Creditpoints an der Uni:Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Virtuosen der Pünktchensammlerei: Wie man im ECTS-Punktesystem erfolgreich studiert und dabei den Lebenslauf optimiert.

Désirée Waibel

Nachdem die Studenten vor kurzem noch darüber lachten, ob man sich die Credit Points des Europe Credit Transfer Systems (ECTS) nicht auch in Cash auszahlen lassen könnte, müssen sie schon wenige Jahre nach der Einführung der Bologna-Reformen an den Universitäten einsehen: Die Hoffnung, es handele sich um einen von oben implementierten Patzer, der in zehn Jahren wieder korrigiert sein würde, war trügerisch. Die Professoren mögen über die Autonomie des Universitätssystems gegenüber dieser wirtschaftlichen Leistungsmesserei referieren - den Studenten, deren Studienzeit nun mal in dieses Kapitel der Universitätsgeschichte fällt, wird auch der kritische Diskurs über das ECTS in Leistungspunkten ausgezahlt.

Creditpoints an der Uni: Was nicht passt, wird passend gemacht. Die Wahl der Uni-Kurse hängt nur zum Teil von Inhalt und Dozent ab.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Die Wahl der Uni-Kurse hängt nur zum Teil von Inhalt und Dozent ab.

(Foto: Foto: dpa)

Freund des Alltagsmanagements

Die medial wahrgenommene Strategie in der Auseinandersetzung mit "Bologna" war die öffentliche Demonstration. Daneben aber gibt es auch ein Strategienrepertoire zum Durchlauf des Studiensystems. Neben dem Akademiker, der in seinem Wissensstreben unter der Diktatur des ECTS bluten muss, gibt es auch den studentischen Unternehmer, für welchen Bologna ein Freund des Alltagsmanagements ist. Für viele wiegt die Frage, wie man die Leistungspunkte in die eigene Biographie einwebt, schwerer als jene, wie man Bologna in die Biographie der Universität einordnet. Es ist die Stunde von Virtuosen der Flexibilität und Pünktchensammlerei.

Die E-Mail der Universität mit dem Hinweis auf das neue Vorlesungsverzeichnis ist der Auftakt. Nach dem Ausdrucken geht man, mit Stabilomarkern bewaffnet, ans Werk: Alarmierendes Rot für obligatorische Kurse; neugieriges Gelb für all jene, die sich im Stundenplan überkreuzen und wo eine Entscheidung fällig ist; sanftes Blau für Veranstaltungen, deren Punkte zwar nicht gebraucht werden, die aber einfach interessant klingen oder von interessanten Dozenten angeboten werden.

Platzierung im Alltagscurriculum

Man dankt dem Tool "Persönlicher Vorlesungsplan" auf der Uni-Homepage, der lichtenden Hilfe im Dickicht des Wünschens, Würfelns und Wählens zu Semesterbeginn. Sieht man sich im Vorlesungssaal um, könnte man meinen, dass die immer gezückten Agenden das A und O des erfolgreichen Studierens im Punktesystem ausmachen.

Welche Kurse besucht werden, ist nicht nur eine Frage des Inhalts und des Dozenten, sondern der Platzierung im Alltagscurriculum. Am Anfang des Semesters gelten die Gespräche in der Mensa jedenfalls mehr dieser kalkulierten Einpassung der Kurse als deren Thema. Was nicht passt, wird passend gemacht. Verlängerungen des sechssemestrigen Bachelorstudiums sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Auch die Punkte selbst sind flexibel: Zwar sind sie auf 30 Arbeitsstunden normiert, doch ist der Aufwand, der hinter einem Credit Point steht, reine Interpretationssache. Das Bologna-System hat seinen Ruf als Standardisierungsinstrument nicht verdient.

Variationen im Studiengang

Dass Punkte erlangt werden müssen, ist noch der einzige Konsens. Wie das geschieht, variiert schon innerhalb desselben Studiengangs. Trotz verschärften Lehrplans hat man die Wahl, wie man dem Studium gegenübersteht. Bologna schreibt nicht vor, ob das Interesse wissenschaftlich motiviert ist, oder ob man vor allem mit Blick auf die berufliche Laufbahn studiert. Der Studienalltag ist eingeschränkt, doch nicht diktiert; er lässt Freiheiten, den Studenten jedoch auch nicht allein mit der Materie. Das Resultat dürfte sein, dass verschiedene Studentenleben im neuen System Platz haben, dass zugleich aber der Zusammenhang des Wissens und die Intensität des Kontakts mit dem Wissen sich viel flüchtiger gestalten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man an der Uni sein Humankapital aufstockt.

