Burn-out-Experte im Gespräch:"Viele halten das Tempo nicht mehr aus"

Die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz steigen, unter Beschäftigten macht sich Erschöpfung breit. Werner Fürstenberg und sein Team helfen, wenn der Druck auf Arbeitnehmer zu groß wird. Und sie ermahnen die Arbeitgeber: Auch sie können Burn-out-Erkrankungen ihrer Mitarbeiter verhindern.

Sibylle Haas

Werner Fürstenberg, 59, leitet seit 1989 das Fürstenberg-Institut in Hamburg. Er betreibt "externe Mitarbeiterberatung". Das heißt, Firmen kaufen seine Dienstleistung ein und bieten sie ihren Mitarbeitern kostenlos an. Die können sich bei beruflichen, gesundheitlichen und persönlichen Problemen anonym an das Institut wenden. Bezahlt wird pauschal: Drei bis vier Euro je Mitarbeiter muss die Firma im Monat berappen, und zwar für alle Beschäftigten - egal, ob sie den Service nutzen oder nicht. Mehr als 100 feste und freie Mitarbeiter arbeiten für das Fürstenberg-Institut, darunter viele Ärzte, Sozialwissenschaftler und Therapeuten. Sie unterstützten im vergangenen Jahr etwa 6000 Menschen.

Burn-out-Experte im Gespräch: Wer die Arbeit von Beschäftigten wertschätzt, wird eine leistungsstarke Belegschaft haben, sagt Werner Fürstenberg.

Wer die Arbeit von Beschäftigten wertschätzt, wird eine leistungsstarke Belegschaft haben, sagt Werner Fürstenberg.

SZ: Herr Fürstenberg, gibt es heute wirklich mehr psychisch belastete Arbeitnehmer, wie die Statistiken nahelegen?

Werner Fürstenberg: Die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz sind in der Tat gestiegen. In den vergangenen 20 Jahren hat die Geschwindigkeit in der Arbeitswelt so stark zugenommen wie noch nie. Viele halten das Tempo nicht mehr aus. Wir sind im Übergang von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft und daher mental viel stärker belastet als vor 20 Jahren.

SZ: Ist es also die Schnelligkeit, die uns krank macht?

Fürstenberg: Ja. Immer mehr Beschäftigte fühlen sich unter Zeitdruck. Sie müssen in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten. Die Arbeitsdichte hat massiv zugenommen. Wir erleben doch täglich, dass wir permanent erreichbar sein müssen. Wir sind mit unseren Blackberrys und Smartphones rund um die Uhr verfügbar und müssen eine Flut von E-Mails bewältigen. Deshalb ist es wichtig, dass man Prioritäten setzt. Das haben wir aber weder in der Schule, noch in der Ausbildung gelernt. Auf diesen Lernprozess hat sich unser Bildungssystem leider noch nicht eingestellt.

SZ:Und wer soll uns das beibringen?

Fürstenberg: Unternehmen müssen im eigenen wirtschaftlichen Interesse die Mitarbeiter bei diesen Veränderungsprozessen begleiten. Firmen müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter mental widerstandsfähiger werden. Es lohnt sich, in die Gesundheit der Mitarbeiter zu investieren, denn nur gesunde Mitarbeiter sind leistungsfähig.

SZ: Das klingt nett. Aber wie erkennt ein Vorgesetzter, dass ein Mitarbeiter auf dem Weg ist, krank zu werden, und was kann der Chef dann tun?

Fürstenberg: Führungskräfte brauchen Lebenserfahrung und gesunden Menschenverstand, um wahrzunehmen, dass sich Mitarbeiter in ihrer Persönlichkeit oder in ihrem Arbeitsverhalten ändern. Sie sind aber oft sehr unsicher, ob und wie sie das ansprechen sollen. Wichtig ist, in der Rolle des Vorgesetzten zu bleiben. Sie könnten sagen, ich mache mir in letzter Zeit Sorgen um Sie. Wenn es Ihnen gesundheitlich oder persönlich nicht gut geht, lassen Sie uns überlegen, wo Sie Hilfe bekommen können. Dazu gehören Respekt und Achtung vor dem Mitarbeiter, aber auch die Courage, ihn auf seine Auffälligkeiten anzusprechen.

SZ: Das kann man doch niemandem beibringen, so etwas lernt man im Elternhaus oder gar nicht mehr.

Fürstenberg: Natürlich gibt es Vorgesetzte, die tun sich da schwer, weil sie es nie gelernt haben. Doch man kann Führungskräfte dafür sensibilisieren, etwa in Seminaren und Workshops. Immerhin müssen sie dafür sorgen, dass ihr Laden läuft. Und dazu gehört, dass jeder Mitarbeiter seinen Beitrag zur Gesamtleistung bringt. Leistung einzufordern und den Mitarbeiter zu fördern, ist eine sehr gute Mischung.

