Nachwuchssorgen:Busfahrer verzweifelt gesucht

Double decker bus mass transit in Berlin

Auch Doppeldecker wie dieser in Berlin reichen nicht, um der Menschenmassen Herr zu werden. Die Verkehrsbetriebe suchen nach Fahrern - und immer mehr auch nach Fahrerinnen.

(Foto: Moment Open/Getty Images)

Verkehrsbetrieben und Fernbus-Unternehmen gehen die Fahrer aus. Nun werben sie auch um Nachwuchskräfte, die bisher kaum in dem Beruf gearbeitet haben.

Von Marco Völklein

Ihren beiden Kindern, 13 und 18 Jahre alt, hat Svetlana Pfeffer beigebracht, möglichst nicht im Bus zu telefonieren. Neulich hatte sie den Jüngsten auf dem Handy angerufen. "Ich sitz' grad im Bus", hatte der nur kurz geflüstert, erzählt Svetlana Pfeffer. Und dann rasch aufgelegt. "Es ist wirklich störend, wenn da ständig jemand hinter einem telefoniert", sagt die 38-Jährige. Und das wissen nun auch ihre Kinder.

Svetlana Pfeffer ist Busfahrerin in Ulm. Seit 2009 steuert sie für die Stadtwerke ein 17 Tonnen schweres Gefährt durch die 120 000-Einwohner-Stadt. Steigt mal wieder ein Fahrgast mit Handy am Ohr bei ihr ein und setzt sich dauerquasselnd auf den Platz hinter ihr, ruft Pfeffer schon mal resolut nach hinten: "Könnten Sie bitte leiser telefonieren? Vielen Dank!" Und dann ist meistens auch wieder Ruhe im Bus.

Svetlana Pfeffer ist eine der wenigen Frauen, die sich für den Beruf entschieden haben. Noch ist der Fahrdienst von Männern dominiert. Wer an einem Freitagmittag in den Dienstraum der Ulmer Verkehrsbetriebe am Ehinger Tor schaut, der sieht dort vor allem: Herren mittleren Alters. Das aber könnte sich in den nächsten Jahren ändern. Kommunale Verkehrsbetriebe wie private Omnibusbetreiber versuchen, mehr Frauen für den Beruf zu begeistern.

Denn die Branche braucht Nachwuchs. Viele der bundesweit 103 000 Busfahrer werden nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) in den kommenden Jahren in den Ruhestand wechseln. Außerdem wächst auch der seit 2013 liberalisierte Fernbusmarkt weiter. Allein beim Branchenführer Flixbus stiegen im vergangenen Jahr europaweit 40 Millionen Fahrgäste zu, zehn Millionen mehr als 2016.

Vor allem aber werden kommunale Verkehrsbetriebe in großen Städten in den nächsten Jahren ihr Angebot teils massiv ausdehnen - unter anderem, um den steten Zuzug in die Metropolen aufzufangen. In München etwa plant die Verkehrsgesellschaft MVG zahlreiche Express-Buslinien, um die jetzt schon aus allen Nähten platzende U-Bahn zu entlasten. Zusätzliche Busspuren entlang größerer Straßen sind in der Diskussion, neue Fahrzeuge bereits bestellt. Noch aber fehlen: die Fahrer.

Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schätzt, dass allein die öffentlichen Busbetreiber bis 2030 etwa 15 000 bis 20 000 Fahrer gewinnen müssen. Manch ein Firmenchef räumt ein, dass dies "durchaus eine herausfordernde Aufgabe" sein wird. Mit der Kampagne "Beweg was - werd Busfahrer" versucht der BDO, bundesweit junge Leute für den Beruf zu begeistern - und lässt da zum Beispiel den Busfahrer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft aus dem Berufsleben berichten. In Bayern werben die Personalverantwortlichen der MVG zusammen mit ihren Kollegen der kommunalen Nahverkehrsbetreiber aus Aschaffenburg, Erlangen und Ingolstadt auf einer gemeinsamen Internetplattform um Nachwuchs.

