Süddeutsche Zeitung

Burnout:Stillstand im Hamsterrad

Das Risiko an Burnout zu erkranken, nimmt dramatisch zu. Besonders gefährdet sind die engagierten Mitarbeiter, die mit Spaß bei der Arbeit sind.

Nicola Holzapfel

David Ruß arbeit viel. Zu viel, vielleicht. Tag für Tag kommen mehr als zehn Stunden zusammen. Danach eilt er nach Hause zu seiner jungen Familie. Dort wird häufig gestritten, weil er soviel Zeit im Job verbringt. "Ich fühle mich wie fremdbestimmt", sagt der 38-Jährige, der den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, nur noch hinterherhechelt. Er ist müde, ausgelaugt. Vielleicht schläft er einfach zu wenig. Vielleicht steht er aber auch kurz vor dem Burnout. Hilfe sucht er deswegen nicht.

Für Michael Zaudig von der Psychosomatischen Klinik in Windach bei München könnte Ruß, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ein typischer Fall werden. "Burnout-Patienten fühlen sich wie im Hamsterrad. Sie kommen da nicht heraus - bis es zu spät ist", sagt der Klinik-Chef. Wenn sie den Weg zu ihm gefunden haben, sind sie schon ein Häufchen Elend.

Zaudig beobachtet mit Sorge, dass die Burnout-Fälle "extrem zunehmen". Daten, die das schwarz auf weiß belegen, gibt es noch nicht. Einen Anhaltspunkt bieten Erhebungen über die Krankheitsbilder der Deutschen. Burnout fällt als Depression unter die psychischen Erkrankungen - und die haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Auch mehrere Studien über die Arbeitssituation in verschiedenen Berufen deuten darauf hin, dass das Risiko auszubrennen, sehr hoch ist.

Ulf Kieschke vom Lehrstuhl für Psychologie der Uni Potsdam sagt, dass vor allem Beschäftigte in sozialkommunikativen Tätigkeiten gefährdet sind. Am höchsten ist das Burnout-Risiko in Berufen, wo ein hohes Maß an Idealismus nötig ist und intensive persönliche Zuwendungen zum Alltag gehören. Wie eine Studie der Uni zeigt, haben die Lehrer im Berufsvergleich die höchste Erkrankungsrate. 60 Prozent zeigen Anzeichen von Burnout. Aber auch Mitarbeiter in Sozialämtern, Polizisten, Erzieher, Pflegepersonal in Kliniken trifft es überdurchschnittlich häufig.

Zunehmend erwischt es sogar die Ärzte selbst, weiß Klinik-Chef Zaudig.

Bei Existenzgründern ist fast jeder Zweite akut gefährdet wie die Studie der Uni-Potsdam zeigt. Ihnen gelingt es häufig nicht, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen. Viele Selbstständige neigen zudem dazu, sich permanent zu überfordern, sagt Kieschke.

Die Tendenz zur Selbstausbeutung lässt sich jedoch auch in Unternehmen beobachten. Beschäftigte in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, zum Beispiel mit befristeten Verträgen, setzen sich massiv selbst unter Druck. Sogar unter den Festangestellten steigt die Burnout-Gefahr. Mangelhafte Arbeitsbedingungen wie Zeitdruck und zu hohe Arbeitsbelastung führen dazu, dass sich fast jeder Zweite abends leer und ausgebrannt fühlt. 40 Prozent haben sogar Schwierigkeiten, sich in der Freizeit wieder richtig zu erholen. Das zeigt eine Umfrage von "Inqa", einer Initiative für gute Arbeit von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Arbeitgeber müssten diese Ergebnisse alarmieren. Denn an Burnout erkranken gerade die Leistungsträger, die besonders motiviert sind und alles für die Arbeit geben. "Es trifft vor allem Beschäftigte, die gerne arbeiten und viel Energie in ihren Beruf stecken", sagt Zaudig. Besonders gefährdet seien "engagierte Persönlichkeiten, die besonders fleißig und leistungsorientiert sind."

Der Weg in den Burnout ist ein regelrechter Verschleißprozess. Am Ende steht die Diagnose "Erschöpfungs-Depression". Die Betroffenen fühlen sich lustlos, schlapp und antriebslos. Sie haben Konzentrationsstörungen und häufig auch körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen. Wenn sie nach Hause kommen, wollen sie sich nur noch hinlegen und ihre Ruhe haben. "Sie sehen keine Sinn mehr, indem, was sie tun und fragen sich: Warum mache ich das eigentlich alles?", sagt Psychotherapeut Zaudig.

Burnout-Kandidaten sind im wahrsten Sinne des Wortes "ausgebrannt". Sie reagieren zynisch auf ihre Umgebung und sind nicht mehr fähig, den täglichen Anforderungen gerecht zu werden.

Wen es erwischt hat, der muss regelrecht erst einmal wieder zur Besinnung kommen. "Man muss den Patienten aus seinem Umfeld nehmen und ihm die Möglichkeit geben, auf sich selbst zu achten, zu sich zu finden und sich zu fragen: Was will ich eigentlich?", sagt Zaudig. Viele müssten erst ihre Lust auf das Leben neben der Arbeit wieder entdecken. Vier bis sechs Wochen dauert es, bis aus einem Burnout-Fall wieder ein einsatzfähiger Arbeitnehmer wird. Bestenfalls hat er in dieser Zeit gelernt, anders mit Belastungen umzugehen und auch mal "Nein" zu sagen.

Klinik-Chef Zaudig befürchtet, dass der Burnout-Boom noch anhalten wird. Gerade die seit Jahren niedrigen Krankenstände machen ihn skeptisch. "Wer weiß, wie viele von den angeblich Gesunden nicht schon einen versteckten Burnout mit sich herumtragen und Angst haben, sich krank zu melden", sagt Zaudig.

Gerade die Gefährdeten beugen dem Ausbrennen nicht rechtzeitig vor. David Ruß müsste sich dafür erst einmal fragen, ob er das Zeug zum Burnout mitbringt und dann bewusst gegensteuern: "Sport, Entspannungstraining, Freundschaften pflegen, Unterstützung von der Familie einholen", zählt Zaudig auf.

Auch für Arbeitgeber, denen an der Einsatzfähigkeit ihrer Beschäftigten gelegen ist, hat Zaudig einen Rat parat. "Arbeitstage von mehr als acht Stunden sind aus physiologischer Sicht unproduktiv. Wer von seinen Mitarbeitern 100 Prozent Leistung will, muss dafür sorgen, dass sie sich erholen können - und sie rechtzeitig nach Hause schicken."

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