Nachdem die Studenten vor kurzem noch darüber lachten, ob man sich die Credit Points des Europe Credit Transfer Systems (ECTS) nicht auch in Cash auszahlen lassen könnte, müssen sie schon wenige Jahre nach der Einführung der Bologna-Reformen an den Universitäten einsehen: Die Hoffnung, es handele sich um einen von oben implementierten Patzer, der in zehn Jahren wieder korrigiert sein würde, war trügerisch. Die Professoren mögen über die Autonomie des Universitätssystems gegenüber dieser wirtschaftlichen Leistungsmesserei referieren - den Studenten, deren Studienzeit nun mal in dieses Kapitel der Universitätsgeschichte fällt, wird auch der kritische Diskurs über das ECTS in Leistungspunkten ausgezahlt.
Was nicht passt, wird passend gemacht. Die Wahl der Uni-Kurse hängt nur zum Teil von Inhalt und Dozent ab.
(Foto: Foto: dpa)Freund des Alltagsmanagements
Die medial wahrgenommene Strategie in der Auseinandersetzung mit "Bologna" war die öffentliche Demonstration. Daneben aber gibt es auch ein Strategienrepertoire zum Durchlauf des Studiensystems. Neben dem Akademiker, der in seinem Wissensstreben unter der Diktatur des ECTS bluten muss, gibt es auch den studentischen Unternehmer, für welchen Bologna ein Freund des Alltagsmanagements ist. Für viele wiegt die Frage, wie man die Leistungspunkte in die eigene Biographie einwebt, schwerer als jene, wie man Bologna in die Biographie der Universität einordnet. Es ist die Stunde von Virtuosen der Flexibilität und Pünktchensammlerei.
Die E-Mail der Universität mit dem Hinweis auf das neue Vorlesungsverzeichnis ist der Auftakt. Nach dem Ausdrucken geht man, mit Stabilomarkern bewaffnet, ans Werk: Alarmierendes Rot für obligatorische Kurse; neugieriges Gelb für all jene, die sich im Stundenplan überkreuzen und wo eine Entscheidung fällig ist; sanftes Blau für Veranstaltungen, deren Punkte zwar nicht gebraucht werden, die aber einfach interessant klingen oder von interessanten Dozenten angeboten werden.
Platzierung im Alltagscurriculum
Man dankt dem Tool "Persönlicher Vorlesungsplan" auf der Uni-Homepage, der lichtenden Hilfe im Dickicht des Wünschens, Würfelns und Wählens zu Semesterbeginn. Sieht man sich im Vorlesungssaal um, könnte man meinen, dass die immer gezückten Agenden das A und O des erfolgreichen Studierens im Punktesystem ausmachen.
Welche Kurse besucht werden, ist nicht nur eine Frage des Inhalts und des Dozenten, sondern der Platzierung im Alltagscurriculum. Am Anfang des Semesters gelten die Gespräche in der Mensa jedenfalls mehr dieser kalkulierten Einpassung der Kurse als deren Thema. Was nicht passt, wird passend gemacht. Verlängerungen des sechssemestrigen Bachelorstudiums sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Auch die Punkte selbst sind flexibel: Zwar sind sie auf 30 Arbeitsstunden normiert, doch ist der Aufwand, der hinter einem Credit Point steht, reine Interpretationssache. Das Bologna-System hat seinen Ruf als Standardisierungsinstrument nicht verdient.
Variationen im Studiengang
Dass Punkte erlangt werden müssen, ist noch der einzige Konsens. Wie das geschieht, variiert schon innerhalb desselben Studiengangs. Trotz verschärften Lehrplans hat man die Wahl, wie man dem Studium gegenübersteht. Bologna schreibt nicht vor, ob das Interesse wissenschaftlich motiviert ist, oder ob man vor allem mit Blick auf die berufliche Laufbahn studiert. Der Studienalltag ist eingeschränkt, doch nicht diktiert; er lässt Freiheiten, den Studenten jedoch auch nicht allein mit der Materie. Das Resultat dürfte sein, dass verschiedene Studentenleben im neuen System Platz haben, dass zugleich aber der Zusammenhang des Wissens und die Intensität des Kontakts mit dem Wissen sich viel flüchtiger gestalten.
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