Butler:Die Kunst des Dienens

Butler: "Wenn man von Herzen Dienstleister ist, hat man es in diesem Beruf leichter", sagt Jörg Schmidt.

"Wenn man von Herzen Dienstleister ist, hat man es in diesem Beruf leichter", sagt Jörg Schmidt.

(Foto: Andreas Redekop)

Betrachten, verstehen, Dienst tun - und nicht viel fragen: Das lehrt Jörg Schmidt, er betreibt eine Butlerschule in Bremervörde. Über einen hochkomplexen Job.

Von Thomas Hahn

Einmal war Jörg Schmidt im Schloss eines Uhrensammlers angestellt. In fast allen Gemächern standen oder hingen dort kostbare Uhren. Im ganzen Haus konnte er hören, wie die Zeit verging. Es tickte und tackte. Zur vollen Stunde riefen die Kuckucksuhren, schlugen die Tischuhren, gongten die Standuhren, ehe wieder der ruhige Takt der Sekundenzeiger die Räume erfüllte. Jörg Schmidt stand mittendrin in diesem unendlichen Konzert der Vergänglichkeit. Es faszinierte ihn. Aber es beschäftigte ihn auch. Denn er war ja der neue Butler des Hauses. Zu seinen Aufgaben würde es gehören, die Uhren zu reinigen, sie aufzuziehen, sie zu stellen. Und er würde diese Aufgabe so kenntnisreich und präzise erledigen müssen, als hätte er nie etwas anderes getan. Dabei hatte er von Uhren überhaupt keine Ahnung.

Ein Butler soll nicht zu viel fragen. Er soll betrachten, verstehen, und dann seinen Dienst tun. Das gehört zu den Regeln seines Berufsstandes, die Jörg Schmidt seit zwei Jahren an Anwärter der Luxusdienstleistung weitergibt. 2016 hat Schmidt eine Butlerschule gegründet. Er betreibt sie in Bremervörde, in einem Restaurant am Vörder See. Er folgt damit einem Bedarf. Gerade in Deutschland steigt die Zahl der Superreichen, die qualifizierte Spitzendiener brauchen. Hochpreisige Hotels stellen Butler an, Großfirmen, Kreuzfahrtunternehmen, Fluggesellschaften. Butler sind die Stützen eines elitären Lebensstils. Wer ein Ambiente des Reichtums und des Überflusses herstellen möchte, setzt auf sie. Und weil es nicht viele von ihnen gibt, sind die Aussichten gut. "Ich gebe eine Jobgarantie", sagt Schmidt.

"Es gibt weltweit noch nicht sehr viele Butlerschulen. Doch es werden mehr. Viele Butler sind Quereinsteiger, Schmidt ist auch einer. Er kommt ursprünglich aus dem Hotelfach. Danach machte er eine Ausbildung zum Bank- und Versicherungskaufmann. Als solcher hatte er viel mit Leuten zu tun, die sich einen Butler leisten können. Das inspirierte ihn, er machte sich selbständig, diente in diversen reichen Häusern, machte seine Erfahrungen, wollte diese Erfahrungen weitergeben. Und nun ist er also Butlerschuldirektor.

Schmidt, 50, ist ein leiser, glatt rasierter Mann. Er wirkt auf eine markante Art unscheinbar und passt damit ganz gut in das Bild, das viele vom Butler haben. Kaum ein Beruf ist so wenig verbreitet und doch so bekannt wie der des Butlers. Der Butler ist eine feste Größe in Literatur und Film, eine Symbolfigur für die steife Noblesse der Wohlständigen, für unterdrückte Gefühle und bedingungslosen Gehorsam.

Zwischen vertretbarer Unterwürfigkeit und Selbstaufgabe

Jedes Silvester strahlen die dritten Programme die berühmteste Parodie auf das Butlerwesen aus: "Dinner for One", den Sketch des englischen Komikers Freddie Frinton von 1963. Zum Neunzigsten von Miss Sophie muss der treue Butler James anstelle ihrer verstorbenen Freunde die verschiedenen Geburtstagstoasts durchspielen und tut dies, bis sich seine würdevolle Contenance in Volltrunkenheit auflöst. Zuletzt inszenierte der Regisseur Oskar Roehler die Kunst des Dienens in der Komödie "Herrliche Zeiten", in welcher der Butler Bartos sagt: "Die Menschen heutzutage können weder dienen noch befehlen. Fürs Gehorchen sind sie zu groß, fürs Herrschen zu klein." Und die kritische Seite hat wohl am einfühlsamsten der Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro beschrieben - in seinem Roman "Was vom Tage übrig blieb", der von der Selbst- und Weltvergessenheit des Butlers Stevens erzählt.

Fiktion? Klischee? So einfach macht es sich Jörg Schmidt nicht. Als Butler wandelt man auf dem Grat zwischen vertretbarer Unterwürfigkeit und Selbstaufgabe. Schmidt würde das nie leugnen, schon gar nicht in der Schule. "Wir sprechen viel über Grenzen", sagt er. "Man muss wissen, wann es zu weit geht", sagt Schüler Sebastian Banhardt, 23. "Man darf sich nicht einfach hergeben und nur dienen", sagt Schüler Benedikt Christleid, 18, "man soll seinen Stolz bewahren".