"Die klassischen Führungsmodelle reichen nicht mehr aus"

SZ: Haben wir eine gute Führung in deutschen Unternehmen?

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"Viele halten das Tempo nicht mehr aus": Werner  Fürstenberg behandelt Arbeitnehmer, die an Burn-out erkrankt sind.

(Foto: iStock)

Fürstenberg: Darüber kann man durchaus diskutieren. Man bekommt jedenfalls keine guten Vorgesetzten, wenn man ihnen lediglich einige Führungsmethoden vermittelt. Gute Führung ist eine Frage der Grundhaltung. Es geht darum, welches Menschenbild jemand hat und wie er mit seinen Mitarbeitern umgeht.

SZ: Man braucht nur das richtige Menschenbild, und alles wird gut?

Fürstenberg: So einfach ist es natürlich nicht. Aber die klassischen Führungsmodelle, bei denen es nur um kognitives Wissen geht, reichen eben nicht mehr aus. Die Mitarbeiter spüren sehr schnell, ob das Verhalten ihres Vorgesetzten authentisch ist oder nicht. Sie merken, ob er sich irgendetwas angelesen hat oder durch eigene Anschauung handelt. Wir wissen eigentlich alle, wie man auf zivilisierte Art mit Menschen umgeht. Deshalb ist die Grundhaltung so wichtig. Und das heißt, eine wertschätzende Kultur im Unternehmen zu schaffen.

SZ: An welchen Werten sollen sich Vorgesetzte orientieren?

Fürstenberg: Die wichtigsten Werte sind Respekt und Achtung vor den Menschen. Wenn man die Leistung der Mitarbeiter wertschätzt, dann werden sie mit Freude an die Arbeit gehen. Einem Unternehmen geht viel Geld verloren, wenn seine Mitarbeiter demotiviert und unzufrieden sind. Und das werden sie, wenn sie das Gefühl haben, ihre Arbeit wird gar nicht wahrgenommen. Unternehmen sind aber zunehmend auf leistungsstarke Mitarbeiter angewiesen. Deshalb lohnt es sich, etwas für die Mitarbeiter zu tun.

SZ: Was denn zum Beispiel?

Fürstenberg: Vorgesetzte sollten es ihren Mitarbeitern ermöglichen, den Arbeitsalltag selbst zu gestalten. Wenn Beschäftigte das Gefühl haben, dass ihr Handeln Auswirkungen hat und dass Leistung registriert wird, dann werden sie sich für ihre Arbeit verantwortlich fühlen. Sie werden also versuchen, möglichst gut zu sein. Was will ein Unternehmen mehr?

Krisen gehen vorbei

SZ: Was raten Sie Menschen, die zu Ihnen kommen und sagen, ich fühle mich den Anforderungen nicht mehr gewachsen?

Fürstenberg: Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch die Ressourcen hat, um seine Schwierigkeiten selbst zu lösen. Wir verstehen uns als Moderatoren, damit der Mitarbeiter selbst zu einer guten Lösung kommt. Erfreulicherweise kommen auch Mitarbeiter zu uns, die sagen, "wenn ich so weiter mache, dann bekomme ich ein Burn-out". Diese Mitarbeiter übernehmen für sich selbst Verantwortung. Ihnen kann häufig sehr schnell geholfen werden. Aber wir haben es auch zunehmend mit Mitarbeitern zu tun, die unter Depressionen und anderen schweren psychosomatischen Erkrankungen leiden und in eine klinische Behandlung vermittelt werden müssen.

SZ: Sind die Deutschen ein Volk von Erschöpften?

Fürstenberg: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Doch deutsche Arbeitnehmer gelten ja als besonders fleißig und perfektionistisch. Es ist in der Tat so, dass wir in unserer Beratungspraxis viel mit dem Phänomen der Erschöpfung, also mit Burn-out, zu tun haben.

SZ: Wie können sich Arbeitnehmer gegen diesen negativen Stress wappnen?

Fürstenberg: In turbulenten Zeiten sollte sich jeder vor Augen führen, dass Krisenzeiten vorübergehen und dass man auch früher schon schwierige Situationen gut gemeistert hat. Krisen gehören zum Leben und lassen Menschen wachsen.

SZ: Was kann der Einzelne tun, um fit und auf der Höhe der Zeit zu bleiben?

Fürstenberg: Er muss herausfinden, was für eine Persönlichkeit er ist, welche Stärken er hat und wofür sein Herz brennt. Am wichtigsten ist aber, eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Die meisten geben 80 Prozent ihrer Energie in Arbeit, das ist ungesund. 60 Prozent reichen auch.

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