Süddeutsche Zeitung

Familienfreundliche Arbeitszeiten:"Wie immer hat das Mädchen recht"

Angela Merkel und Kristina Schröder lesen den Unternehmen die Leviten: Nicht der Chef, der am längsten im Büro sitzt, ist der Beste. Und überhaupt: Mehr Frauen müssen her.

Guido Bohsem

Kurz nach der Wende war es üblich, dass Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik Vereinbarungen am Runden Tisch trafen. Als das nicht mehr klappte, schloss man Pakte, wie zum Beispiel den Ausbildungspakt. Seit diesem Dienstag gibt es einen neuen Begriff für eine Kooperation der drei Partner. Er heißt "Charta". Das klingt schön und groß, nach Menschenrechten und Freiheit und einer besseren Welt. Die Charta, um die es ging, ist in Wahrheit vier bis fünf Nummern kleiner, nennt sich "Charta für familienbewusste Arbeitszeiten", und sie wurde in der Telekom-Zweigstelle in Berlin unterzeichnet. Gewerkschaftschef Michael Sommer wollte eigentlich kommen, war aber leider verhindert. Das machte aber nichts, weil die Veranstaltung ohnehin zwei Frauen gehörte: Kanzlerin Angela Merkel und Familienministerin Kristina Schröder.

Und so geschah es, dass eine kinderlose Regierungschefin und eine (noch) kinderlose Ministerin den überwiegend männlichen Wirtschaftsbossen ordentlich die Leviten lasen. Es sei zwar erfreulich, so Schröder, was es bislang an familienfreundlichen Arbeitsmodellen gebe. Ausreichend sei das aber noch lange nicht. "Die Arbeit bestimmt immer noch den Takt des Familienlebens", kritisierte sie, und auf der Arbeit herrsche häufig noch die "Präsenzkultur". Viele Chefs in Deutschland hätten immer noch den Eindruck, dass die besten Mitarbeiter diejenigen seien, die am längsten am Schreibtisch sitzen. Immer noch gebe es Besprechungen nach 17 Uhr, obwohl dies nur in Ausnahmen der Fall sein sollte. Und immer noch würden Kurzmitteilungen ins Wochenende oder in den Urlaub geschickt, obwohl dies eigentlich nur in Notfällen erlaubt sein müsse.

Auch Merkel sparte nicht an Kritik an der Wirtschaft. Doch konzentrierte die Kanzlerin sich nicht nur auf das Familienthema. Sie wandte sich dabei auch der Zwillingsschwester der Debatte zu: dem Anteil der Frauen in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft. Es sei, so Merkel, ein "ziemlicher Skandal", dass es in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen nur einen Frauenanteil von zwei bis drei, allenfalls vier Prozent gebe. Über familienfreundliche Modelle hätten in den Unternehmen demnach also vor allem Männer zu entscheiden. "Und das sind oft die, die sich in der Verantwortung für die Familie weggeduckt haben", merkte die Kanzlerin lächelnd an.

Die Wirtschaft habe noch eine Chance, der von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vorgeschlagen Frauenquote zu entgehen. Das sei der Stufenplan von Familienministerin Schröder. Falls nötig, werde Sie sich auch persönlich um die Sache kümmern, rief sie den Unternehmen zu und verband dies mit einer versteckten Drohung: "Je schneller sie kreativ sind, desto weniger müssen wir kreativ werden." Schröder strahlte. Was mit dem Thema, vor allem aber damit zu tun hatte, dass Merkel den Streit zwischen der jetzigen Frauenministerin Schröder und der ehemaligen Frauenministerin von der Leyen nun auch öffentlich zugunsten der ersteren entschieden hat. Entsprechend selbstbewusst unterschrieb die junge Ministerin dann auch die Charta, in der sich Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften dazu verpflichten, familienfreundliche Arbeitszeiten zu schaffen. Merkels Unterschrift war gar nicht erwünscht.

Um der Wirtschaft dieses Ansinnen schmackhaft zu machen, lieferte sie einige Umfragen. So gaben 90 Prozent aller Berufstätigen mit Kindern an, dass ihnen Angebote für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Arbeitgeberwahl zumindest ebenso wichtig sind wie das Gehalt. Gleichzeitig berichten 70 Prozent der Unternehmen von ihren Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden - ein Problem, das in den kommenden zehn, zwanzig Jahren noch größer wird. Denn der gesellschaftliche Wandel mit weniger Kindern und mehr älteren Menschen sorgt dafür, dass pro Jahr 250.000 potentielle Arbeitnehmer verloren gehen. Die Unternehmen müssen also um die besten Mitarbeiter konkurrieren. Deshalb können sie weder Frauen außer Acht lassen, noch die Wünsche ihrer Mitarbeiter nach flexibleren Arbeitszeiten ignorieren. Ideal wären nach Schröders Worten dabei vor allem Arbeitszeitmodelle, die auch 35 oder 25 Wochenstunden zuließen. Bislang werde zu sehr darauf gesetzt, die Leute entweder voll arbeiten zu lassen oder sie auf nur 20 Stunden zu setzen.

Dass die Wünsche der Frauen eine immer größere Rolle spielen werden, machte wiederum die Bundeskanzlerin unmissverständlich klar. Um Merkel anzukündigen, erzählte die Moderatorin von ihren vierjährigen Zwillingen: "Meine Tochter hat mich heute Morgen gefragt: Mama, triffst du jetzt die Chefin von Deutschland? Worauf mein Sohn sagte: Quatsch, sie trifft den Bundestrainer." Merkel trat ans Mikro, lächelte und sagte: "Wie immer hat das Mädchen recht."

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SZ vom 09.02.2011/holz
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