Frage an den SZ-Jobcoach:Muss ich als Vize irgendwann Chef werden?

Der SZ-Jobcoach gibt jede Woche Karrieretipps für Beruf und Bewerbung.

Führungskraft oder nicht? Das ist hier die Frage.

(Foto: Jessy Asmus)

Die Chefin von Christoph B. geht bald in den Ruhestand und möchte ihn als Nachfolger vorschlagen. Dabei hat er eigentlich gar keine Ambitionen.

SZ-Leser Christoph B. fragt:

Ich bin Naturwissenschaftler und arbeite seit vielen Jahren in einem Forschungsinstitut. Dort habe ich seit einiger Zeit die Position des stellvertretenden Leiters. Die Leiterin wird in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen. Vor Kurzem kam sie auf mich zu mit der Frage, ob ich ihr Nachfolger werden möchte, und bot mir für diesen Fall ihre Unterstützung an. Seitdem überlege ich hin und her, ob ich meinen Hut in den Ring werfen sollte. Einerseits reizt mich die Aufgabe, andererseits war ich nie jemand, den es in den Vordergrund drängt. Haben Sie einen Tipp für diese Entscheidung?

Madeleine Leitner antwortet:

Lieber Herr B., der Schritt zur Übernahme der Rolle des Ersten muss gut reflektiert werden - sowohl aus der Perspektive des Betroffenen als auch aus der des Unternehmens. Oft werden Stellvertreter wie Sie erst durch äußere Umstände dazu genötigt, sich mit der Frage zu beschäftigen. Bei Ihrer Entscheidung sollten Sie zwei Faktoren betrachten:

Erstens die externen Rahmenbedingungen in der Organisation. Dazu gehören zum Beispiel die Historie von Besetzungen, die Persönlichkeit und der Führungsstil des Vorgängers und die Akzeptanz des Nachfolgers. Wie es scheint, bestehen in Ihrer eher wissenschaftlich geprägten Organisation derzeit keine großen Konflikte oder wirtschaftlichen Turbulenzen. Dennoch sollten Sie überlegen, wer sonst noch auf die Position spekulieren könnte und was das bedeutet.

Zweitens Ihre Persönlichkeit, Ihre Führungskompetenz und Ihre Motivation. Nicht jeder Mensch ist dafür geboren, eine Führungsrolle zu übernehmen. Einerseits darf der reine Anspruch auf Führung aus falschem Ehrgeiz nicht mit der Eignung für eine solche Rolle verwechselt werden. Andererseits gibt es auch geborene Stellvertreter. Für diese kann der Wechsel an die Spitze auch nach hinten losgehen. Geraten sie nichts ahnend in eine Führungsposition, sind sie zum Scheitern verurteilt. Der Weg zurück gilt als klassischer Karriereknick und ist, wenn überhaupt, nur mit großen Schwierigkeiten zu realisieren.

Neben Risiken birgt ein solcher Schritt für manche Menschen allerdings auch unerwartete Chancen. Manchmal schlummert in ihnen ein ungeahntes Potenzial. Auf den ersten Blick gehören Sie offenbar nicht zu denen, die von sich aus nach vorne drängen. Die Tatsache, dass Ihre Chefin auf Sie zukommt, könnte allerdings bedeuten, dass sie an Ihnen Fähigkeiten wahrnimmt, die Sie selbst verkennen.

Daher sollten Sie sich noch einmal bewusst mit Ihrer Lebensgeschichte beschäftigen. Wie waren Sie als Kind, im Kindergarten, in der Schule oder während des Studiums? Was tun Sie in Ihrer Freizeit? Einer meiner Klienten, bis dato in der Rolle des Zweiten, bemerkte bei dieser Analyse, dass er immer wieder und schon früh Gruppen angeführt und zum Erfolg gebracht hatte. Er war ein typischer Zweiter mit dem Potenzial zum Ersten, das bisher brachgelegen hatte.

Vielleicht stellen Sie aber fest, dass Sie die Übernahme von Verantwortung und das Rampenlicht eher gescheut haben. Auch hier lohnt sich ein zweiter Blick. Bei genauerer Betrachtung fielen meinem Klienten bestimmte biografisch bedingte Hemmnisse auf: ein Verharren in der Rolle als kleiner Bruder oder kleine Schwester; oder als Überflieger, der später mit Neid und Ausgrenzung konfrontiert wurde und deshalb die herausgehobene Rolle scheute. Das kann ein guter Anlass sein, das eigene Selbstbild zu korrigieren.

Geborene Stellvertreter sollten sich allerdings ganz bewusst mit dem Erwartungsdruck von außen oder mit falschem Ehrgeiz beschäftigen und sich nicht zum Karriereschritt verleiten lassen.

Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und lebt als Karriereberaterin in München.

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