"Leute erwarten, dass wir uns mit allem auskennen"

Am Anfang war der Butler in wohlhabenden Haushalten zuständig für den Weinkeller. Erst ab dem 17. Jahrhundert bekam er mehr Aufgaben und entwickelte sich zum angesehenen ersten Diener seiner Damen und Herren. Und heute? Eine normale Millionärsfamilie unterhält nicht mehr einen ganzen Hofstaat für die Arbeiten in Haus, Küche und Garten. Sie lässt vor allem ihren Butler machen - oder ihre Butleresse, denn die Zeiten sind vorbei, in denen der Beruf Männern vorbehalten war. "Wir sind Eventmanager, Gesellschafter, Chauffeure, Kindermädchen", sagt Schmidt, "die Leute erwarten, dass wir uns mit allem auskennen." Die achtwöchigen Kurse an seiner Butlerschule sind deshalb so etwas wie die Vorbereitung auf alle Eventualitäten in der kleinen, verrückten Welt des Wohlstands.

Pro Kurs nimmt Schmidt bis zu fünf Schüler. Die Teilnehmer zahlen 13 450 Euro, dafür bekommen sie Unterkunft, Verpflegung, eine maßgeschneiderte Butleruniform - und ein straffes Programm: Die Schüler erlernen Grundkenntnisse in Haushaltsmanagement, moderner Küchentechnik, Getränke-, Speise- und Zigarrenkunde, Tier-, Garten-, Automobilpflege sowie Pflege erlesener Materialien, Tischkultur und vieles mehr. Sie arbeiten zur Probe im Restaurant, feilen mit Schauspielern am Auftreten und mit Kunstlehrern am Allgemeinwissen, damit sie die Bilder und Möbel an ihrem Arbeitsplatz zu schätzen wissen.

Ein Butler zeigt keine Anstrengung, keine Hektik, keine Launen. Er erfüllt seine Pflicht mit geräuschloser Selbstverständlichkeit. Und er sagt nicht Nein. Er kümmert sich. Wenn er etwas nicht weiß, macht er sich schlau. Jörg Schmidt erzählt, dass ihn mal eine Hausherrin bat, Zigaretten für sie zu holen. Er wusste ihre Marke nicht. Trotzdem besorgte er die richtige - nach einem Blick in den Hausmüll. Auch im Haus der Uhren gab Schmidt sich keine Blöße. Er las Bücher. Er wandte sich an Experten. Bald wusste er, wie er mit den kostbaren Uhren umgehen musste.

Schmidt mag dieses stille Wettrennen um die Zufriedenheit der anderen. "Wenn man von Herzen Dienstleister ist, hat man es in diesem Beruf leichter", sagt er. Ein Butler muss hinter den Bedürfnissen der anderen verschwinden können. Aber nicht ganz, sonst wird die Disziplin zu einer Pose der Gleichgültigkeit.

In "Was vom Tage übrig blieb" versieht der Butler Stevens seinen Dienst, während sein Lord Darlington mit den Faschisten sympathisiert. "Ich höre nichts", sagt er später. Er funktioniert nur.

Die Grenzen des Gehorsams - sie beginnen bei Ausbeutung oder Konflikten mit dem Gesetz. Oder doch schon früher? Der Butler soll ein unpolitisches Wesen sein, lehrt Schmidt. "Bestimmte Themen sind ein No-Go. Flüchtlingspolitik zum Beispiel. Da gibt es ja geschickte Wege zu sagen, dass das jetzt nicht Gegenstand des Gesprächs sein sollte." Aber ist nicht gerade Flüchtlingspolitik ein Thema, bei dem man als aufgeklärter Mensch einen Standpunkt haben sollte? Auch als Butler? Zum Beispiel, wenn ein Dienstherr ausländerfeindliche Sprüche macht?

Banhardt und Christleid verziehen keine Miene bei der Frage. Sie tragen Jeans und T-Shirt, trotzdem strahlen sie schon diese kühle, butlerhafte Ruhe aus. "Man regelt das, indem man den richtigen Arbeitgeber auswählt. Oder durch weghören", sagt Christleid. "Ich würde erst mal weghören", sagt Banhardt. "Ist die persönliche Grenze überschritten, würde ich schauen, dass ich woanders hingehen kann."

Schmidt ist zufrieden mit den Antworten. Christleid und Banhardt sind seine einzigen Schüler im Sommerkurs, sie haben ihn verstanden. "Eine Haltung zu der Tätigkeit ist wichtig." Schmidt selbst war meistens bei rücksichtsvollen Leute. Andere hatten Wünsche, für die er Nerven, Fantasie und besondere Kontakte brauchte: Picknick für zehn binnen einer Stunde zum Beispiel, ein Luxuszimmer am Gardasee zur Hauptreisezeit binnen eines Tages. Einmal musste er sogar laut werden, bei einem Baron, dessen Ansprüche maßlos waren. "Man sollte zu seinen moralischen Prinzipien stehen." Jörg Schmidt ist Verfechter einer radikalen Höflichkeit. Vornehmes Schweigen gehört dazu, weghören auch. Aber ein wirklich guter Butler wird nie nur funktionieren.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Jörg Schmidt betreibe in Bremervörde die erste Butlerschule Deutschlands. Das ist nicht korrekt und wurde entsprechend korrigiert.

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