Chinesisch-Unterricht an der Schule:Konfuzius, Kung-Fu und kommerzielle Blüte

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Hingucker im Lebenslauf: Das Interesse an der chinesischen Sprache wächst. Mancherorts finanziert die Wirtschaft den Unterricht.

Miriam Hoffmeyer

Vom Band läuft leise Musik, eine weibliche Stimme zählt: "Yi, èr, san, si!" Im Takt massieren die Schüler die Umgebung ihrer Augen: Augenwinkel, Nasenrücken, Stirn und Wangenknochen. Ein paar Minuten reichen zur Entspannung, dann schaltet die Lehrerin Marion Rath den Kassettenrekorder ab. "In China machen die Schüler zweimal am Tag diese Augenmassage, weil ihr Schultag so lang ist", sagt sie.

Chinesisch-Anfänger haben es schwer. Es dauert etwa doppelt so lange bis sich der Lern-Erfolg einstellt wie beim Englisch-Unterricht. (Foto: Foto: dpa)

Ihre Schüler konnten das selbst überprüfen. Die Elftklässler vom Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar sind gerade von einer dreiwöchigen Chinareise zurückgekehrt, die sie nach Schanghai, Peking und in die Partnerstadt von Marbach, Tongling, führte. Dort lernten sie den Alltag ihrer chinesischer Altersgefährten kennen. "In China ist eigentlich immer Schule, auch samstags", sagt die 17-jährige Anja Seitz. "Und wenn die Schüler nicht in der Schule sind, machen sie Hausaufgaben oder schlafen. Da kann man nicht einfach nachmittags ins Freibad gehen."

zuijin zenmeyang

Trotzdem waren die deutschen Gäste begeistert von dem Programm, das ihnen in der chinesischen Schule geboten wurde. Neben Sprachunterricht gab es Kurse in Kung Fu, Tai Chi, Zeichnen und traditioneller chinesischer Musik. Es war schon die zweite China-Reise von Schülern des Friedrich-Schiller-Gymnasiums, in Zukunft soll alle zwei Jahre eine Fahrt angeboten werden.

Chinesisch-Unterricht wird in Deutschland immer beliebter. An mehr als 80 weiterführenden Schulen - fast ausschließlich Gymnasien - kann man lernen, wie man "zuijin zenmeyang" ("Wie geht es dir?") ausspricht und dass Adverbien immer vor Verben stehen. Nach Angaben des Fachverbands Chinesisch hat sich das Angebot in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.

In den meisten Schulen wird das Fach in Arbeitsgemeinschaften gelehrt; an manchen - wie am Friedrich-Schiller-Gymnasium - hat es den Rang eines Wahlfachs, das sich die Schüler fürs Abitur anrechnen lassen können. In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Thüringen existieren Lehrpläne für das Fach. Nur in vier Bundesländern - im Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt - gibt es bisher überhaupt kein Chinesisch-Angebot.

Zahlenmäßig liegt Baden-Württemberg an der Spitze, dort wird in 20 Gymnasien Chinesisch gelehrt. Arbeitsgemeinschaften an drei Gymnasien im Stuttgarter Raum werden finanziell von DaimlerChrysler unterstützt. Der Konzern begründet das mit seinem Interesse an der Nachwuchsförderung: Künftig würden mehr Führungskräfte mit Chinesischkenntnissen benötigt.

In Bayern steht Chinesisch an 13 Gymnasien auf dem Programm. Das Sankt-Anna-Gymnasium in München war 1963 die erste Schule in Deutschland, die eine Chinesisch-AG ins Leben rief. Im kommenden Schuljahr wird die Sprache dort Wahlpflichtfach. Das heißt: Wer sich in der elften Klasse für Chinesisch entschieden hat, kann das Fach bis zum Abitur nicht mehr abwählen. In Berlin-Reinickendorf steht die einzige deutsche Grundschule, die einen Schüleraustausch mit Peking anbietet. Schon seit acht Jahren wird an der Viktor-Gollancz-Grundschule Chinesisch gelehrt, etwa zehn Prozent der Viert- bis Sechstklässler nutzen das Angebot.

