Die Auftritte der großen Möbelhersteller und ihrer Designer auf der Fachmesse wirken übrigens immer ein wenig akrobatisch gespreizt. Einerseits wollen sie keinesfalls in den Ruch von Kantinenplan- und Stempelkarten-Tristesse geraten. Andererseits sind die Aufträge der Büro- und Objektausstattung weiterhin die lukrativsten in der Möbelbranche. 600 Stühle und Schreibtische, die eine Firma en gros für ihren neuen Standort ordert, muss man im Wohnbereich sehr mühsam einzeln verkaufen. Man versucht also in Köln immer progressiv, aber trotzdem für den Durchschnittschef verständlich die Zukunft zu möblieren.
Es waren diesmal auch auffällig viele namhafte Designer da - als Botschafter der Büro-Revolution sozusagen. Vitra, der Branchenprimus aus der Schweiz, demonstrierte seine Innovationsfreude dann auch mit einer ganzen Messehalle, wo eine futuristische "Work"-Ausstellung aufgebaut war. Bei deren Durchquerung hatte man allerlei Assoziationen (Atelier, Fitnessstudio, Dachterrasse, Open-Air-Kino), musste aber nie an die eigene Teeküche denken. Die renommierten britischen Produktdesigner Edward Barber und Jay Osgerby erklärten in der Vitra-Pressekonferenz, welche Orte ihnen als Vorbild für das neue Büro vorschweben: urbane Hotellobbys oder Airport-Lounges.
Im Eingangsbereich des coolen Ace Hotels in London-Shoreditch jedenfalls hätten sie beobachtet, wie Menschen arbeiten und gleichzeitig Teil einer inspirierenden Umgebung sein können. Den Schreibtisch im Büro halten die beiden Designer deshalb für ähnlich entbehrlich wie einst das separate Esszimmer im Eigenheim. Die Arbeitsgewohnheiten und technologischen Möglichkeiten hätten sich nun mal verändert. Und eine moderne Hotellobby spiegele genau das sehr gut: Kaffee trinken, sich unterhalten und Termine absolvieren; Mails schreiben, die Plätze beliebig wechseln und von der Umgebung in Schwingung versetzt werden - all das passiere dort bereits.
Deswegen stellte das Designerduo in Köln ein Bürosofa namens "Soft Work" vor, das vom Ruheort zur Arbeitsstation samt Strom, Bildschirm und Ablagetischen hochgerüstet werden kann. Und das vor allem zwangloses Lobby-Flair und kreatives Herumsitzen unterstützen soll. Die Multicouch!
Der Bürothron soll weg
Noch wilder war das Szenario, das Stardesigner Konstantin Grcic ein paar Meter weiter ausgetüftelt hatte. Sein "superflexibles Büro" war eigentlich ein unstrukturierter (man kann auch sagen: unaufgeräumter), weitgehend leerer Raum, bereit dafür, immer neu und für jeden Anlass bestückt zu werden. "Ähnlich wie eine Turnhalle, die ja für eine Vielzahl an Aktivitäten konfigurierbar ist", erklärte Grcic. Sein neuer "Rookie"-Bürostuhl macht dieses fragmentierte Büro ganz gut begreifbar: ein Stuhl, dessen Radikalität darin besteht, dass er simpel ist und reiner Sitz. Gegenentwurf zu Hightech-Bürostühlen, die in der Vergangenheit zu grotesken Ergonomie-Maschinen aufgemotzt wurden und damit das Bürohocken bis weit nach Feierabend zelebrierten. Der kleine Rookie lässt dagegen eher an volatile Arbeitshocker in Schulen oder Werkstätten denken. Kein Bürothron, sondern eine schnelle Sitzgelegenheit für jeden, der sie braucht.
Natürlich, die Messe mit ihren Zukunftskonzepten sagt noch wenig über den Ist-Zustand in deutschen Büros. Um die Fortschritte vor Ort zu erleben, muss man sich die aktuellen Arbeiten eines Büroausstatters wie zum Beispiel der Firma Designfunktion ansehen. Aus dem Münchner Unternehmen wurde in den vergangenen Jahren ein Vordenker in Sachen neuer Arbeitsumgebung. Für den Werbeplatzvermarkter Ströer etwa hat das Team in Berlin ein sehenswertes, sehr junges Office entwickelt, mit eigenem Turnraum und Birkenwald im Besprechungszimmer.
Einer der reizvollsten Aufträge der jüngsten Vergangenheit dürfte aber die Neuerfindung einer Sparkassenfiliale gewesen sein, die Designfunktion gerade in Weiden in der Oberpfalz abgeschlossen hat. Eine Bank-Zweigstelle ist ja stets der Prototyp des Nicht-Ortes gewesen, ein stilistisches Vakuum, in dem die Zeit in steriler Dienstleistungsumgebung und vor biederer Bausparkulisse stehen geblieben ist.
Umso erstaunlicher, wie die Bank in Weiden jetzt zum ersten Abbild der digitalisierten Sparkassenwelt mutierte. Futuristische Besprechungskapseln, Akustik-Vorhänge, flexible Sitzplätze, variable Wege für Kunden und Angestellte, Farben, Lichtbänder und organische Formen - vieles von dem, was auf der Messe in Köln Theorie war, gibt es in der kleinen Bank schon. Wenn die das schaffen, besteht auch Hoffnung für alle, die derzeit immer noch auf graue Stellwände schauen. Oder ihren öden Drehstuhl mit dem Brieföffner gegen den Kollegen verteidigen müssen.