Süddeutsche Zeitung

Clown auf Diplom:Akrobat schöööön!

Auf den Spuren von Marcel Marceau und Charlie Rivel: In Mainz können Fachschüler nach drei Jahren Ausbildung das weltweit einzigartige Clown-Diplom erwerben.

Bernd Kramer

Lachen will gelernt sein, Rolf Mielke erklärt es Schritt für Schritt. "Erst die Schultern heben, sodass der Betrachter gar nicht weiß, was das werden soll." Er macht ein Gesicht wie steinerne Langeweile. Dann reißt er Augen und Mund weit auf und zeigt seine Zähne, das reglose verwandelt sich in ein lachendes Gesicht.

Mit einem Ruck lässt Rolf Mielke die Schultern fallen und schüttelt die Arme. Wie Gummibänder baumeln sie an seinem Körper. Vierzehn Nachwuchsartisten kichern.

Bei Marcel Marceau gelernt

Pantomimeunterricht in der Mainzer Clownschule: Blaue Matten liegen auf den Holzdielen, ein Seil ist gespannt. Auf der Bühne stehen Trommeln und ein Klavier. Rolf Mielke ist ein Pantomime alter Schule, er hat in Paris gelernt, unter anderem bei Marcel Marceau. Mit durchdringendem Blick beobachtet er jede Regung seiner Schüler.

Die Schüler haben Mühe, das Spiel ihres Meisters zu imitieren. Wenn sie wie eine Aufziehpuppe lachen, vergessen sie, die Arme baumeln zu lassen. Wenn ihre Arme hüpfen, vergessen sie zu lachen. "Die meisten Menschen kneifen die Augen beim Lachen zusammen", sagt Mielke. "Wir müssen auf der Bühne aber intensiver lachen." Mund aufreißen! Augen aufreißen! Arme baumeln lassen! Noch mal, bitte.

"Clown-Theorie" lernen

Die Schule für Clowns liegt am Mainzer Stadtrand auf einem ehemaligen Militärgelände. Zwei Jahre dauert die Vollzeitausbildung an der staatlich anerkannten Berufsfachschule. Wer noch ein drittes Jahr anhängt, kann in als Diplom-Clown abschließen, nur hier in Mainz kann man diesen Titel erwerben. Artisten- und Zirkusschulen, Comedy-Lehrgänge und Körpertheaterseminare gibt es auch andernorts.

Doch nirgendwo sonst in Deutschland ist die Ausbildung so umfassend auf die Verwandlung zum Clown ausgerichtet. Auf dem Stundenplan stehen Pantomime, Artistik, Akrobatik, Tanz und Musik - und auch das Fach "Clown-Theorie": Dabei geht es um die soziale Funktion des Clowns, um Geschichte und Philosophie.

Ein so hohes Maß an Professionalisierung ist ungewöhnlich. Der normale Weg zum Clown sei der in einer Zirkusfamilie, sagt Schulgründer Michael Stuhlmiller. Er studierte Musik und arbeitete als Komponist, absolvierte eine Schauspielausbildung und wandte sich nach und nach den Clowns zu.

1994 gründete er die Clownschule. Wer sich für die Grundausbildung bewirbt, muss eine selbst erfundene dreiminütige Szene spielen und es sehr ernst meinen mit seinem Wunsch, Clown zu werden. Idealismus benötigen die Schüler allein schon wegen der Ausbildungskosten: Jeden Monat werden etwa 400 Euro fällig.

Zirkus Roncalli, Cirque du Soleil

Die Berufsaussichten seien aber nicht schlecht, sagt Stuhlmiller. Und er zählt auf: Absolventen arbeiteten im Zirkus Roncalli, im Berliner Wintergarten-Varieté und beim Cirque du Soleil. Auch bei Gala-Abenden könne man als Clown "gut Geld verdienen". Doch eigentlich geht es um Höheres. "Clown wird man nicht, weil man sich mit 30 ein Häuschen bauen will."

Ein Zustand wie Verliebtsein

Marie, 27, gelernte Masseurin, fühlte ihre Berufung nicht auf Anhieb. Eigentlich, sagt die zierliche Frau, sei sie schüchtern, vor Clowns habe sie immer ein wenig Angst gehabt. Bis sie auf einem Sommerfest einen Clown kennenlernte, der auch Seminare anbot. Später schloss sie sich einem Straßentheater an und fuhr auf einem Artisten-Schiff mit. Jan war früher Pfleger und hat mit Behinderten gearbeitet. Es lief gut, er war froh über einen geregelten Beruf - bis er kurz vor seinem 30. Geburtstag ins Grübeln geriet. Will ich das mein Leben lang machen? "Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe gedacht: Ja, ich bin Clown!"

Was ist ein Clown? Michael Stuhlmiller sagt, in dieser Figur komme vieles zusammen: Harlekin und Pierrot, der dumme August, Tölpel und Hofnarr, der Clown mit der roten Nase und der ohne, der Tollpatschige, der Melancholische. Nichts trennt den Clown vom Publikum, es gibt keine vorgegebene Rolle, in die er schlüpfen, keinen Text, hinter dem er sich verstecken könnte. "Clown ist ein Zustand", sagt Stuhlmiller, "so ähnlich wie Verliebtsein".

Im Mittelpunkt der Ausbildung steht das "Wesensjahr": Die Schüler sollen ihren eigenen Typ finden, die Figur, die ihnen entspricht. Der Weg dahin ähnelt eher einer Therapie als Unterricht. Es gibt drei Etappen: die Suche nach dem inneren Kind, dem inneren Tier und nach dem "inneren Dorfdeppen". Später dann, wenn die Schüler nach ihrer Findungsphase zum ersten Mal die Kostüme tragen, die sie sich für ihre Figur ausgesucht haben, sind sie oft überrascht, wie gut sie zu ihnen passen.

Jan hat auf die rote Nase verzichtet und sich für Straßenkleidung entschieden, mit einer grauen Hip-Hop-Kappe und großen Turnschuhen. Marie trägt eine weite Hose mit heraushängendem Bändel. Ihre Rolle: ein verwirrter Clown. Aber nein, korrigiert Marie. Es ist keine Rolle. Sie alle sind ja nun Clowns.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2008
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