, allerdings zählte es eher als mündliches Fach, die Schüler mussten vorturnen. Darüber hinaus gab es mündliche Prüfungen nur, wenn ein Schüler Gefahr lief, das Abitur nicht zu bestehen; oder wenn er in einem Fach auf der Kippe zwischen zwei Noten stand.

Gesamtnote: Die Abiturnote setzte sich zu gleichen Teilen aus allen Leistungen der Abiturfächer zusammen.

Zahl der Fächer: 1972 beschlossen die Kultusminister, die Oberstufe zu reformieren, um Schüler besser auf ein selbständiges Studium vorzubereiten. Die Klassen wurden aufgelöst und stattdessen Leistungs- und Grundkurse eingeführt. Bayern wechselte flächendeckend 1979 zur Kollegstufe. Sie trug rasch zur Inflation der möglichen Fächer bei. Allein 27 Fächer und Fächerkombinationen standen zur Auswahl, nicht gerechnet die vielen Wahlangebote der Schulen, die ebenfalls in den Status eines Unterrichtsfachs gehoben wurden, wie Dramaturgie, Fotografie oder Instrumentalmusik.

Wahlmöglichkeiten: Die Schüler konnten ihren Stundenplan selbst zusammenstellen. Zwei Leistungskurse waren zu belegen, dazu diverse Grundkurse. Die Wahlmöglichkeiten schienen unendlich zu sein und stießen nur dadurch an eine Grenze, dass kaum einer freiwillig das verpflichtende Minimum von durchschnittlich 31 Wochenstunden überschreiten wollte. Die Wahl der vier Abi-Fächer blieb jedoch eingeschränkt und wurde mit den Jahren immer mehr begrenzt. Hier war jeweils eines aus dem sprachlich-künstlerisch-literarischen, dem gesellschaftswissenschaftlichen sowie dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu belegen. Zu den anfangs beliebtesten Kombinationen zählte Biologie mit Sozialkunde, Englisch und Religion.

Schriftliche Prüfungen: Zur Erleichterung der Schüler wurden nur drei Fächer schriftlich geprüft.

Mündliche Prüfungen: Das vierte Abiturfach wurde mündlich abgefragt und hieß deshalb Kolloquium.

Gesamtnote: Statt Noten gab es nun Punkte. Die Abiturnote setzte sich nach einer komplizierten Formel aus der erworbenen Punktzahl in den Leistungskursen, den Grundkursen und dem Abitur zusammen. Wichtig: Die Schüler schnitten durchschnittlich um eine halbe Note besser ab als vor der Einführung der Kollegstufe.

Zahl der Fächer: Die neue Oberstufe wurde auf Drängen der Hochschulen und der Wirtschaft eingeführt. Sie forderten, den Abiturienten wieder mehr Allgemeinwissen zu vermitteln. So wurden die Leistungs- und Grundkurse abgeschafft und der Klassenverband wieder ins Leben gerufen. Die Fächervielfalt ist jedoch geblieben. Die Schulzeitverkürzung hat übrigens nichts mit der neuen Oberstufe zu tun. Der Zufall wollte es, dass die CSU die Oberstufenreform jahrelang verschleppte, sodass beides nun zusammenfällt.

Wahlmöglichkeiten: Entgegen aller Vermutungen wurden in der neuen Oberstufe die Wahlmöglichkeiten nicht abgeschafft. Von fünf Abiturfächern können Schüler zwei selbst festlegen. Allerdings muss eines davon eine Gesellschaftswissenschaft sein, zum Beispiel Geschichte. Zudem gibt es neben den Pflichtfächern (Deutsch, Mathematik, eine Fremdsprache, Religion, Sport, Geschichte und Sozialkunde) auch Wahlpflichtfächer. Schüler können sich hier zum Beispiel zwischen Physik, Chemie und Biologie oder Kunst und Musik entscheiden. Auch dürfen sie eigene Schwerpunkte in den zwei neuen Seminarfächern zur Studien- und Berufsorientierung setzen. Damit kommen sie laut Kultusministerium wie bisher auf durchschnittlich 31 Stunden Unterricht die Woche. Eltern berichten jedoch von bis zu 38.

Schriftliche Prüfungen: Schriftliche Prüfungen gibt es in Deutsch, Mathe und einem dritten Fach, jedoch auf dem Anforderungsniveau bisheriger Grundkurse.

Mündliche Prüfungen: Schüler werden in zwei Abitur-Fächern mündlich geprüft.

Gesamtnote: Die Note setzt sich zu einem Drittel aus den Abi-Prüfungen und zu zwei Dritteln aus Leistungen in der Oberstufe zusammen. Neu ist, dass mündliche und schriftliche Leistungen gleich gewichtet werden.

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SZ vom 20.01.2010/holz
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