Süddeutsche Zeitung

Christine Lüders:Die Frau mit dem abschreckenden Titel

So mancher verdreht heimlich die Augen, wenn er ihren Beruf erfährt: Christine Lüders ist die Antidiskriminierungsbeauftrage des Bundes. Jetzt kämpft sie für die anonyme Bewerbung.

Daniela Kuhr

Christine Lüders macht sich keine Illusionen. "Wenn ich mich einem Gesprächspartner aus der Wirtschaft vorstelle und erzähle, was ich beruflich mache, spüre ich förmlich, wie so mancher heimlich die Augen verdreht", sagt die 57-Jährige. Sie hat dafür sogar Verständnis. "Es hört sich ja wirklich schrecklich an, dieses Wortungetüm." Und dann sagt sie langsam, jedes Wort betonend: "Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes - das klingt so pädagogisch, so erzieherisch. Natürlich fragt sich da mancher: Was will die jetzt von mir? Die Antidiskriminierungs-Tante." Sie lacht.

Trotz des abschreckenden Titels: Als Lüders im vergangenen Jahr gefragt wurde, ob sie die Stelle leiten möchte, zögerte die Pädagogin keine Sekunde. "Ich wusste, das ist das Richtige für mich. Da kannst du was bewegen." Seit Februar ist sie jetzt im Amt - und hat in den sechs Monaten schon mehr vorangebracht als ihre Vorgängerin in drei ganzen Jahren. An diesem Dienstag stellt Lüders der Öffentlichkeit ihr bislang größtes Projekt vor: die anonymisierte Bewerbung.

Fünf Unternehmen und das Bundesfamilienministerium wollen ein Jahr lang in verschiedenen Bereichen anonymisierte Bewerbungen ausschreiben. Eine neutrale Stelle im Haus soll bei eingehenden Bewerbungsunterlagen sämtliche Angaben zu Namen, Alter, Geschlecht und zur Adresse schwärzen sowie ein eventuell beigefügtes Foto entfernen. "Ob der Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, hängt dann allein von seiner Qualifikation ab", sagt Lüders.

Die Idee war ihr gekommen, als sie von einem ähnlichen Projekt in Frankreich gelesen hatte. "Zudem hatten mir Freunde aus den USA erzählt, dass dort schon lange in Bewerbungen auf Fotos und Altersangaben verzichtet wird." Eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit hat gezeigt, dass allein die Angabe eines ausländisch klingenden Nachnamens die Bewerbungschancen verringert. "Das kann nicht gewollt sein", sagt Lüders. "Wir suchen händeringend qualifizierte Mitarbeiter in Deutschland, da können wir uns nicht leisten, auch nur ein einziges Talent zurückzulassen."

Das Thema ist ihr ein großes Anliegen. Und deshalb hat es sie auch geärgert, dass in den Medien zunächst von "einem Pilotprojekt des Bundesfamilienministeriums" die Rede war. "Das Familienministerium beteiligt sich zwar, aber es ist unsere ureigene Idee und unser ureigenes Projekt", stellt Lüders klar. Das ist ihr vor allem deshalb so wichtig, weil sie "parteipolitisch in keine Ecke gedrängt" werden möchte. "Die Antidiskriminierungsstelle arbeitet völlig unabhängig", sagt Lüders, die selbst keiner Partei angehört. "Wir sind zwar räumlich beim Familienministerium angesiedelt, aber ich muss mich mit niemandem abstimmen und nehme keine Weisungen entgegen."

Große Fußstapfen waren es nicht, in die Lüders trat. Ihre Vorgängerin, Martina Köppen, war umstritten. Auch Lüders wurde nicht gerade mit Applaus bedacht, als ihre Ernennung bekannt wurde. Die Grünen merkten damals ironisch an, sie zeichne sich durch fehlende Erfahrung und ihre Nähe zur Union aus. Darauf angesprochen, lacht sie nur. "Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg, ihnen das Gegenteil zu beweisen."

An Erfahrung mangelt es Christine Lüders in der Tat nicht. Das Thema Diskriminierung zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Aufgewachsen in Rüsselsheim, hatte sie schon als kleines Kind engen Kontakt zu den Kindern der Gastarbeiter, die bei Opel beschäftigt waren. Ihr Vater war Rektor einer Schule in Rüsselsheim. "Ihm war wichtig, dass diese Kinder das Gefühl haben, willkommen zu sein." Und deshalb habe er seine Schüler oft zu sich nach Hause eingeladen. "Integration war für ihn ein großes Thema." Das hat Lüders von früh an geprägt.

Nach dem Abitur studierte sie Pädagogik, ging dann aber zunächst in die Wirtschaft. "Ich wollte keine Lehrerin werden, die selbst nie in der Wirtschaft gearbeitet hat", sagt sie. "Wie sollte ich die Schüler sonst aufs Berufsleben vorbereiten?" Es wurden 17 Jahre, die sie bei der Lufthansa blieb, in verschiedenen Positionen, zuletzt als Vorstandsreferentin. Dann wechselte sie zurück ins Lehramt. Die Schule befand sich in einem sozialen Brennpunkt von Frankfurt.

"In meiner Klasse waren zwei deutsche Kinder, alle anderen kamen aus der Türkei, aus Indien, aus Pakistan." Ihr wurde schnell klar, wie wichtig es für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist, "dass alle diese Kinder die gleichen Chancen im Leben bekommen". Danach wechselte Lüders ins hessische Kultusministerium, kurz darauf ins Sozialministerium und schließlich ins Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen. Migranten, Familien, Frauen, Behinderte, Alleinerziehende, Arbeitslose, Homosexuelle, mit all diesen Themen wurde Lüders im Lauf ihrer Karriere konfrontiert. "Und für alle bin ich sensibilisiert worden."

So habe sie sich beispielsweise sehr gefreut "über den Vorstoß der Justizministerin, Homosexuelle bei der Einkommensteuer und beim Adoptionsrecht gleichstellen zu wollen. Das ist dringend nötig." Und doch weiß Lüders, dass sie nicht zu schnell vorpreschen darf. Dass sie Widerstand provoziert, wenn es ihr nicht gelingt, die Menschen mitzunehmen. "Ich will nicht spalten, ich will überzeugen", sagt sie und überlegt kurz. "Ich glaube, so mancher Widerstand aus der Wirtschaft ist in der Sorge vor neuen Gesetzen begründet." Dabei wolle sie gar nicht alles in Gesetze gießen. "Ich will vielmehr daran arbeiten, dass sich das Bewusstsein in der Gesellschaft ändert." Vielen Menschen sei gar nicht klar, wo überall diskriminiert werde. "Wenn ich ihnen dann aber einzelne Fälle schildere, stimmen sie mir sofort zu, dass man dagegen vorgehen muss."

Eine Studie des Sinus-Instituts hat ergeben, dass sich die Mehrheit der Deutschen nicht für die Probleme von Homosexuellen oder Migranten interessiert. Frustriert sie das? Lüders schüttelt den Kopf. "Überhaupt nicht. Es zeigt mir nur, dass noch viel Arbeit vor mir liegt."

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SZ vom 24.08.2010/holz
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