Das Hartz- Konzept:Arbeitslose ohne Familie müssen umziehen

Bescheid wissen, Nachteile vermeiden: Was sich für Arbeitslose ändert.

Wolfgang Büser

(SZ vom 8.1.2003) Am 1. Januar 2003 sind die ersten beiden Gesetze zur Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission in Kraft getreten. Sie sollen vor allem neue Dynamik in die Jobvermittlung bringen und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose erschließen.

Neue Pflichen, neue Rechte

Mit ihnen soll aber auch eingespart werden. Dabei werden alle Beteiligten, Arbeitnehmer, Arbeitslose und Arbeitgeber einbezogen. Auf sie kommen neue Pflichten und Lasten, aber auch neue Rechte zu.

Zumutbarer Umzug: Grundsätzlich gilt ein Umzug zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung für einen Arbeitslosen als zumutbar, es sei denn, ein "wichtiger Grund" stehe dem entgegen. Ein solcher Grund kann sich "insbesondere aus familiären Bindungen" ergeben.

Übersetzt heißt das: Arbeitslosen mit einem berufstätigen Ehegatten, aufsichtsbedürftigen Kindern oder betreuungsbedürftigen Angehörigen ist ein Umzug in aller Regel nicht abzuverlangen.

Für Arbeitslose ohne familiäre Bindungen bedeutet die Neuregelung nicht zwangsläufig, dass ihnen ein Umzug vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an zuzumuten ist. Hier besteht Entscheidungsspielraum für den Vermittler, der eine Prognose dazu treffen muss, ob eine Beschäftigungsaufnahme in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit innerhalb des zumutbaren Pendelbereichs zu erwarten ist. Ist dies der Fall, so wird ein Umzug vom vierten Monat der Arbeitslosigkeit an zumutbar. Bei negativer Prognose muss allerdings vom ersten Tag an Umzugsbereitschaft bestehen.

Neues Sperrzeitrecht: "Versicherungswidriges" Verhalten, etwa eine selbstverschuldete Arbeitsaufgabe oder Arbeitsablehnung, führt dann zu einer Sperre des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe, wenn der Arbeitslose keinen "wichtigen Grund" für sein Verhalten hat. Bei der Frage, ob ein solcher Grund vorliegt, galt bisher der Grundsatz, dass das Arbeitsamt alle Umstände von Amts wegen aufklären und, bei Feststellung einer Sperrzeit, beweisen musste, dass ein wichtiger Grund nicht vorliegt.

Diese "Beweislast" wird nun teilweise auf den Arbeitslosen verlagert. Künftig muss er die für die Prüfung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darlegen und nachweisen, wenn sie in "seiner Sphäre oder seinem Verantwortungsbereich" liegen. Berufen sich Arbeitslose für eine Arbeitsaufgabe oder eine Ablehnung auf persönliche Gründe, so tragen sie das Beweisrisiko.

Zahl der Verstöße wichtig

Die Sperrzeitregelung wird aber auch zugunsten der Arbeitslosen verändert: Bei Sperrzeiten auf Grund einer Arbeitsablehnung, auf Grund einer Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme oder auf Grund des Abbruchs einer Eingliederungsmaßnahme muss das Arbeitsamt jetzt bei der Sperrzeitdauer berücksichtigen, wie oft sich der Arbeitslose bereits versicherungswidrig verhalten hat. Statt bisher zwölf Wochen verkürzt sich die Sperrzeit anfangs auf drei bis sechs Wochen und beträgt erst nach dem dritten Verstoß zwölf Wochen.

Bei der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (Beispiel: unberechtigte Eigenkündigung) bleibt alles beim Alten. Die Dauer dieser Sperrzeit beträgt wie bisher regelmäßig zwölf Wochen.

Schonvermögen sinkt auf 200 Euro: Eine weitere Änderung betrifft die Pauschalregelung zur Berücksichtigung von Vermögen bei der Arbeitslosenhilfe. Bisher gilt hierfür ein Freibetrag von 520 Euro für jedes vollendete Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Ehegatten oder Partners. Dieser Grundfreibetrag wird auf 200 Euro für jedes Lebensjahr des Arbeitslosen oder Partners gesenkt. Aus Gründen des Vertrauensschutzes gelten die neuen Anrechnungsregelungen mit Übergangsfristen.

Wenn durch die verschärfte Anrechnung Sozialhilfebedürftigkeit eintritt, werden die Regelungen - allerdings nur auf Antrag des Arbeitslosen - bis zum 31. Dezember dieses Jahres ausgesetzt. Eine besondere Übergangsregelung gilt für Arbeitnehmer und Arbeitslose, die am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes das 55. Lebensjahr vollendet haben. Für diese Personen gilt auch weiterhin der bisherige höhere allgemeine Vermögensfreibetrag von 520 Euro pro vollendetem Lebensjahr.

