Bundeswehr wird in Schulen aktiv:Alleinunterhalter in Uniform

Die Bundeswehr schickt verstärkt Jugendoffiziere in den Unterricht - zum Entsetzen vieler Eltern. Geht es um politische Bildung oder die Rekrutierung von Nachwuchs?

Johann Osel

Die Jungen in der Schulklasse schauen ein bisschen skeptisch, einige nuscheln etwas in ihre Flaumbärte. Sie hatten wohl mehr erwartet, einen Panzer auf dem Schulhof vielleicht oder zumindest einen schneidigen Offizier, der herrisch brüllt und die Hacken zusammenschlägt. Von den Mädchen ist anfangs gar nichts zu hören, nur ein glucksendes Kichern, als der athletische junge Mann vorne an der Tafel ein paar Dinge über sein Privatleben sagt und von seiner Lebensgefährtin samt anstehender Hochzeit spricht. Vorne steht: Hauptmann Thorsten Schlich, 31 Jahre alt, Jugendoffizier der Bundeswehr, Diplom-Pädagoge, leger im Sommerhemd mit Dienstabzeichen, leicht hinkend, den kleinen Zeh hat er sich beim Fußballspielen gebrochen. Er soll, so wurde es vorher mit dem Politik-Lehrer der zehnten Klasse am Gymnasium Rheinbach bei Bonn vereinbart, berichten über die Aufgaben der Bundeswehr, Sicherheitspolitik, Afghanistan.

Wehrdienst Bundeswehr Schule

Politische Bildung oder Nachwuchswerbung? Die Bundeswehr wird verstärkt in Schulen aktiv.

(Foto: ddp)

Dass diese Themen pubertierende Teenager nicht unbedingt vom Hocker reißen, weiß Schlich. Doch es ist sein Job als Jugendoffizier und, wie man schnell merkt, auch seine Passion. "Nicht alle mit der Globalisierung einhergehenden Umwälzungen sind für den Außenstehenden offensichtlich", heißt es in der Broschüre der Offiziere. "Gerne erstellen wir Ihnen für Ihr Tätigkeitsfeld ein maßgeschneidertes Informations- und Bildungsangebot." Schlich macht dieses Angebot, Dutzende Male pro Jahr.

"Ach, hallo Thorsten, du hast ja heute deinen Auftritt", hatte ihn der Rheinbacher Schulleiter am frühen Morgen begrüßt. Für Schlich ist dieser Termin ein Heimspiel, er kennt jeden Winkel des Gymnasiums - vor elf Jahren hat er hier selber sein Abitur gemacht. Als Schülersprecher musste er sich damals Kritik anhören, da der stählerne Basketballkorb, den er für den Pausenhof anschaffen ließ, der teuerste in allen Schulen und Jugendeinrichtungen weit und breit war. "Die anderen sind inzwischen längst kaputt, unserer hängt immer noch", sagt der Soldat. Verlässlichkeit eben, ein Wert, den Schlich schätzt.

Fakten schätzt er auch und die will er an diesem Vormittag erst mal bei den Schülern abklopfen. Wer denn das Recht habe, deutsche Truppen in einen Einsatz wie in Afghanistan zu schicken, fragt er die Klasse. Das macht er immer - und immer tappen die Schüler in die Falle. Nach Antworten wie Bundeskanzlerin und Verteidigungsministerium erklärt der Hauptmann schließlich, was eine Parlamentsarmee ist. Schlich steht vor der Klasse, er weiß nicht so recht, wohin mit seinen Händen, stellt Fragen, auf die sich meist nur ein Schüler vorne links meldet. Aufgaben und Struktur der Bundeswehr, der Unterschied zwischen Taliban und al-Qaida, eine Übersicht über die Krisenherde dieser Welt, über Flüchtlingsströme, über Wasserknappheit. "Der schnellste Weg, um über eine Sache klarzuwerden, ist das Gespräch", wird der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt in der Broschüre der Jugendoffiziere zitiert. Schlich bleibt an diesem Tag mehr oder weniger Alleinunterhalter.

In Deutschland gibt es 94 Jugendoffiziere wie Schlich, ein flächendeckendes Netz existiert schon seit Jahrzehnten, doch in letzter Zeit ist zu beobachten: Die Bundeswehr drängt immer stärker in die Klassenzimmer. Jüngst haben die Kultusminister von fünf Ländern mit der Bundeswehr Abkommen geschlossen, mit denen die Armee offiziell Bildungspartner wird, in einigen anderen wird derzeit intern daran gearbeitet: für Vorträge, für Lehrer-Schulungen oder auch Exkursionen in Kasernen. Nach Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und dem Saarland wurde nun auch in Bayern die Bundeswehr in den "pluralen sicherheitspolitischen Dialog an Schulen" offiziell eingebunden, wie es nach der Unterzeichnung der Kooperation zwischen Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) und einem Generalmajor vermeldet wurde. Die Vereinbarung sei "ein Angebot an die Gesellschaft". Rekrutierungszwecke seien damit nicht verbunden.

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