"Der Chinesisch-Unterricht erlebt gerade eine Blüte, das Interesse ist sehr groß", sagt der Präsident der Deutschen China-Gesellschaft, Professor Gregor Paul. Gründe dafür gebe es viele: die Beliebtheit von Kung-Fu-Filmen ebenso wie die Medienberichte über China als Wirtschaftsstandort. "Die Schüler hören überall, das sei die Weltmacht der Zukunft, wobei die Probleme des Landes oft übersehen werden. Auf jeden Fall hat sich der Eindruck festgesetzt, dass die wirtschaftliche Zukunft Chinas glänzend ist. Für viele Jugendliche spielen auch exotische Sehnsüchte eine Rolle - die traditionelle chinesische Kultur stellt sich für sie als Gegensatz zu westlichen Kulturen dar."

Den Schülern des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Marbach, die ihrer vierten Fremdsprache einen Nachmittag pro Woche widmen, gefällt es einfach, etwas zu lernen, was nicht auf dem normalen Stundenplan steht. Sie versprechen sich aber auch berufliche Vorteile - und sei es nur ein Hingucker im Lebenslauf. "Für eine Bewerbung ist das bestimmt nicht schlecht", sagt die 17-jährige Janina Köcher. Sie und ihre Mitschüler lernen seit eineinhalb Jahren Chinesisch und sind schon so weit, dass sie sich auf ihrer Reise rudimentär mit einheimischen Verkäufern und ihren Gastfamilien verständigen konnten. "Ich konnte zum Beispiel sagen: Ich bin satt", sagt Janina. "Das war ein ganz wichtiger Satz!"

Nicht nur wegen der komplizierten Schriftzeichen haben es Chinesisch-Anfänger schwer. Weil das asiatische Idiom für Deutsche eine "distante Fremdsprache" ist, müssen sie zum Lernen viel mehr Zeit und Mühe aufwenden als bei einer "affinen Fremdsprache" wie Englisch oder Französisch. Der Vorsitzende des Fachverbands Chinesisch, Andreas Guder, vermutet, dass Europäer ziemlich genau doppelt soviel Zeit brauchen, um eine definierte Kompetenzstufe in einer asiatischen Sprache zu erreichen wie die vergleichbare Kompetenzstufe in einer verwandten Fremdsprache. Für Guder, der als Juniorprofessor an der Universität Mainz Sinologie lehrt, ist der Mangel an qualifizierten Lehrern das größte Problem des Chinesisch-Unterrichts: "Da wird oft einfach eine chinesische Schülermutter gefragt, ob sie nicht eine AG machen könne."

Längst nicht alle Lehrer sind so gut ausgebildet wie Marion Rath vom Friedrich-Schiller-Gymnasium, die nach ihrem Sinologie-Studium an den baden-württembergischen Bildungsstandards für Chinesisch als spät beginnende Fremdsprache mitgearbeitet hat und auf diese Weise in den Schuldienst gelangt ist. Bisher gibt es in Deutschland keine Möglichkeit, Chinesisch auf Lehramt zu studieren. Das Sinologie-Studium ist traditionell altphilologisch ausgerichtet, die Professoren haben wenig Interesse an Fachdidaktik für den Anfänger-Unterricht. Nach Einführung der neuen, kurzen Bachelor-Studiengänge seien weitere Probleme zu erwarten, klagt Guder. "Ein Anfänger braucht drei Jahre, um die Sprache einigermaßen zu lernen. Danach sollte er für ein Jahr nach China gehen. Und dann kann eigentlich erst das Fachstudium beginnen."

So stehe der Chinesisch-Unterricht vor einem Dilemma, meint Guder: "Wer Chinesischlehrer werden will, müsste die Sprache eigentlich schon in der Schule gelernt haben. Aber dafür fehlen wiederum die Lehrer." In Frankreich sei man viel weiter. Dort wurden bereits genug Lehrer ausgebildet, um demnächst an 200 Sekundarschulen abiturrelevanten Chinesisch-Unterricht anzubieten.

© SZ vom 21.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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