"Es gibt vielleicht auch bequemere Arbeiten"

Doch an der Situation seien die Unternehmen nicht ganz unschuldig, sagt Mira Ball von der Gewerkschaft Verdi. Kommunale wie private Busbetreiber hätten die Ausbildung über Jahre vernachlässigt. Vielmehr noch: Wegen des wirtschaftlichen Drucks galt in vielen kommunalen Betrieben Einstellungsstopp, Firmen gliederten den Fahrbetrieb in Tochtergesellschaften mit einem Gehaltsniveau aus, das teils deutlich unter dem der kommunalen Mutterbetriebe lag. In Ulm traten Pfeffer und ihre Kollegen vor etwa vier Jahren in einen längeren Arbeitskampf, um höhere Löhne zu erstreiken. Nun verdienen die Fahrer etwa 16 Euro die Stunde. Vor Jahren noch lag ihr Verdienst bei knapp über zehn Euro. Auch andernorts kämpften Beschäftigte für eine bessere Entlohnung. Im bundesweiten Schnitt verdient ein Fahrer aktuell laut Verdi etwa 13,50 Euro.

Doch mit mehr Geld allein ließen sich kaum genügend Fahrer finden, glaubt Verdi-Funktionärin Ball. Viele Fahrer klagten zum Beispiel über ständig wechselnde Schichtdienste, auch an Sonn- und Feiertagen, und knapp kalkulierte Pausen. Ein großes Ärgernis sind laut Ball auch die "geteilten Dienste", die anfallen, weil Fahrer vor allem zu den Hauptverkehrszeiten gebraucht werden. In Ulm zum Beispiel hat Busfahrerin Pfeffer Tage, an denen sie von sieben Uhr morgens bis 10.30 Uhr arbeitet. Dann hat sie zwei Stunde Pause, fahren muss sie erst wieder von 12.30 bis 13.30 Uhr. Und schließlich dreht sie eine dritte Runde hinter dem Steuer: von 14.50 bis circa 19.15 Uhr. Ein langer Tag, der sich so über mehr als zwölf Stunden zieht.

Die kurzen Pausen dazwischen könne kaum ein Fahrer richtig nutzen, kritisiert Ball. Wer etwa weiter weg wohnt, der bummle die Zeit mehr oder weniger sinnlos meist in der Innenstadt ab. "Und bezahlt werden nur zehn Stunden", ergänzt Pfeffer. Zugleich betonen Firmenvertreter, dass man sehr wohl bereit sei, bei der Dienstplangestaltung auf die Wünsche der Beschäftigten einzugehen. "Gerade für Frauen, die eine Teilzeitbeschäftigung suchen, kann der Fahrdienst interessant sein", erklärt der Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer (WBO).

Belastend sei aber auch der mitunter rüde Ton mancher Fahrgäste, sagen viele Beschäftigte. Mancher Passagier nutzt das Fahrpersonal bei Störungen als Blitzableiter - auch weil oft kein anderer Ansprechpartner mehr zur Verfügung steht, wie Betriebsräte beklagen. Im Reiseverkehr sind Fahrer oft "Mädchen für alles" und "Alleinunterhalter", heißt es beim WBO. "Es gibt vielleicht auch bequemere Arbeiten", räumt selbst BDO-Präsident Karl Hülsmann ein, und dass es schwierig ist, junge Leute für den Beruf zu begeistern. Zumal mit dem Ende der Wehrpflicht auch die Bundeswehr als einstige "Fahrschule der Nation" wegfiel. Dort konnten jährlich Tausende den Bus- oder Lkw-Führerschein kostenlos machen - und danach als Kraftfahrer anfangen. Deshalb klagen neben Firmen der Busbranche auch viele Speditionen über einen eklatanten Fahrermangel.

Im Großen und Ganzen aber mag Pfeffer ihren Job - trotz der vielen Baustellen in Ulm und dem immer dichteren Verkehr. "Ich wollte schon immer große Autos fahren", erzählt sie. Als Spätaussiedlerin kam sie Mitte der Nullerjahre nach Deutschland. Schon als Kind habe ihr Vater sie verbotenerweise in Kirgisistan mit einem Lkw herumfahren lassen. "Das hat mir damals sehr großen Spaß gemacht."

In ihrem erlernten Beruf als Friseurin wollte sie dann in Deutschland nicht mehr arbeiten, also schulte sie um zur Busfahrerin. Und als solche genießt sie es nun, dass in einer Großstadt wie Ulm bei Schneefall der städtische Winterdienst ausrückt und die Straßen räumt. Auf dem flachen Land müssten sich die Kollegen oft über verschneite und vereiste Straßen kämpfen. Nur eines stört sie: "Wer mehr Frauen für den Beruf gewinnen will", sagt Pfeffer, "der muss ein Problem angehen." So müssten überall im Busnetz Toiletten errichtet werden. "Männer tun sich da eindeutig leichter."

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