Virtueller Unterricht ist ein Witz

In Zeiten der wachsenden Arbeitslosigkeit und der vielen internen Weiterbildungen in Großunternehmen bröckelt die hergebrachte Vorstellung vom Studieren gewaltig. Man vertraut nicht "sich" der Universität an, sondern beauftragt sie mit der Aufstockung des eigenen Humankapitals; das Studium wird zu einem Kapitel unter den Skills, die man bei einem Kick-Off-Event erwähnen wird. Die Universität ließ die Modularisierung des Wissens zu - und damit auch, dass sie selbst zu einem abgekoppelten Modul im Leben der Studenten wird.

Akademische Euphorie

Die akademische Euphorie ist noch in kleinen Seminaren zu Hause, wo direkt mit Dozenten interagiert werden kann - sie sind die Vergewisserung, dass der Durchlauf des Lehrplans überhaupt einen Sinn hat. Gerade in der bürokratisierten Massenuniversität verstärkt sich der übergeordnete, lenkende Status der Professoren. Im Sturm der Digitalisierung von wissenschaftlichen Texten und deren leichterer Zugänglichkeit ist die Führungskraft der Lehrenden vor allem in den ersten Semestern unabdingbar.

Unheimlich wird's, wenn den Studenten nahegelegt wird, einen Kurs von zu Hause aus zu verfolgen, da die Teilnehmerzahl den infrastrukturellen Rahmen sprenge. Solchen Problemen begegnet das ECTS mit seinem Pochen auf schriftliche Leistungsnachweise. Dass akademische Leistungspunkte mehr auf überprüfbaren Ergebnissen denn auf Klassenstunden basieren sollten, hieß es auch im letzten Sommer im Weißen Haus in Washington. Im Rahmen der "American Graduation Initiative" versprach Präsident Obama 500 Millionen Dollar für ein Online-Education-Projekt, wovon nicht die Eliteinstitutionen, sondern die Community Colleges profitieren sollen.

Virtueller Unterricht ist ein Witz

Insbesondere die private Forschungsuniversität Carnegie Mellon in Pennsylvania macht sich mit ihrem Modell der "Hybrid Education 2.0" in dieser Marktlücke breit: In den angebotenen Online-Kursen soll der Stoff mit digitalen Tutoren von zu Hause aus erarbeitet werden. Zu den leibhaftigen Professoren werden die Studenten erst vorgelassen, wenn spezifische Probleme auftauchen. Dass Tests schon ein "effizienteres Lernen" gegenüber dem nichtdigitalisierten Studieren nachgewiesen haben wollen, passt ideal in den Masterplan zur Kostensenkung und Vereinfachung des Zugangs der universitären Bildung; es trifft sich mit Obamas Forderung, bis zum Jahr 2020 die Studentenanzahl um fünf Millionen aufzustocken.

Aus der Sicht der heutigen Studenten ist virtueller Unterricht ein Witz. Woher sollen da noch Begeisterung und Interesse kommen? Standard-Frontalunterricht kennen die Studenten aus ihren Schuljahren; was jedoch akademisches Denken bedeutet, das ist auch mit dem Geruch des Universitätsgebäudes verbunden, mit den Marotten der Professoren und den Reaktionen der Studenten im gemeinsamen Seminargespräch. Tritt jetzt die semivirtuelle Universität in Erscheinung, als Lust- und Sinntöter? Man sollte nicht zu laut darüber lachen, welche ahnungslosen Reformen den Universitäten als nächste abverlangt werden könnten. Vielleicht werden die heutigen reformierten Frischlinge, die das ECTS-Punktesystem durchlaufen, als wäre es schon eine alte Tradition, jene sein, die in zehn Jahren glücklich darüber sind, dass ihre Studienzeit noch vor der Hybrid Education 2.0 stattgefunden hat.

Die Autorin hat an der Universität Luzern Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften studiert.

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