Süddeutsche Zeitung

Burn-out bei Aufsteigern:Wenn die Beförderung krank macht

Von einem Projekt zum nächsten: Aufsteiger in der IT-Branche sind besonders gefährdet, einen Burn-out zu erleiden. Aber auch Berufsanfänger gehören zur Risikogruppe.

Nicolas Zeitler

Wer auf der Karriereleiter eine Stufe nach oben nimmt, freut sich normalerweise: über den persönlichen Erfolg und über mehr Gehalt. Für Aufsteiger in der IT-Branche hat das Weiterkommen allerdings nicht selten einen hohen Preis. Viele Beschäftigte im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die in eine bessere Position gelangen, leiden unter Erschöpfung - und sind Burnout-gefährdet. Anne-Katrin Krempien, Ärztliche Direktorin bei der Deutschen Telekom, beobachtet, dass diese Mitarbeiter oft unter besonders hoher Belastung stehen. Wer zur Führungskraft aufsteige, müsse sich "erst in seiner neue Rolle finden", sagt die Betriebsärztin.

Was sie aus Erfahrung weiß, belegen die Ergebnisse des Forschungsprojekts DIWA-IT. Außer der Telekom haben daran sechs weitere Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationstechnik-Branche teilgenommen. Die Befragungen der Wissenschaftler unter anderem vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen zeichnen ein Bild, das die Arbeit in der IT-Branche nicht eben als gesundheitsfördernd erscheinen lässt.

Von den 331 Befragten in allen beteiligten Firmen können laut eigener Aussage nur 29 Prozent nach der Arbeit problemlos abschalten. Dass sie ihre Arbeit auf Dauer durchhalten, glauben nur 37 Prozent der IT-Experten. Beide Werte haben sich im Vergleich zu Befragungen 2001 und 2005 deutlich verschlechtert. Nach der Arbeit abschalten zu können, war beispielsweise vor neun Jahren noch für jeden Zweiten kein Problem.

Von einer "verschärften Belastungssituation" schreiben die Arbeitswissenschaftlerin Anja Gerlmaier und ihre Kollegen im Studienbericht. Wer in einem IT-Unternehmen arbeitet, ist demnach heute stärker aufreibenden Tätigkeiten ausgesetzt als noch vor wenigen Jahren. Statt selbstbestimmt zu arbeiten, würden die Angestellten zunehmend verplant. Viele Kunden verlangten, dass sie Probleme binnen kürzester Fristen lösen. Aus Sicht von Betriebsärztin Krempien machen unter anderem technische Entwicklungen die Arbeit immer komplexer. Das sei auch außerhalb der IT-Branche festzustellen.

Was allerdings speziell diesen Wirtschaftszweig angeht, identifizierten die Wissenschaftler des IAQ neben Aufsteigern weitere Risikogruppen, denen der Arbeitsstress besonders zusetzt. Hoch beansprucht sind auch Projekteinsteiger, also vor allem Berufsanfänger, die ohne Erfahrung in Projekten eingesetzt werden. Hoch beansprucht bedeutet, dass die Arbeitsbelastung bei ihnen zu deutlicheren Symptomen führt als bei anderen. Sie sind zum Beispiel gereizt oder fühlen sich seelisch erschöpft.

Von den Angestellten, die einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit in Kundenunternehmen verbringen, gehören sogar zwei Drittel zu den hoch Beanspruchten. Diese mobilen Beschäftigten bilden damit eine weitere Risikogruppe. "Projektmitarbeiter, die keine feste Anbindung an ein Team und an einen ortsfesten Arbeitsplatz haben, können belastende Faktoren nicht durch soziale Unterstützung von Führungskräften und Kollegen ausgleichen", sagt Krempien.

Sie hat zudem festgestellt, dass Mitarbeiter, die an mehrere Führungskräfte berichten, unter hoher Spannung stehen. Diese Angestellten benennt die IAQ-Studie als vierte Risikogruppe. Als Diener mehrerer Herren müssten sie ihre Arbeit nach den Anforderungen aus ganz unterschiedlichen Projekten planen, heißt es in dem Bericht.

Führungskräfte, die gleich mehrere Projekte verantworten, sind schließlich die fünfte Gruppe von IT-Mitarbeitern, die besonders Burnout-gefährdet sind. Vier von fünf dieser sogenannten Multi- Projektmanager zeigen den Arbeitswissenschaftlern zufolge Symptome hoher Beanspruchung.

Was die Beschäftigten von IT-Unternehmen beeinträchtigt, sind vor allem Arbeitsunterbrechungen und Zeitdruck. Mehr als jeder Zweite nannte diese Faktoren. 41 Prozent fühlen sich gestresst, wenn sie Schwierigkeiten damit haben, sich neues Wissen anzueignen. 36 Prozent belastet ungeplanter zusätzlicher Arbeitsaufwand.

Nach Meinung der Wissenschaftler ließe sich die Gesundheit der Mitarbeiter schon deutlich verbessern, wenn der Arbeitsalltag anders gestaltet würde. Um die Diskussion darüber anzustoßen, veranstalteten sie in den beteiligten Firmen Workshops. Der Münchner Standort von T-Systems etwa, der Geschäftskundensparte der Telekom, entwickelte das Projekt "Erfolgsfaktor Gesundheit". Es soll zunächst bis Mitte 2011 laufen.

Ärztin Krempien sagt, DIWA-IT habe zwar keine vollkommen neuen Erkenntnisse zu Tage befördert. Schon vorher habe es im Konzern ein Bewusstsein für Arbeitsstress gegeben. Eine Sprecherin der Telekom erklärte, man habe dennoch an dem Projekt teilgenommen, um über mögliche Belastungen der Mitarbeiter auch wissenschaftlich aussagekräftige Erkenntnisse zu erhalten. Deutlich wurde dabei offenbar, dass der Konzern mehr für die Gesundheit seiner Beschäftigten tun kann. Fortan gibt es unter anderem Coachings für Teams, deren Mitglieder an verschiedenen Orten arbeiten.

Außerdem gehören zum Programm Workshops, in denen die Mitarbeiter erfahren, mit welchen Verhaltensstrategien sie Krisen überwinden können. Ein Schwerpunkt ist auch die Arbeitsgestaltung, wie Telekom-Sicherheitsingenieur Wilfried Heilmann erklärt: Wenn neue Arbeitsabläufe gestaltet werden, sollen die betroffenen Mitarbeiter künftig stärker eingebunden werden. Alle bestehenden Prozesse sollen zudem daraufhin überprüft werden, wie sie sich auf die Gesundheit der Mitarbeiter auswirken.

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SZ vom 18.09.2010/holz
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