Bundesweiter Bildungsstreik:Elite und Unterschicht

Schüler und Studenten im bundesweiten Bildungsstreik: Mitorganisator Felix Heinze über soziale Auslese, verängstigte Professoren und die Angst vor Straßenschlachten.

Julia Bönisch

Zehntausende Schüler und Studenten befinden sich seit Montag dieser Woche im Bildungsstreik. Felix Heinze, der in Frankfurt Politologie, Islamwissenschaften und europäische Ethnologie studiert, ist Mitorganisator des Ausstandes: Der 26-Jährige ist für die bundesweite Vernetzung von Schulen und Universitäten zuständig und erklärt, welche Ziele die Demonstranten mit ihren Aktionen verfolgen.

Bundesweiter Bildungsstreik: Bildungsstreik: Die Polizei löst in Gießen eine Straßenblockade von Studenten auf.

Bildungsstreik: Die Polizei löst in Gießen eine Straßenblockade von Studenten auf.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Heinze, wenn die Müllabfuhr streikt, quellen die Mülltonnen über, die Städte stinken und jeder ist genervt. Aber wen stört es, wenn Schüler und Studenten im Ausstand sind?

Felix Heinze: Natürlich haben unsere Aktionen nicht die Wirkung eines Streiks der Müllabfuhr. Unser Ziel ist es aber, Aufmerksamkeit für unsere Anliegen zu bekommen, und das erreichen wir durchaus.

sueddeutsche.de: Welche Ziele verfolgen Sie?

Heinze: Wir kämpfen für ein gerechteres Bildungssystem von der Kita bis zur Uni. Wir brauchen in Deutschland mehr Betreuungsplätze für Kleinkinder und mehr Erzieherinnen, außerdem muss das Aussortieren in der vierten Klasse der Grundschule aufhören. Es kann doch nicht sein, dass so früh im Leben eines Kindes entschieden wird, ob es später zur Elite gehören wird oder zur Unterschicht zählt. An den weiterführenden Schulen wird zudem viel zu oft Frontalunterricht gemacht. Wir wenden uns auch gegen das verkürzte Gymnasium und fordern mehr Mitbestimmung an Schulen.

sueddeutsche.de: Wie steht es an der Universität mit der Bologna-Reform, der Umstellung auf Bachelor und Master?

Heinze: Diese Reform ist völlig verkorkst, von den hehren Zielen ist rein gar nichts mehr übrig. Wir fordern, dass der Bachelor künftig vier Jahre dauert - so, wie es international üblich ist. Zudem muss jedem Bachelorstudenten auch ein Master-Studienplatz zur Verfügung stehen. Heute darf ja längst nicht jeder seinen Master machen.

sueddeutsche.de: Das sind viele Forderungen für völlig unterschiedliche Bereiche des Bildungssystems. Werden die Demonstrationen nicht mit Themen überfrachtet - und ist es wirklich sinnvoll, dass Schüler und Studenten gemeinsam protestieren?

Heinze: Wir hätten sogar gern die Auszubildenden einbezogen, aber das hat leider nicht so gut geklappt. Im Grunde genommen haben doch alle Bildungsbereiche mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück, Drittmittel wie Studiengebühren erhalten einen immer größeren Stellenwert. Das darf nicht sein: Bildung ist die Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben, deshalb muss sie wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

sueddeutsche.de: Welche Aktionen planen Sie?

Heinze: Am Mittwoch gehen Schüler und Studenten in mehr als 70 Städten auf die Straße, wir rechnen mit 150.000 bis 200.000 Teilnehmern. Am Donnerstag finden außerdem Aktionen des zivilen Ungehorsams statt: Wir werden symbolisch Banken überfallen, Hörsäle besetzen und Universitätsverwaltungen lahmlegen.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, es wird Ihnen gelingen, so viele Schüler und Studenten zu mobilisieren? Die meisten Jugendlichen gelten als unpolitisch und nicht engagiert.

"Der Druck auf Lehrer und Professoren ist gestiegen"

Heinze: Ja, aber das ändert sich langsam. In den vergangenen Jahren waren Schüler und Studenten schier erschlagen von den zahlreichen Reformen und der Masse an Problemen. Viele wussten nicht, wo überhaupt mögliche Ansatzpunkte sind. Hinzu kommt, dass es auch nicht das Ziel unseres Bildungssystems ist, junge Leute dazu zu erziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Doch jetzt formiert sich eine neue Bewegung - spätestens seit der Finanzkrise ist sehr deutlich, welche Probleme unsere Gesellschaft hat.

sueddeutsche.de: Wie reagieren Lehrer und Professoren auf die Proteste?

Heinze: Natürlich äußern sich einige negativ, aber die Mehrheit bestärkt uns und macht uns Mut. Schließlich leiden Lehrer und Dozenten genauso unter den Missständen im Bildungssystem. Doch viele sagen das nicht öffentlich - aus Angst. Schließlich ist auch der Druck auf das Personal gestiegen: Die Professoren etwa müssen um Forschungsgelder und Stellen konkurrieren. Da werden viele vorsichtig.

sueddeutsche.de: Kritik kommt auch aus Ihren eigenen Reihen: So hat die Schülerunion vorhergesagt, dass nun auch in Berlin Autos brennen würden - und ein hartes Einschreiten der Polizei gefordert. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten verlangt Ideen und Konzepte statt Randale.

Heinze: Das sind plumpe Parolen. Wir werden in eine Schublade gesteckt, ohne dass diese Leute sich wirklich mit unseren Zielen und Inhalten auseinandersetzen. Unser Ziel ist nicht, dass irgendwo Autos brennen. Zustände wie in Frankreich wollen wir nicht haben. Wir bekommen auch ohne Straßenschlachten genug Aufmerksamkeit für unsere Sache.

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