Viel früher zum Arbeitsamt: Der Grundgedanke ist nahe liegend. Je früher bei drohender Arbeitslosigkeit die Suche nach einer neuen Beschäftigung beginnt, desto größer sind die Chancen, den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden beziehungsweise die Dauer der joblosen Zeit zu verkürzen. Eine solche Vorsorge im Sinne der Einschaltung des Arbeitsamtes möglichst schon während eines auslaufenden Beschäftigungsverhältnisses ist zwar von Gesetzes wegen bisher schon erwünscht - aber freiwillig und deshalb in der Praxis eher die Ausnahme. Das wird sich nun ändern:

Die Verpflichtung zur "frühzeitigen Arbeitsuche" - so die offizielle Bezeichnung für die neue Meldepflicht - gilt vorrangig für alle beschäftigten Arbeitnehmer, die Beiträge in die Arbeitslosenkasse zahlen. Sie betrifft aber grundsätzlich auch alle anderen Personen, die aus sonstigen Gründen, etwa wegen des Bezuges von Krankengeld, in die Arbeitslosenversicherung einbezogen sind. Ausgenommen sind lediglich Auszubildende in betrieblicher Ausbildung.

Nach dem Gesetz muss die Arbeitsuche unverzüglich nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses beginnen. Für beschäftigte Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich sofort nach Zugang der Kündigung - im Falle eines Aufhebungsvertrages unmittelbar nach dessen Unterzeichnung - beim Arbeitsamt melden müssen; bei befristeten Arbeitsverhältnissen, deren Ende ja von vornherein bekannt ist, genügt nach dem Gesetz eine Meldung drei Monate vor der Beendigung.

"Gemeldet" werden muss grundsätzlich persönlich; eine schriftliche oder telefonische Mitteilung beim Arbeitsamt genügt also nicht.

Arbeitnehmer, die sich in diesem Sinne nicht rechtzeitig melden, ohne dafür berechtigte Entschuldigungsgründe zu haben, müssen bei anschließender Arbeitslosigkeit mit einer drastischen Kürzung ihres Arbeitslosengeldes oder ihrer Arbeitslosenhilfe rechnen.

Für jeden Tag der verspäteten Meldung mindert sich die Arbeitslosenunterstützung: um sieben Euro bei einem Bruttoverdienst bis 1700 Euro monatlich, um 35 Euro bei einem Bruttoverdienst von 1700 bis 3100 Euro, um 50 Euro bei einem Bruttoverdienst von mehr als 3100 Euro.

Nur noch die Hälfte

Die Minderung ist allerdings auf höchstens 30 Verspätungstage begrenzt. Sie wird außerdem nur auf das halbe Arbeitslosengeld oder die halbe Arbeitslosenhilfe angerechnet, so dass immer eine Teilleistung - und damit auch der aus der Zahlung resultierende Sozialversicherungsschutz - erhalten bleibt. Ein Beispiel: Für einen gut verdienenden Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoverdienst von 3500 Euro (Steuerklasse III, ein Kind) und einem Arbeitslosengeld von rund 1508 Euro monatlich bedeutet dies im schlechtesten Fall - bei einer Minderung für 30 Verspätungstage (30 x 50 = 1500 Euro) -, dass er bis zum Verbrauch des Minderungsbetrages, also für etwa zwei Monate, nur Anspruch auf das halbe Arbeitslosengeld hat.

Freistellungsverpflichtungen für Arbeitgeber: Auch Arbeitgeber sollen einen Beitrag zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit leisten. Dieser fällt aber etwas geringer aus, als zunächst vorgesehen. Denn die vom Bundestag beschlossene Gesetzesfassung sah im Gegenzug zur neuen Meldepflicht zunächst eine ausdrückliche Freistellungsverpflichtung für Arbeitgeber mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die freigestellten Arbeitnehmer vor. Diese Regelung wurde aber in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag über eine Einigung zu den Hartz-Gesetzen in letzter Minute gekippt.

Die Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsuche, einschließlich der Kürzung der Arbeitslosenunterstützung bei einer verspäteten Meldung des Jobverlustes, treten erst sechs Monate nach dem allgemeinen Inkrafttreten des Gesetzes, also erst am 1. Juli dieses Jahres, in Kraft. Damit haben die Arbeitnehmer und Arbeitsämter Zeit, sich auf die neuen Regelungen einzustellen.

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