Lob oder Kritik, garantiert anonym: Über die Website feedback-fuer-den-chef.de können Mitarbeiter ihren Vorgesetzten kostenlos Rückmeldungen geben. Botschaften wie "Die Arbeit macht bei so viel Druck keinen Spaß mehr" werden häufig übermittelt, aber auch mal ein "Danke für die super Zusammenarbeit!". Betreiber der Website ist der Kölner Führungskräftetrainer und Sachbuchautor Timo Müller. Im Gegensatz zu Arbeitgeberbewertungsportalen wie kununu.de wird die Kritik hier redigiert weitergeleitet.
SZ: Für wen haben Sie die Website eingerichtet?
Timo Müller: Für alle, die keine andere Möglichkeit haben, ihrem Chef ein Feedback zu geben. Viele Vorgesetzte wissen zu wenig über Vorlieben oder Belastungen ihrer Mitarbeiter, obwohl das sehr wichtige Informationen sind. Wenn das Unternehmen sich nicht um das Thema kümmert, bleibt es den Vorgesetzten überlassen, ob sie in Eigeninitiative Feedback von den Mitarbeitern einholen. Das tun viele aber nicht. Es gibt immer noch Führungskräfte, die glauben, kein Feedback nötig zu haben. Andere wollen unbedingt gemocht werden und haben Angst vor Kritik und möglichen Konflikten.
Wenn das Problem so verbreitet ist, müssten Sie ja viele Mails bekommen ...
Eigentlich nicht: Die Seite gibt es seit 2012 und pro Jahr nutzen sie nur etwa hundert Leute aus ganz unterschiedlichen Unternehmen und Branchen, vom Maschinenbau bis zur Pflege. Ich glaube, dass viele sich zurückhalten, weil sie nicht sicher wissen, was mit ihren Daten passiert und ob die Anonymität am Ende gewahrt wird. Andere fürchten vielleicht, dass ihr Chef von selbst darauf kommen könnte, von wem das Feedback stammt.
Wahrscheinlich ist mehr Kritik als Lob dabei, oder?
Etwa drei Viertel der Zuschriften sind negativ, oft sehr zugespitzt. Da schreiben Personen, die etwas an ihren Vorgesetzten dauerhaft stört und die das endlich mal loswerden wollen. Wir empfehlen den Nutzern, lösungsorientiert zu formulieren. Wenn das nicht klappt, redigieren wir den Text, bevor wir ihn weiterleiten. Wenn jemand zum Beispiel schreibt "Sie sind nie da und entscheiden alles allein", dann ist das nicht produktiv. Aber es ist eine klare Ich-Botschaft darin versteckt: Der Mitarbeiter wünscht sich mehr Zeit mit der Führungskraft und will auch besser eingebunden werden.
Und das formulieren Sie dann entsprechend um?
Ja, denn eine rein negative Botschaft ändert nichts, sondern ruft bloß Abwehr hervor. Wenn jemand seine Aggression loswerden und verletzen will, sind wir dafür nicht zuständig. Andere Nutzer geben sich viel Mühe und formulieren ihre Kritik sehr konstruktiv. Das Problem, das am häufigsten angesprochen wird, ist das Kommunikationsverhalten der Vorgesetzten. Das liegt auch daran, dass Kommunikation bei jeder Art von Konflikt eine Rolle spielt. Andere häufige Kritikpunkte sind: Die Mitarbeiter können zu wenig mitentscheiden. Oder umgekehrt: Der Chef delegiert alles und die Mitarbeiter sind überlastet.
Sie leiten ja gar nicht so selten positives Feedback weiter. Warum sagen die Leute das eigentlich nicht persönlich?
In ausgeprägt hierarchischen Strukturen wird auch ein Lob von Mitarbeitern als unpassend empfunden. Vielleicht sind diese Nutzer auch einfach ein bisschen schüchtern, oder sie haben Angst, dass man denkt, sie wollten sich anbiedern. Das Lob möchten sie trotzdem gern mitteilen. Meistens ist das positive Feedback ganz konkret und bezieht sich zum Beispiel auf ein Projekt, das gerade abgeschlossen wurde.
Und wie reagieren die Empfänger ?
Das wissen wir leider nicht. Bei uns ist noch nie eine Rückmeldung dazu eingegangen. Die Adressaten werden gleich am Anfang der Mail darauf hingewiesen, dass es sich um ein persönliches, konstruktives Feedback eines einzelnen Mitarbeiters handelt. Gut möglich, dass an dieser Stelle schon einige wegklicken. Andere Führungskräfte nehmen das Feedback hoffentlich an und nutzen es für sich.