Consulting-Branche:Warum viele Berater einfach immer weiter arbeiten

In kaum einem anderen Beruf mischen noch so viele 60- bis 80-Jährige mit wie bei den Beratern. Doch sie tun das meist nicht wegen des Geldes. Vielmehr fällt es ihnen schwer, die Macht abzugeben.

Christine Demmer

Personalberater Hermann Sendele ist gepflegte 70 und sucht derzeit im Auftrag von René Obermann neue Führungsspitzen für die Deutsche Telekom. Sein Kollege Jürgen Mülder, 74, sagt, dass er sich mit dem Aufhören beschäftige; er denke aber gar nicht daran, wenn ihn ein Auftrag reizt. Michael Hörner, ehemaliger Deutschlandchef der Vergütungsberatung Towers Perrin, machte sich 2002 selbständig und berät mit 66 Jahren Unternehmen mit Wachstums- und Vertriebsproblemen. Wilhelm Friedrich Boyens ist dieser Tage 69 geworden und in Personalfragen nach wie vor Haus- und Hofberater von Konzernchef Arend Oetker. Und Heiner Thorborg, Headhunter aus Frankfurt, will erst nicht sein Alter verraten, tut es dann aber doch ("67") und schiebt flugs hinterher: "Ich bin heute aktiver denn je."

Nachtschicht

Der Gang aufs Altenteil fällt schwer, wenn man Dutzende von Mächtigen in Stellung gebracht, hautnah an ihnen dran war und die strategischen Linien von Corporate Deutschland mitgezeichnet hat.

(Foto: iStock)

Die Alterspräsidentschaft im Verein der grauen Eminenzen hinter den Unternehmenslenkern aber gebührt Rolf van Emmerich, 85. Fast ein halbes Jahrhundert lang versorgte der Headhunter Aufsichtsräte, Vorstände und Unternehmer in der Autobranche mit Führungskräften. Und noch heute soll der Rheinländer, wie Kollegen voller Ehrfurcht weitersagen, für die Volkswagen AG nach Managerköpfen jagen.

In kaum einem anderen Beruf als in dem des Beraters ruckeln noch so viele 60-, 70- und 80-Jährige an den Weichen der Wirtschaft. Die wenigsten ziehen von einem Meeting ins nächste, um ihre Altersrente aufzubessern. Auch Headhunter Hermann Sendele arbeitet nicht des Geldes wegen, bewahre, er sei "finanziell gesetzt", sagt er und lächelt fein. Sein Antrieb ist ein anderer: "Mir macht es Freude, tagtäglich zu erleben, was die deutsche Wirtschaft bewegt und wie Unternehmen gesteuert werden. Und bei all dem ein wichtiges Rädchen im Hintergrund zu sein."

Wer sich nicht mit den Erinnerungen an frühere Strippenziehereien bescheiden mag, hält den Kontakt zu führenden Unternehmern, Managern und Politikern selbst dann aufrecht, wenn er altershalber aus seiner Beratungsfirma aussteigen muss. Bei der Personalberatung Egon Zehnder wird schon mit 62 Jahren der Große Zapfenstreich gespielt. Andere Consultancies komplimentieren Partner und Mitarbeiter mit 65 Jahren in den Ruhestand. Doch der Gang aufs Altenteil fällt schwer, wenn man Dutzende von Mächtigen in Stellung gebracht, hautnah an ihnen dran war und die strategischen Linien von Corporate Deutschland mitgezeichnet hat. Besonders ältere Männer halten sich ja gerne für unersetzlich.

Viele von uns haben über Jahrzehnte für die Klienten die schwierigen Dinge erledigt", sagt Jürgen Mülder ein wenig trotzig, "dieses Vertrauen endet nicht, wenn man 65 ist." Erst vor ein paar Jahren hat er gemeinsam mit einer Handvoll Kollegen eine partnerschaftlich organisierte Personalberatung gegründet. Einerseits, um am Puls der Zeit zu bleiben. Andererseits: Warum sollte man ratsuchende Vorstände und Aufsichtsräte an den Wettbewerb verweisen? Damit die die lukrativen Mandate abgreifen? "Ich bin mit meinen Kunden älter geworden", sagt Jürgen Mülder und liefert damit einen plausiblen Grund, warum die ihn noch immer mit Personalsuchen beauftragen: "Man arbeitet lieber mit Vertrauten zusammen."

Selbstverständlich wühlen die Senioren nicht mehr eigenhändig in Namenslisten und untersuchen nicht die Logik von Prozessschritten. Die Fußarbeit übernehmen Researcher, Partner, Juniorberater und Sekretariate. "Unternehmenschefs suchen den Rat älterer Berater, um die analytische und konzeptionelle Arbeit der Teams zu ergänzen, nicht um sie zu ersetzen", macht Roland Berger, 74, Gründer und Ehrenvorsitzender der gleichnamigen Unternehmensberatung den Unterschied zum Feld-, Wald- und Wiesen-Consultant deutlich. "Sie werden meist mit komplexen Problemen und der persönlichen Beratung von CEOs und Unternehmern betraut."

Weil die heimlichen Stars der Branche ungern auf ihre Hintermannschaft verzichten wollen, arbeitet kaum einer als Einzelkämpfer. Das kann Probleme schaffen, wie Wilhelm Friedrich Boyens, Teilzeit-Headhunter bei Egon Zehnder in Hamburg, einräumt. "Man muss aufpassen, dass man den Nachwuchsberatern die Kundenbeziehung rechtzeitig übergibt. Das ist manchmal nicht leicht, weil man im Laufe der Zeit persönliche Beziehungen entwickelt hat. Man muss sich also zurücknehmen." Das fällt nicht leicht, oder? Boyens lacht: "Ich übe das seit drei Jahren."

Im Grunde freilich sollten gerade Berater das Sich-Zurücknehmen gelernt haben. "Im Hintergrund bleiben, nie über Kunden und Aufträge sprechen, nie damit werben", erklärt Personalberater Sendele die Regeln der Branche, "wer das macht, kickt sich ins Aus." Mit der Einhaltung dieser Regeln täten sich die jüngeren Kollegen schwer, "weil sie dauernd verkaufen müssen und wollen." Schuld daran seien der harte Wettbewerb und die wachsende Konzentration im Beratungsmarkt. "Die großen Organisationen sind austauschbar geworden", bestätigt Heiner Thorborg, die Berater seien ordentliche Consultants, aber keine Persönlichkeiten mehr: "Mit ihrer Company haben sie eine angesehene Marke im Rücken, die ihnen ein bequemes Leben ermöglicht. Und das wollen sie haben."

Während Thorborg auf die nachwachsende Generation hofft, sieht sich Sendele als Teil einer aussterbenden Spezies: "Viele verlassen unsere Branche früh, weil sie ausgebrannt sind oder nicht mehr das Engagement aufbringen, das unsere Tätigkeit voraussetzt. Die Liste derjenigen, über die man nicht mehr spricht, ist sehr lang. Dann bleiben eben nur die drei, vier hängen, die weitermachen."

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